Braunschweig. Experten diskutieren, wie Verkehr zwischen Harz und Heide intelligent gesteuert werden kann.

Was nützen Sharing-Angebote, wenn sie keiner nutzt? Und braucht unsere Region immer neue Pilotprojekte? Die Experten der Podiumsdiskussion „Smart Mobility im urbanen und ländlichen Raum“ waren sich einig: Es braucht Mutige, die experimentieren und smarte Mobilitätskonzepte umsetzen, statt nur darüber zu reden. Nur so könne eine sinnvolle Lösung gefunden werden, die Verkehr tatsächlich auch reduziert. „Einfach nur mehr Angebote von einzelnen Anbietern, das macht uns nicht smarter“, sagte Julia Wolf, Projektmanagerin bei dem Berliner Verkehrsunternehmen Interlink. Eingeladen zur „Werkstatt Mobilität gestalten“ am Dienstag in Braunschweig hatte die Allianz für die Region.

Beispiele, wie „einfach mal machen“ geht, hatte Frank Tristram mitgebracht. Er berät Kommunen und Unternehmen zu einer nachhaltigen Mobilitätsplanung. Wie er berichtete, hat sich etwa auf einer „grünen Wiese“ in der Nähe von Erfurt der Versandhändler Zalando angesiedelt. Mitarbeiter kommen aus umliegenden Orten, teils 80 Kilometer entfernt. Um Pendlerverkehr zu vermeiden, wurden den Zalando-Mitarbeitern Autos zur Verfügung gestellt, in denen sie Sitzplätze buchen können. Elf Fahrzeuge sind im Einsatz und laut Tristram „gut ausgebucht“. Die Fahrzeuge würden abends und am Wochenende außerdem als Bürgerbusse genutzt und können von Privatleuten gebucht werden. Seiner Meinung nach seien in Städten und auf dem Land ausreichend Möglichkeiten und Fahrzeuge vorhanden, sie würden nur schlecht genutzt. „Wir müssen lernen, Mobilität effizienter zu nutzen“, sagte Tristram.

Professor David Woisetschläger, Inhaber des Lehrstuhls Dienstleistungsmanagement an der TU Braunschweig, zeigte sich vor den rund 70 Zuhörern überzeugt, dass Mobilitätsverhalten eine Frage von Anreizen und Sanktionen ist. In Amsterdam seien etwa 10.000 bewirtschaftete Parkplätze einfach abgeschafft worden, zugleich habe die Stadt ein „supereffizientes“ ÖPNV-System. Wenn Volkswagen-Mitarbeiter 150 Euro monatlich für einen Stellplatz im Parkhaus zahlen müssten, anstatt dort umsonst parken zu können, würde das Mobilität wohl auch steuern. „Wenn Menschen keinen Nutzen darin sehen, ändern sie ihr Verhalten nicht. Nutzen kann dabei auch schon sein, sozusagen Schmerz zu vermeiden“, sagte Woisetschläger. Gewohnheiten, fehlender Ehrgeiz bei Verantwortlichen und verbesserungswürdige Kooperationen würden verhindern, dass sich smarte Lösungen durchsetzten, fasste er zusammen.

Ralf Sygusch, Referatsleiter Stadtentwicklung in Wolfsburg, erinnerte daran, dass eine Stadtgesellschaft nicht nur aus jungen, veränderungswilligen Bewohnern besteht, sondern vor allem aus Menschen, die über 50 oder 60 Jahre alt sind und meist gerne ein Auto vor der Tür stehen haben. Sie spürten keinen Veränderungsdruck. Zwar wollten Wolfsburgs Bewohner am liebsten eine ganzheitliche Mobilität, die Frage sei jedoch auch, ob und wie sie neue, zusätzliche Angebote nutzen würden. Smarte Mobilität sollte aus seiner Sicht zudem von Betreibern, also Unternehmen, angeboten werden und nicht durch Kommunen. Diese seien schon mit dem öffentlichen Nahverkehr belastet, der defizitär sei.

Wolf, Projektmanagerin für automatisiertes Fahren, plädierte dafür, gemeinsam nach sinnvollen Mobilitätslösungen zu suchen. „Heute sind Start-ups und Anbieter alleine unterwegs, es gibt keine Abstimmung mit anderen“, erklärte sie. Dabei wolle doch keiner einen „Wust“ von Anbietern und damit zwangsläufig ein „Mehr“ an Verkehr. Wie sie erläuterte, kommt es gerade bei autonom fahrenden Fahrzeugen auf Abstimmung an, etwa wenn automatisierte Autos mit ihrer Umgebung kommunizieren, zum Beispiel Ampeln. „Wenn Kommunikation von Fahrzeug zu Infrastruktur die Zukunft ist, wie sehen dann Straßen und Wege aus?“, fragte sie. Stadtentwickler Sygusch sagte, er sei fest davon überzeugt, dass die Technik allein im Auto bleiben müsse. „Uns gehören Straßen, Land und Bund gehören Straßen, dann gibt es noch Privatstraßen. Rein rechtlich wird es da schon schwierig“, gab er zu bedenken.

Erst zum Schluss ging es in der Diskussion um intelligente Mobilität auch um Elektrofahrzeuge. Timo Abert, Kommunalreferent bei dem Netzbetreiber Avacon, berichtete von einem Stresstest, den Avacon von 2011 bis 2016 durchgeführt hat, um zu simulieren, wie die Netze auf eine zusätzliche Belastung durch Stromtanken reagieren. Würden 2045 alle Autos elektrisch fahren, müsste der Netzbetreiber laut Abert rund 750 Millionen Euro investieren – dann seien die Netze belastbar für Haushalte mit E-Autos, Photovoltaikanlagen auf den Dächern und weiteres. „Elektrifizierte Mobilität wird nicht an den Netzen scheitern“, sagte er. Allerdings blickte Abert skeptisch auf die Bereitschaft von Unternehmen und Kommunen, in Ladeinfrastruktur zu investieren. Da seien „dicke Bretter zu bohren“, berichtete er.

„Smart“ ist die Mobilität laut der Experten also noch nicht. Wolf etwa war jedoch optimistisch: „Sie ist auf dem Weg“, sagte sie.