Salzgitter. Der Umweltminister besucht bei seiner Sommerreise auch das Forschungsmuseum Schöningen – die Idee zum Pilotprojekt Wildnis findet er „spannend“.

Es ist Tag Vier der Sommerreise des Umweltministers und damit auch der letzte – die Tour führte Olaf Lies durch ganz Niedersachsen. Zum Abschluss besuchte der SPD-Politiker am Donnerstag das Forschungsmuseum Schöningen (bis vor kurzem noch „Paläon“) und die Salzgitter AG. Die ganze Reise steht unter dem Motto „Klima“ „Wir sind mit dem Forschungsmuseum in der Lage, beim Klimawandel nachzuvollziehen, was natürlich passiert und was durch den Menschen beeinflusst geschieht. Bei der Salzgitter AG sehen wir wiederum ein Unternehmen im Wandel“, erklärt der Minister seine Reiseziele. Sein Tag ist straff durchgetaktet: Am Morgen trifft er sich zunächst mit dem Schöninger Bürgermeister Henry Bäsecke (parteilos) zum Arbeitsfrühstück, darauf folgt ein Rundgang im Museum. Gegen Mittag fährt er mit seinem Tross zu einem Interview, direkt im Anschluss schon mit aufgestauter Verspätung zur Salzgitter AG. Es dürfte ein anstrengender Tag sein, mit viel Input für den Minister. Er muss zuhören, Fragen stellen, die richtigen Antworten geben, auch Unterstützung signalisieren, Danke sagen, Hände schütteln, und immer schön verbindlich bleiben. Zeit zu essen bleibt kaum. Aber der 52-Jährige ist Polit-Profi und kann Begeisterung zeigen, für jahrtausendealte Rippen von Elefanten mit Bissspuren – Tiger, Wolf – wer weiß schon woher? –, noch mehr für das CO2-Einsparprojekt „Salcos“ der Salzgitter AG. Lies ist studierter Elektroingenieur.

Umweltminister Olaf Lies, Jordi Serangeli, Senckenberg-Wissenschaftler und Grabungsleiter der Fundstelle Schöningen und Landesarchäologe Henning Haßmann mit nachgemachten Holzspeeren und Sportspeeren.
Umweltminister Olaf Lies, Jordi Serangeli, Senckenberg-Wissenschaftler und Grabungsleiter der Fundstelle Schöningen und Landesarchäologe Henning Haßmann mit nachgemachten Holzspeeren und Sportspeeren. © Hannah Schmitz

Im Forschungsmuseum ist der Minister für Umwelt und Energie nicht zum ersten Mal, verspricht am Ende aber, noch einmal wiederzukommen – und zwar gleich mit zehn, fünfzehn Fachleuten aus seinem Ministerium, um das Museum mit seinen Erkenntnissen „auf sich wirken zu lassen“. Heute begleitet ihn unter anderem Falko Mohrs, Bundestagsabgeordneter aus Wolfsburg (SPD). Henning Haßmann, Leiter der Archäologie beim Landesamt für Denkmalpflege fände es schon den „Kracher“, wenn Lies auch mal die Grabungsstelle sehen könnte. Dafür ist heute keine Zeit.

Der Landesarchäologe berichtet, dass vor 25 Jahren zum ersten mal ein Holzartefakt im Schöninger Braunkohletagebau entdeckt wurde. Die acht Schöninger Speere der Fundstelle sind das Herzstück des Museums. Menschen müssen sie hier vor rund 300.000 Jahren zurückgelassen haben. Über die Gründe können die Wissenschaftler nur Rätselraten. Haßmann vermutet, Menschen hätten damals schon so etwas wie Tabus und Riten entwickelt. Möglicherweise seien die Speere zum Töten benutzt worden, und dann „beschmutzt“ nicht mehr weiterverwendet worden. „Das ist aber nicht sehr effizient, oder?“, fragt Lies und lacht. Jordi Serangeli, Grabungsleiter der Fundstelle Schöningen und Senckenberg-Wissenschaftler, glaubt auch an eine andere Theorie. Demnach hätten die Besitzer der Speere diese vielleicht wieder einsammeln wollen, seien dann aber von etwas überrascht und daran gehindert worden. Aber weil die Reise des Ministers unter dem Motto „Klima“ steht, geht es hier weniger um die Speere, als um Klimageschichte.

Umweltminister Olaf Lies und Bundestagsabgeordneter Falko Mohrs beugen sich mit Restauratorin Anna-Laura Krogmeier über Knochenfundstücke aus Schöningen, unter anderem Elefanten-Rippen mit Biss-“Löchern
Umweltminister Olaf Lies und Bundestagsabgeordneter Falko Mohrs beugen sich mit Restauratorin Anna-Laura Krogmeier über Knochenfundstücke aus Schöningen, unter anderem Elefanten-Rippen mit Biss-“Löchern". © Hannah Schmitz

„Wir können den Klimawandel hier in einer zeitlichen Tiefe von 50 Millionen Jahren zeigen“, erklärt Haßmann. Erdschicht um Erdschicht ließen sich in dem Gelände wie Seiten in einem Buch aufblättern – die Talsohle des Tagebaus liegt bei rund 110 Meter Tiefe. Die Schichten zeigen die Entwicklung des Klimas zwischen zwei Eiszeiten. Im Eingangsbereich des Museums sind Bodenprofile des Tagebaus sichtbar. Vor Millionen Jahren wuchsen hier Mangrovenwälder, vor vergleichsweise kurzer Zeit – vor rund 100.000 Jahren – lebten im heutigen Schöningen Elefanten, Nashörner und Wasserbüffel. Zahlreiche Knochenfunde belegen das. „Es gab hier eine große Vielfalt“, erzählt Serangeli mit Begeisterung. Klimawandel habe es ferner immer gegeben, heute gehe er nur schneller. Lies findet es faszinierend, „man bringt das Museum immer mit Speeren in Verbindung, aber es hat ganz viel mit den Fragen zu tun, die wir uns heute stellen.“

Jana Hugler, Ausstellungsleiterin und Leiterin Bildung und Vermittlung im Forschungsmuseum, mit Umweltminister Lies vor der Panoramawand des Museums.
Jana Hugler, Ausstellungsleiterin und Leiterin Bildung und Vermittlung im Forschungsmuseum, mit Umweltminister Lies vor der Panoramawand des Museums. © BZV | Hannah Schmitz

Das „Wildnis“-Projekt findet Umweltminister Lies (Mitte) einen „spannenden Gedanken“. Das dürfte Schöningens Bürgermeister Henry Bäsecke (vierter von rechts) freuen.
Das „Wildnis“-Projekt findet Umweltminister Lies (Mitte) einen „spannenden Gedanken“. Das dürfte Schöningens Bürgermeister Henry Bäsecke (vierter von rechts) freuen. © BZV | Hannah Schmitz

Schöningens Bürgermeister Bäsecke animiert den Wissenschaftler Serangeli, beim Minister unbedingt auch das Pilotprojekt „Wildnis wagen“ anzusprechen. Die Idee hinterm Projekt: Das 500-Hektar-Areal des ehemaligen Tagebaus soll mit eigentlich hier natürlich vorkommenden Pflanzen und Tieren – zum Beispiel Wisente – zur Wildnis werden. Die umzäunte Fläche könnte noch einmal Besucher anlocken, zur Umweltbildung genutzt werden, Serangeli stellt sich geführte Touren mit kleinen Jeeps vor. Das Projekt würde zum Ziel des Bundes beitragen, dass sich Natur auf mindestens zwei Prozent der Fläche Deutschlands wieder nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten entwickeln kann. „Wir haben völlig vergessen, was eine natürliche Landschaft ist“, meint Serangeli. Lies findet die Wildnis „einen spannenden Gedanken“. Es brauche dafür ja gar nicht viel, man überlasse die Natur bewusst sich selbst. Das Thema ist platziert. Zum Abschied wird ein Gruppenfoto gemacht, Lies wünscht Serangeli noch, seine Begeisterung beizubehalten. Dann geht es zum Auto.

Später bei der Salzgitter AG gibt es einen kurzen Mini-Imbiss, dann begrüßt schon der Finanzvorstand Burkhard Becker den Umweltminister, der unter anderem mit Landesbeauftragtem Matthias Wunderling-Weilbier vor Ort ist. „Wir freuen uns, dass das Projekt Salcos unter ihrer Beobachtung ist“, sagt Becker. Klimaschutz sei das Stichwort, das auch den Stahlkonzern bewege. Mit Salcos („Salzgitter Low CO2 Steelmaking“) hat das Unternehmen ein Konzept zur Stahlerzeugung entwickelt, in dem schrittweise immer weniger des schädlichen Klimagases ausgestoßen wird. Dafür würde die Salzgitter AG den Einsatz von Kohle zurückschrauben und dafür zunächst Erdgas, später vermehrt mit grünem Strom erzeugten Wasserstoff zur Stahlproduktion nutzen. Laut dem Unternehmen wäre es möglich, innerhalb von fünf Jahren die Technologien in industrieller Größenordnung in die laufende Produktion zu integrieren, um bereits etwas mehr als ein Viertel CO2 einzusparen. Als Fernziel bis 2050 steht die Einsparung von 95 Prozent Kohlendioxid. Bisher pustet der Stahlhersteller davon pro Jahr rund acht Millionen Tonnen in die Luft, das sind rund ein Prozent der deutschen Emissionen.

Jürgen Pethke, Leiter des Hochofenwerks bei der Salzgitter Flachstahl, mit Umweltminister Lies.
Jürgen Pethke, Leiter des Hochofenwerks bei der Salzgitter Flachstahl, mit Umweltminister Lies. © Hannah Schmitz

Der Umstieg ist für die Salzgitteraner zwar theoretisch möglich, praktisch aber nicht wirtschaftlich – allein wegen der dadurch entstehenden exorbitanten Stromkosten. Umweltminister Lies sagte: „Wir denken die Energiewende zu kurz, wenn wir dabei nur an Strom denken. Die Themen Wasserstoff und Erdgas sind elementar.“ Er habe oft über das Salcos-Projekt gesprochen, auch in der Hauptstadt. „Wir müssen in Berlin dafür werben, dass Salcos auch umgesetzt werden kann“, so Lies. Es gehe darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, die diese CO2-arme Produktion wettbewerbsfähig halten. Es sei schon morgen möglich, Stahl mit deutlich weniger Kohlendioxid-Emissionen zu produzieren. „Wir müsse dafür sorgen, dass es nicht nur in der Theorie weiter debattiert wird, dass wir auch nicht mehr im Labor experimentieren, sondern es jetzt in die Praxis umsetzen“, betonte der SPD-Politiker die Dringlichkeit. „Ich freue mich auf die nächsten Jahre, auf die Entwicklung von Salcos. Innovationen sichern auch Arbeitsplätze“, sagte Lies.

Volker Hille, Ingenieur und verantwortlicher Leiter des Salcos-Projekts, stellte dem Umweltminister an einem Modell den technologischen Weg zur CO2-armen Stahlerzeugung vor. Mit Lies diskutierte er die Frage, wie ein Markt für dekabonisierte Produkte geschaffen werden könnte, wie man eigentlich nachhalten kann, wie der aktuelle Strompreis in den Preis des Stahls einfließen kann, inwiefern der Handel mit Emissionspapieren der Salzgitter AG hilft oder eben nicht hilft und wo eigentlich der ganze Strom für das Salcos-Projekt herkommen soll. „Meine Meinung ist, dass wir in Deutschland in Zukunft grünen Strom importieren werden müssen“, sagte Hille. Lies stimmte ihm zu: „So viele Windräder zu bauen, das bekomme selbst ich nicht erklärt“, sagte er mit einem Augenzwinkern. Der Umweltminister spricht sich dezidiert für einen schnellen Ausbau der Windenergie aus.

Salzgitters Finanzvorstand Burkhard Becker (rechts) erläuterte die Feuerverzinkungsanlage.
Salzgitters Finanzvorstand Burkhard Becker (rechts) erläuterte die Feuerverzinkungsanlage. © Hannah Schmitz

Anschließend werden Kittel und Sicherheitshelme an die Besucher verteilt: Die Salzgitter AG zeigt die Teile der Produktion, die durch Salcos ersetzt werden würden: Einen Hochofen und die Kokerei. Lies zeigt sich beeindruckt von der „hochmodernen“ Schaltzentrale der Hochöfen. Neben Hille erklärt ihm Jürgen Pethke, Leiter des Hochofenwerks der Salzgitter Flachstahl, viele Prozesse. Wie findet der 61-Jährige es eigentlich, wenn das Unternehmen irgendwann einmal auf den Einsatz von Kohle verzichtet? „Es ist halt eine andere Technolgie“, sagt er nüchtern am Rande des Ministerbesuchs. Aber ein wenig Bedauern ist auch zu spüren:. „Dass man jetzt nicht ,Hurra’ schreit, ist klar“, so Pethke. Er bleibt zurück, während Lies und Co. noch eine Feuerverzinkungsanlage besichtigen. Erst gerade hat die Salzgitter AG mit dem Bau einer dritten Anlage begonnen und nach Angaben von Finanzvorstand Becker darin rund 180 Millionen Euro investiert. Sie wird moderner, automatisierter funktionieren. Statt neun Mitarbeitern pro Schicht sollen dort nur noch sieben Mitarbeiter beschäftigt werden. Becker hatte anfangs die Strategie dahinter erklärt: So wolle sich der Stahlkonzern noch stärker auf dem Markt für höherwertige Stahlgüten positionieren. Lies zeigte sich von all dem beeindruckt. Punkt 16.30 Uhr düste er dann wieder nach Hannover. Dort wartete um 19 Uhr noch ein weiterer Termin auf ihn – der hatte aber nichts mehr mit seiner Sommerreise zu tun.