Salzgitter. Weil, Söder und Kretschmann fordern: Merkel soll die Entscheidung des Bundesforschungsministeriums prüfen.

Rund acht Wochen hat ein Team um Professor Arno Kwade von der Technischen Universität (TU) Braunschweig an einer Bewerbung für die Forschungsfertigung Batteriezelle gearbeitet. Knapp 100 Unternehmen und 30 Forschungsinstitute konnte die TU in Zusammenarbeit mit der Stadt Salzgitter und dem Land Niedersachsen in dieser Zeit auftun, um die Ansiedlung einer solchen Fabrik am Standort Salzgitter zu unterstützen. Alle Beteiligten waren sich im Anschluss sicher, dem Bundesforschungsministerium ein ausgezeichnetes Konzept vorgelegt zu haben. „Klar ist man dann enttäuscht“, sagt Kwade. Das Bundesforschungsministerium hatte am Freitag bekannt gegeben, die Forschungsfabrik unter Leitung der Fraunhofer-Gesellschaft in Münster aufbauen zu wollen.

Zur Enttäuschung kommt bei den teilnehmenden Ländern des Wettbewerbs jedoch noch das Unverständnis für die Wahl des Standorts Münster – Fast-Heimat von Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU), die aus Ibbenbüren nahe Münster stammt. Das Batterieforschungszentrum „Meet“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hatte sich gemeinsam mit einem Ingenieurs-Institut der RWTH Aachen und dem Forschungszentrum Jülich beworben.

Ein Brief der Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD, Niedersachsen), Markus Söder (CSU, Bayern) und Winfried Kretschmann (Grüne, Baden-Württemberg) vom Montag an Bundeskanzlerin Angela Merkel kritisiert „strukturpolitische Erwägungen“, die bei der Vergabe eine Rolle gespielt hätten. „Auch für künftige Standortentscheidungen in innovationspolitischen Zukunftsfeldern bitten wir nachdrücklich, diese nach Kriterien der Exzellenz und Innovationsfähigkeit zu treffen“, heißt es in dem Schreiben. Die Ministerpräsidenten fordern die Kanzlerin darin auf, die Entscheidung der Bundesforschungsministerin zu prüfen. Merkel solle außerdem die fachlichen Gründe für die Entscheidung nachvollziehbar darlegen.

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat die Kritik scharf zurückgewiesen. „Es verwundert mich, dass drei Kollegen jetzt eine kleinteilige Standortdebatte mit dem Brief an die Bundeskanzlerin beginnen“, sagte Laschet am Dienstag. Der Vorwurf verkappter Standortpolitik zugunsten des Münsterlandes sei „abwegig“.

Karliczek: Gerne zu persönlichen Gesprächen bereit

Die hart angegangene Karliczek teilte am Dienstag mit, es ginge „ausschließlich um die Frage, welches Konzept für die Batterieforschung in Deutschland den höchsten Grad an Exzellenz aufweist und welche Konzept den breitesten Nutzen für die Wirtschaft bringt“. Deutschland müsse Weltspitze bei der Entwicklung und Nutzung der Batterietechnologie werden. Eine Spitze ging außerdem in Richtung Weil, Söder und Kretschmann, die sich direkt an Merkel gewandt hatten: „Ich bin auch gerne bereit, die Entscheidung und die weiteren Schritte in Gesprächen persönlich zu erläutern“, erklärte Karliczek.

Neben Münster würden außerdem auch die anderen Bewerber gefördert – hier müsse allerdings noch über eine gemeinsame Finanzierung mit den jeweiligen Ländern gesprochen werden. Gespräche dazu würden schon diese Woche stattfinden. Niedersachsens Wissenschaftsminister Björn Thümler (CDU) forderte am Dienstag, dass das Bundesforschungsministerium schnellstmöglich für Klarheit sorge.

Niedersachsen hatte sich mit einem „Batterie-Cluster Region Braunschweig“ beworben und war mit seinem Konzept nach Informationen unserer Zeitung mit Münster und Ulm in der engeren Auswahl der insgesamt sechs Standorte, die sich um die Forschungsfertigung beworben hatten. Die Bewerbung sah die Ansiedlung der Fertigung in einer schon bestehenden Bosch-Halle sowie einem zusätzlichen Neubau in Salzgitter vor. Ein schneller Start einer Produktion wäre hier möglich gewesen – das war offenbar ein Kriterium für ein erfolgreiches Konzept. Die Ministerpräsidenten kritisieren in ihrem Schreiben, dass Münster die Fabrik erst planen und bauen muss. Dadurch werde wertvolle Zeit im Wettlauf Deutschlands gegen Wettbewerber verloren.

Als Pfund brachte Niedersachsen neben der Fabrik in industriellem Umfeld auch die laut Kwade „hohe Kompetenz“ in der Elektroden- und Zellfertigung der TU Braunschweig ein. „In diesem Bereich sind wir in Deutschland mit führend“, sagt der TU-Professor, der auch den Kompetenzcluster zur Batteriezellproduktion in Deutschland leitet. Allein zwölf Professoren forschen in der Battery-Lab-Factory der TU Braunschweig. Ein weiterer Trumpf sollte die Forschung und Entwicklung zum Batterie-Recycling sein. Wie Kwade erläutert, hätte zum Beispiel die Firma Duesenfeld aus Wendeburg eine Batteriezell-Recycling-Anlage in Salzgitter aufgebaut.

Münster punktete mit internationaler Bekanntheit der Forscher

Ministerpräsident Weil erläutert im Schreiben an Merkel, die Salzgitter AG hätte ferner ihre langjährige Erfahrung im Bereich der Reststoffverwertung mit eingebracht. Für Salzgitter spreche zudem, dass es im „Herzen Deutschlands“ liege, die Region Braunschweig die höchste Forschungsintensität der EU aufweise. Teil des Bewerbungskonzept war laut Kwade zudem ein Weiterbildungszentrum nach Vorbild einer „Lern-Werkstatt“, die an der TU existiert. Hier hätten gewerbliche Mitarbeiter für die Batteriezellfertigung ausgebildet werden können. Karlizcek hatte die Unterstützung solch einer Weiterbildung sowie der Forschung zu Recycling bei der Verkündung der Entscheidung für Münster bereits in Aussicht gestellt.

Während die Stärken unserer Region also in der Zellfertigung, dem Recycling, der nahen Industrie und der hohen Forschungsdichte liegen, punktete Münster offenbar mit seiner internationalen Sichtbarkeit. So gilt der Münsteraner Professor Martin Winter weltweit als Koryphäe in der Batterieforschung. Stärken weist der Standort laut Kwade außerdem im Bereich Materialforschung auf. Manko der Universitätsstadt ist, dass sie kaum ansässiges Ingenieurwesen hat. Dafür hat sie sich mit der Technischen Hochschule Aachen zusammengeschlossen. Um die Ecke der neuen Fabrik, die 2022 in Betrieb gehen soll, liegt die Hochschule Aachen allerdings nicht – deren Ingenieure forschen in 200 Kilometer Entfernung an der Entwicklung von Komponenten für die E-Mobilität.

Söder und Kretschmann betonen im Brief an Merkel die Vorzüge der Standorte Augsburg und Ulm. Ersterer biete eine „hervorragende Infrastruktur“, letzterer „hervorragende Bestandsgebäude“. Offensichtlich wird darin, dass die Begründung der Ministerin für den Standort Münster wohl nicht ausreichend war. Karliczek hatte die Entscheidung offenbar auch nur deshalb so schnell verbreitet, weil der „Tagesspiegel“ wenige Tage zuvor aus Kommissionskreisen erfahren hatte, dass Ulm das Rennen wohl gewinne. Eine Ente – wie sich nun herausstellte. Die eilig einberufene Pressekonferenz vergangenen Freitag fand dann ohne vorherige Gespräche mit den betroffenen Ländern statt. Die Entscheidung hätte offenbar erst kommende Woche verkündet werden sollen mit einem ausgereifteren Gesamtkonzept.

Kwade betont, dass die Zusammenarbeit in der Batterieforschung in Deutschland sehr gut funktioniere. „Die Forschung zieht an einem Strang, zum Beispiel im Rahmen des Kompetenzclusters des Bundesforschungsministeriums zur Batteriezellproduktion. Es ist schade, dass es gerade zerredet wird.“ Er forderte, schnell zurück auf einen gemeinsamen Weg zu kommen, „um der asiatischen Konkurrenz Paroli bieten zu können“. Der Münsteraner Professor Winter sagte bereits nach Bekanntgabe der Entscheidung: „Wir hatten sehr starke und kompetente Mitbewerber.“ Gemeinsam werde man die Forschungsfertigung Batteriezelle zu einer „Erfolgsstory“ machen. Das hofft auch Karliczek.