Wolfsburg. Dem „Autogipfel“ entspringen zwar keine konkreten Maßnahmen. Zum Ausbau der E-Mobilität gibt es aber keine zwei Meinungen mehr. VW ist zufrieden.

Der „Autogipfel“ am Montagabend bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) endete ohne konkretes Ergebnis. Spitzenvertreter der Politik und der deutschen Automobilbranche – unter ihnen VW-Chef Herbert Diess – trafen sich in Berlin, um vor allem über den Ausbau der Elektro-Mobilität zu beraten. Vereinbart wurde nach Angaben des Verbands der Automobilindustrie (VDA) zwar ein „Masterplan“ für den Aufbau der Ladeinfrastruktur. Der beinhaltet aber keine konkreten Zahlen und Ziele, ist mehr eine Art Aufgabenliste.

In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte VDA-Präsident Bernhard Mattes, es habe von der Politik weder Zusagen gegeben, noch hätten die Autobauer konkrete Maßnahmen versprochen. Der „Masterplan“ sehe stattdessen vor, die Voraussetzungen für den Aufbau privater und öffentlicher Ladeinfrastruktur zu schaffen und den finanziellen Rahmen festzulegen.

Dabei gehe es unter anderem um die Gesetzgebung. So müsse beispielsweise das Wohnungseigentumsgesetz und Mietrecht so angepasst werden, dass Wohnungseigentümer oder Mieter Ladestationen in Tiefgaragen von Mehrfamilienhäusern errichten könnten. Außerdem müssten die Standorte von Ladestationen bestimmt und die Verteilnetze entsprechend zugeschnitten werden. Mattes: „Das ist eine Vielzahl von Fragen, eine große Komplexität, und daran arbeiten wir jetzt.“

Wie der VDA-Präsident weiter ausführte, wird das Ziel, den CO2-Ausstoß von Pkw im Vergleich zu 2021 um 37,5 Prozent zu senken, nur dann erreicht, wenn in Deutschland bis 2030 zwischen
7 Millionen und 10,5 Millionen Autos als Stromer zugelassen sind. Ein Schlüssel dafür, dass die Kunden die neuen Autos annehmen, sei der Ausbau der Ladeinfrastruktur. Erforderlich seien etwa 100.000 Schnellade-Säulen, eine Million öffentliche Ladepunkte sowie mehrere Millionen private Ladepunkte.

Bei den Ladepunkten handelt es sich um die einzelnen Anschlüsse zum Aufladen von E-Autos. Während Schnellladesäulen oftmals nur über einen Ladepunkt verfügen, sind die „langsamen“ Ladesäulen häufig mit mehreren Ladepunkten ausgestattet. VW bietet zudem mobile Ladesäulen an, die mit vier Ladepunkten versehen sind: zwei zum Schnellladen, zwei zum regulären Laden.

Die deutsche Autoindustrie baut über ihr Gemeinschaftsunternehmen Ionity 400 Schnellladestationen an den europäischen Fernstraßen auf. 100 davon sind bereits errichtet. VW hat angekündigt, bis 2025 in Europa 36.000 Ladepunkte einzurichten – an den Konzern-Standorten in Deutschland sowie bei den Händlern.

VDA-Präsident Mattes sagte nach dem „Autogipfel“: „Wir werden auch eine öffentliche Lade-Infrastruktur brauchen, und da wird sicherlich auch darüber zu diskutieren sein, wer diese Kosten übernimmt. Macht das der Staat, der Bund, die Länder, die Kommunen? Darüber haben wir aber gestern keine Beschlüsse gefasst.“ Nach seinen Angaben wird die deutsche Autoindustrie in den nächsten drei Jahren 40 Milliarden Euro in die E-Mobilität investieren.

Autoexperte Professor Stefan Bratzel, der das Auto-Institut der Fachhochschule in Bergisch Gladbach leitet, ist enttäuscht vom Ausgang des „Autogipfels“. „Es muss endlich substanzielle und nicht mehr nur Symbolpolitik betrieben werden“, sagte er unserer Zeitung. Die Aufgaben und Probleme der E-Mobilität seien schon vor dem Gipfel längst bekannt gewesen. Nun müsse endlich mit dem Ausbau losgelegt werden. „Das hat die Öffentlichkeit erwartet“, sagte er. Bratzel kritisierte ferner, dass bisher ein umfassendes Verkehrs- und Mobilitätskonzept der Politik fehle. „Stattdessen gibt es nur Stückwerk.“

Obwohl der „Masterplan“ noch wenig konkret ist, wird er in der Wolfsburger VW-Konzern-Zentrale hingegen grundsätzlich positiv bewertet. Denn er stehe für eine Einigung aller Beteiligten auf einen gemeinsamen Nenner: den Ausbau der E-Mobilität. Das war längst nicht immer so. VW galt und gilt mit seiner Elektro-Strategie durchaus als Ausreißer unter den deutschen Herstellern. Daher wird in Wolfsburg nun mit Genugtuung festgestellt, dass zum Beispiel BMW am Dienstag ankündigte, den Ausbau der Elektro-Mobilität zu beschleunigen. Die Münchner ziehen ihr Ziel, 25 Stromer bis 2025 anzubieten um zwei Jahre auf 2023 vor. Mehr als die Hälfte dieser Modelle soll dann rein elektrisch fahren.

Auch außerhalb der Grenzen Deutschlands tut sich einiges in Sachen E-Mobilität. Der japanische VW-Konkurrent Toyota, der in der Vergangenheit vor allem auf Hybrid-Modelle und auch die Brennstoffzelle gesetzt hat, will nun seine Elektro-Strategie beschleunigen. Bis 2025 sollen E-Autos die Hälfte des weltweiten Umsatzes einfahren – fünf Jahre früher als bisher geplant.

Nach VW-Einschätzung führt an der batteriebasierten E-Mobilität kein Weg vorbei, wenn die CO2-Ziele rechtzeitig erreicht werden sollen. Die Entwicklung alternativer Kraftstoffe oder der Brennstoffzelle dauere dafür viel zu lange.

Weil Volkswagen unter den Autobauern alter Schule vergleichsweise früh konsequent auf den Ausbau der E-Mobilität gesetzt hat, sehen sich die Wolfsburger im Vorteil: Sie verfügen bereits über eine eigene, rein elektrische Fahrzeug-Familie, die ID.-Modelle, von der ab Ende des Jahres das erste Modelle gebaut werden soll. Sie verfügen zudem über einen eigenen Baukasten für diese Fahrzeuge, der eine wirtschaftliche Produktion ermöglichen soll. Und sie haben mit dem Betriebsrat einen Fahrplan für den Umstieg auf diese Strategie vereinbart, deren Ziele der Personalabbau, die Verbesserung der Kostenstruktur und die Wahrung des Betriebsfriedens sind.