Wolfenbüttel. . Ulrich Löhr fordert eine Entbürokratisierung der EU-Zahlungen. Um sich von ihnen unabhängiger zu machen, ist er unter die Hühner-Mäster gegangen.

Die Bauern sollten umdenken, anstatt sich um immer mehr Profit zu bemühen...

Das schreibt unsere Leserin Marion Pesenecker aus Braunschweig

Zum Thema recherchierte
Hannah Schmitz

6,2 Milliarden Euro sind 2017 aus dem 58 Milliarden schweren EU-Fördertopf für Landwirtschaft nach Deutschland geflossen. Ein Sechstel davon – 934 Millionen Euro – gingen nach Niedersachsen. Das Agrarland steht damit nach Bayern auf Platz 2 der subventionierten Bundesländer. In unserer Region kamen rund 76 Millionen Euro an – allein als Direktzahlungen, die an die Fläche des Betriebs und die Einhaltung von Mindeststandards gekoppelt sind. Etwa 2700 Landwirte und Behörden haben 2017 entsprechende Anträge gestellt, wie aus den aktuellesten Zahlen des Landesministeriums für Landwirtschaft hervorgeht.

Auch Ulrich Löhr, Landwirt aus Groß Denkte im Landkreis Wolfenbüttel, gehört dazu. Er erhält pro Jahr einen höheren fünfstelligen Betrag durch die EU. „Das sind zwei Drittel meines Betriebsgewinns“, sagt Löhr, der die genaue Summe nicht nennen möchte. Löhr, der auch Vorsitzender des Landvolks Braunschweiger Land ist, ist überzeugt: Ohne Subventionen geht es nicht. „Wir konkurrieren auf fast allen Märkten global. In der EU haben wir aber andere Produktionsbedingungen, zum Beispiel ein höheres Lohnniveau und zudem schärfere Auflagen“, sagt er. Wer eine flächendeckende bäuerliche Landwirtschaft erhalten wolle, müsse sie subventionieren, meint der Landvolk-Vorsitzende.

Löhr bewirtschaftet 300 Hektar Land. Hier steht er  auf einem Rapsfeld in Stöckheim.
Löhr bewirtschaftet 300 Hektar Land. Hier steht er auf einem Rapsfeld in Stöckheim. © BestPixels.de | Philipp Ziebart

Dennoch wollte Löhr sich unabhängiger machen von den staatlichen Zahlungen. 2010 hat er deswegen gegen massive Proteste aus seinem Dorf eine Mastanlage gebaut. Ein Drittel seines Einkommens erwirtschaftet Löhr nun „am Markt“, wie er sagt. Ohne EU-Fördergelder also. „Wenn ich davon leben wollte, müsste ich noch zwei bis drei Ställe mehr bauen“, sagt er. Ackerbau und Hühnermast würden sich hervorragend ergänzen – ein Drittel seines Futters kommt aus eigenem Anbau. Neben der Mastanlage bewirtschaftet der 52-Jährige 300 Hektar Ackerfläche, außerdem besitzt er eine Biogas-Anlage sowie eine Streuobstwiese mit Damwild. „Dort wird man wieder geerdet. Das ist ein Zipfel vom Paradies“, erzählt er.

Er ist der Überzeugung, dass die Landwirtschaft – auch die konventionelle – etwas für die Umwelt tut, so wie es unsere Leserin von Landwirten einfordert. „Aber natürlich strebe ich nach Profit, um meine Familie und mich davon zu ernähren“, sagt Löhr. Profit und Umweltschutz schlössen sich nicht aus. Außerdem sei es ein Irrglaube anzunehmen, dass Landwirte in Geld schwimmen würden. „Es ist für alle ein enges Geschäft, für die ökologisch und konventionell wirtschaftenden Landwirte", sagt Löhr.

Greenpeace: 70 Prozent der Flächen für den Futteranbau

Laut Umweltorganisation Greenpeace werden mehr als 70 Prozent der subventionierten landwirtschaftlichen Flächen in der EU für Futtermittel für Schweine, Rinder oder Hühner genutzt. Wenn man die für die menschliche Ernährung nicht direkt verwertbaren Wiesen- und Weideflächen abziehe, würde der Anteil der Fläche immer noch bei 63 Prozent liegen. Jährlich flössen so rund 30 Milliarden Euro EU-Gelder an Betriebe, die Futter für Tiere produzieren oder Tiere halten – jeder fünfte Euro. Greenpeace zufolge ist die Subventionierung dieses Futteranbaus eine komplette Fehlsteuerung, weil die EU damit indirekt auch die klimaschädliche Massentierhaltung fördere.

Löhr hingegen steht voll hinter der konventionellen Landwirtschaft. Er lobt beispielsweise die inzwischen erreichte Effizienz in der Futterverwertung der Mast-Hühner. „Um ein Kilogramm Fleisch anzusetzen, braucht es nur 1,6 Kilo Futter“, so Löhr. Seine Hühner gehören zur Rasse „Ross 308“, es ist das Mast-Huhn schlechthin, ein auf Effizienz getrimmtes Hochleistungshuhn.

In seiner Mastanlage hält Löhr 35.000 dieser Hühner, gesetzlich wären ihm 40.000 in dem 2000 Quadratmeter großen Stall erlaubt. Doch Löhr nimmt an der Initiative Tierwohl teil, einem Zusammenschluss von Landwirtschaft und Lebensmitteleinzelhandel. Dieser setzt sich für höhere Standards in der Tierhaltung ein. Die finanziellen Einbußen der Bauern, die etwa dadurch entstehen, dass sie weniger Tiere als gesetzlich erlaubt halten, gleicht der Handel aus. Bei Löhr hat nun jedes Masthuhn 15 Prozent mehr Platz, 0,057 Quadratmeter.

Wenn der Groß Denkter zum Kontrollgang in seine Mastanlage geht, nimmt er einen Hammer mit. Damit tötet Löhr schwache Hühner, solche, die es nicht mehr schaffen würden. Heute hat er seinen Hammer vergessen. Stattdessen gibt der Landwirt einem Küken mit der Hand einen Schlag auf den Kopf, dann bricht er mit einem geübten Griff das Genick. „Das ist man den Tieren schuldig“, sagt Löhr. „Sonst quälen sie sich nur.“ Am Ende des Rundgangs liegen fünf tote, gelbe Puschel in einem Eimer, vier von ihnen lagen schon leblos in der Mastanlage.

Manche Hühner sind zu schwach zum Leben

Pro Fuhre sterben laut dem Landwirt rund 600 Hühner, 1,5 Prozent. Das sei wenig, sagt Löhr, und komme auch in Freilandhaltung vor. Manche der Tiere seien einfach zu schwach zum Leben, krank oder wären sogenannte Nicht-Starter, die die Umstellung auf Futter nicht schafften. Wenn Löhr die Küken von seinem Vertragspartner Wiesenhof, eine der bekanntesten Marke der PHW-Unternehmensgruppe, bekommt, ernähren sie sich noch von ihrem Dottersack.

In der Mastanlage ist es warm. Löhr hat den Stall auf 36 Grad Celsius geheizt, um die Glucke zu simulieren. „In den ersten Stunden, wenn sie hier sind, darf man kein zu lautes Geräusch machen“, erzählt er. Sonst sammelten sich automatisch Tausende Küken um ihn, die Löhr als Mutter erkennen würden. „Die suchen sich dann ja einen Mutter-Ersatz“, erklärt er. Heute knubbeln sich die 50 Gramm schweren Küken noch in der hintersten Ecke des Stalls, erst in den nächsten Tagen werden sie nach und nach den ganzen Stall für sich einnehmen. Sobald sie älter und schwerer werden, wird der Stall enger. Und der Geruch intensiver.

Landwirt Löhr verbringt täglich rund 20 Minuten mit der Dokumentation in seiner Mastanlage.
Landwirt Löhr verbringt täglich rund 20 Minuten mit der Dokumentation in seiner Mastanlage. © BestPixels.de | Philipp Ziebart

Die Masthühner haben nur ein kurzes Leben vor sich: Rund ein Viertel der Hühner wird schon nach 33 Tagen mit 1,8 Kilogramm Körpergewicht „ausgestallt“ – also zur Schlachtung abgeholt. Sie werden später als „Griller“ oder als tiefgefrorenes ganzes Hähnchen verkauft. „Die anderen haben nach 40 Tagen ihr Endgewicht erreicht, dann kommt die Endausstallung“, erklärt Löhr. Sie haben dann ein Gewicht von rund 2,6 Kilo erreicht und kommen in die sogenannte Teilvermarktung, werden also in Filetstücke, Schenkel und Flügel zerlegt. Der Küken-Lieferant Wiesenhof nimmt Löhr die Mast-Hähnchen auch wieder ab. Im Anschluss reinigt und desinfiziert ein Unternehmen rund neun Stunden den Stall, danach steht er eine Woche zur Auslüftung leer. „Danach kommen die neuen Gäste“, so Löhr. Pro Jahr produziert der Groß Denkter rund 266.000 Masthühner.

„Bei der Großproduktion gibt es kein Verhältnis zum Einzeltier“, sagt er nüchtern. Die Hühner sind für Löhr betriebswirtschaftliche Größen, die er so optimiert wie möglich zur Schlachtreife bringt. Aber eben auch so tiergerecht wie möglich. „Wenn der Fängertrupp kommt, um die Tiere auszustallen, achten wir schon darauf, dass sie zart mit ihnen umgehen“, sagt Löhr.

Löhr: Ich bin kundenorientiert

Er sei kundenorientiert in seiner Form der Landwirtschaft. Trotz zunehmenden Vegetarismus würde eine große Zahl der Menschen Fleisch als ein Stück Lebensqualität ansehen. Tatsächlich ist der Hunger auf Geflügelfleisch in Deutschland riesig und hat im vergangenen Jahr noch einmal zugelegt. 2018 hat jeder Bundesbürger durchschnittlich 22,2 Kilogramm Geflügelfleisch gegessen, wie aus Zahlen des Bundeslandwirtschaftsministeriums hervorgeht. Insgesamt haben die Deutschen 1,84 Millionen Tonnen Geflügelfleisch verbraucht – ein Plus im Vergleich zum Vorjahr von 1,3 Kilo. Deutschland kam damit auf knapp 1,6 Millionen Tonnen Schlachtmenge in 2018 – 1997 waren es noch 680.000 Tonnen, etwa die Hälfte.

Doch zurück zu den Subventionen der EU: Derzeit werden diese in einem Zwei-Säulen-System verteilt. Die erste Säule umfasst Direktzahlungen, die an die Größe der Höfe gebunden ist. Je mehr Hektar ein Landwirt bewirtschaftet, desto mehr Geld erhält er – eine Flächenprämie. Die zweite Säule umfasst gezielte Förderprogramme für eine umweltschonende Bewirtschaftung der Flächen und fördert beispielsweise ökologischen Landbau. Landwirt Löhr erhielt aus diesem Fördertopf nur eine verschwindend geringe Summe.

Die Direktzahlungen der ersten Säule sind gekoppelt an Mindeststandards, zum Beispiel im Bereich der Kulturpflanzenvielfalt. Außerdem müssen Landwirte erstmals seit der letzten EU-Reform der „Gemeinsamen Agrarpolitik“ (kurz: GAP) in 2013 mindestens fünf Prozent ihrer Fläche als ökologische Vorrangfläche nutzen, also beispielsweise Blühstreifen anlegen. Das fällt unter das sogenannte Greening.

Löhr legt Blühstreifen auf rund 5,5 Prozent seiner Fläche an, um sicherzugehen, nicht durch die zentimetergenauen Regulierungsmaschen der EU zu fallen. „Dann schlafe ich ruhiger“, sagt der Landwirt. Zugleich, sagt er, tue es einem Landwirt „schon weh“, auf einen Boden, der 95 von 100 Bodenpunkte habe, einen Busch zu pflanzen. Aber wirtschaftlich lohnen sich die Greening-Maßnahmen für den Landwirt: „Wenn es das nicht gäbe, hätte ich 85 Euro pro Hektar weniger“, sagt Löhr.

Löhr: Mit weniger Maßnahmen sind weniger Fehler möglich

Bündnis 90/ Die Grünen, Umweltverbände und nicht zuletzt das Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei mit Sitz in Braunschweig, kritisieren die Förderpolitik der EU seit Jahren, weil sie angesichts schrumpfender Insektenvielfalt und erhöhten Nitratwerten im Grundwasser viel zu wenig Anreize für eine nachhaltige Landwirtschaft schaffe. Die Auswirkungen des Greenings auf Biodiversität und Klimaschutz dürften gering sein, kommentierte etwa das Thünen-Institut die Reform 2013.

Löhr hingegen treibt vor allem die überbordende Bürokratie der EU um. So müsse etwa die Aussaat der Blühpflanzen bis zu einem bestimmten Datum erfolgen, sonst gebe es Abzüge bei den Zahlungen. „Die fristgerechte Aussaat ist aber nicht immer möglich, weil das Wetter nicht mitspielt oder der Boden noch nicht bereit ist“, so Löhr. Er wünscht sich von der Subventionspolitik einen abgespeckteren Maßnahmenkatalog und eine effizientere Verteilung der Mittel. „Dann sind auch weniger Fehler und Strafen möglich“, so der Landwirt.

Am Zwei-Säulen-Modell – und damit auch an der pauschalen Flächenprämie – will die EU auch mit der nächsten GAP-Reform ab 2021 festhalten. Allerdings wird sie weniger Geld für die Landwirtschaft ausgeben, unter anderem weil Großbritannien durch den Brexit als Nettobeitragszahler zum EU-Haushalt wegfällt. „Der Kuchen wird für die Landwirtschaft kleiner“, kommentiert Löhr die Entwicklung.

Reformen der EU-Subventionen werden derzeit verhandelt

Die Greening-Maßnahmen sollen zudem durch neue Öko-Regelungen, sogenannte Eco-Schemes, ersetzt werden. Sie sollen auf nationaler Ebene von den EU-Mitgliedsstaaten entwickelt werden und ebenfalls aus der ersten Säule finanziert werden. In welcher Höhe, ist allerdings noch unklar. Für die Landwirte sollen diese Maßnahmen außerdem freiwillig sein. Löhr glaubt: Wenn diese Zahlungen nicht nur Ausgleichszahlungen sind, sondern dem Landwirt einen ökonomischen Mehrwert bringen, schaffen sie die richtigen Anreizen. Ob er dann auch mehr Umweltschutzmaßnahmen durchführen würde? „Im Prinzip schon“, sagt Löhr. Aber das hänge noch von der genauen Ausgestaltung der Maßnahmen ab.

Noch ist die Reform mitten in der Abstimmung zwischen EU-Parlament und Mitgliedsstaaten – und könnte von den EU-Parlamentswahlen durchkreuzt werden.