Ehra-Lessien. Die neuen Funktionen werden großteils am Computer getestet. Doch wie gut ist gut genug für den echten Verkehr?

Plötzlich taucht auf der Fahrbahn ein liegengebliebenes Auto auf – bremsen oder schnell auf die andere Spur wechseln? Das Auto wechselt ohne zu bremsen die Spur. Die Entscheidung hat allerdings nicht der Fahrer getroffen, sondern der Wagen hat selbst erkannt, dass genug Platz vor dem nachfolgenden Auto bleibt. Ebenfalls selbständig wechselt das Fahrzeug die Spur.

Der Fahrer könnte in Zukunft währenddessen zum Beispiel ein Buch lesen. Die Technik für solche hochautomatisierten Fahrmanöver ist entwickelt. Doch wie lässt sich nachweisen, dass sie zuverlässig, also sicher funktioniert? Das wird künftig Voraussetzung für die Zulassung von Autos sein, die immer stärker automatisiert werden, bis sie sogar irgendwann ganz autonom fahren sollen.

Theoretisch sechs Milliarden Testkilometer nötig

Das Problem: Theoretisch wären für eine einzige hochautomatisierte Fahrfunktion, wie etwa den Spurwechsel, nach Angaben von DLR-Verkehrsvorstand Professor Karsten Lemmer sechs Milliarden Testkilometer nötig, um alle möglichen Verkehrssituationen abzudecken. Deren Vielfalt ist enorm, ein tödlicher Unfall zum Beispiel passiere auf deutschen Straßen statistisch gesehen nur alle 80 Millionen Kilometer. Sechs Milliarden Testkilometer würden allerdings sowohl zeitlich und finanziell den Rahmen der Hersteller sprengen als auch die Kapazitäten der Teststrecken.

Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat deshalb gemeinsam mit 16 Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft – darunter VW, Daimler, BMW, Opel, Continental, Bosch und Tüv Süd – für die Tests von automatisierten Fahrfunktionen eine neue Herangehensweise entwickelt. Die Ergebnisse ihrer dreieinhalbjährigen Forschung und Entwicklung stellten die Forscher nun auf dem VW-Testgelände in Ehra-Lessien rund 300 Fachleuten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik vor. Die Methode soll eine einheitliche Bewertung ermöglichen, ob eine Fahrfunktion wie der selbständige Spurwechsel sicher funktioniert. Bislang gingen die Hersteller unterschiedlich vor.

Autonomes Fahren - eine Testfahrt

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    Gemeinsam kamen sie zu dem Ergebnis, dass systematisch bestimmte Szenarien ausgewählt und überprüft werden müssten, da nicht alle denkbaren Konstellationen getestet werden können. Der Großteil der Tests findet dabei am Computer statt, also per Simulation. Algorithmen sollen kritische Situationen identifizieren, die zusätzlich auf dem Prüfgelände und später im echten Verkehr überprüft werden müssen. Klappt der Spurwechsel auch in der Realität, nicht nur in der Simulation? Die Forscher testen dabei verschiedene Varianten, zum Beispiel auch, ob das selbstfahrende Auto wartet, wenn die Lücke zwischen zwei Autos nicht groß genug für den Spurwechsel ist. In Ehra-Lessien bremst der Wagen in diesem Fall wie vorgesehen und wartet ab, bis die anderen Autos auf der linken Spur vorbeigefahren sind. Wenn keine Menschen neben der Teststrecke stehen, wird der selbständige Spurwechsel auch mit Autobahn-Geschwindigkeiten getestet, also bei bis zu 130 Kilometern pro Stunde.

    Internationales Interesse schon während der Projektlaufzeit

    Bisher ist hier das Verhalten des Menschen am Steuer entscheidend, in Zukunft soll das Auto entscheiden – zum Beispiel auch, wenn ein Eichhörnchen oder aber ein Mensch auf die Straße läuft. Für die künftige Zulassung automatisierter Fahrzeuge versuchen die Forscher, mit ihren Tests möglichst viele Konstellationen abzudecken, unter anderem von Fahrspurverlauf, Fahrgeschwindigkeiten, Umgebungsverkehr oder Wetter. Dafür haben sie ihre systematische Herangehensweise entwickelt, die für alle Fahrfunktionen anwendbar sein soll: Zunächst sammeln sie die Anforderungen an die jeweilige Fahrfunktion, erheben relevante Verkehrssituationen auf Basis von zum Beispiel Unfalldaten, verarbeiten diese in einer zentralen Datenbank, die wiederum Testfälle generiert, und erproben schließlich.

    Dabei sind neben zahlreichen technischen Parametern auch „softe“ Variablen zu berücksichtigen. Dazu zählt unter anderem, wie Mensch und Maschine interagieren, wann etwa der Fahrer wieder selbst das Steuer übernimmt. Und was könnte beispielsweise passieren, wenn der Umgebungsverkehr falsch auf das selbstfahrende Auto reagiert? Durch welche Signale ließe sich das vermeiden? Unter welchen Voraussetzungen werden Menschen selbstfahrende Fahrzeuge überhaupt akzeptieren?

    Autonomes Fahren - das Forschungsprojekt Pegasus

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    Schon während der Laufzeit habe das Projekt internationales Interesse geweckt, berichtete Lemmer, einer der beiden Projekt-Koordinatoren. Das sei ungewöhnlich; der Professor geht deshalb davon aus, dass die Methode in die künftige Standardisierung zur Zulassung hochautomatisierter Fahrzeuge einfließen wird. Diese ist eine enorme Herausforderung – in den USA sind bereits mehrere tödliche Unfälle mit selbstfahrenden Autos passiert.

    Technik soll besser als der Mensch sein

    Dabei ist das Ziel, dass die Technik eine kritische Verkehrssituation besser meistert als der Mensch. Das hat die vom Bundesverkehrsministerium eingesetzte Ethik-Kommission vorgegeben. Finanziell gefördert wurde das in Ehra-Lessien vorgestellte Projekt „Pegasus“ auch vom Bundeswirtschaftsministerium: mit knapp der Hälfte der Gesamtkosten von 34,5 Millionen Euro.

    Den finalen Nachweis, ob sich das Auto in einer brenzligen Situation richtig verhält, kann letztlich nur das tatsächliche Verhalten im echten Straßenverkehr erbringen. Teilprojektleiter Daniel Lipinski, der bei VW das Team für die Absicherung automatisierter Fahrfunktionen leitet, sagte: „Wir bringen die Argumente, von denen wir glauben, dass sie in Summe zeigen, dass eine Funktion sicher ist.“ Lemmer: „Es ist ein sehr komplexes Thema, aber wir haben die Weichen gestellt: Wir haben die Grundlagen entwickelt, wie die Systeme künftig abgesichert werden können.“