Braunschweig. Der Einkaufschef der Bahn, Uwe Günther, betont im Interview mit unserer Zeitung: Die Qualität ist wichtiger als der Preis.

Uwe Günther leitet die Beschaffung, also den Einkauf der Deutschen Bahn – vom Bleistift bis zum ICE, auch für die Töchter Schenker und Arriva. Davor leitete der 61-Jährige jahrelang den strategischen Einkauf bei Siemens in Braunschweig. Am Donnerstag berichtete er bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Braunschweig von seiner Arbeit. Im Interview mit unserer Zeitung wies er zuvor den Vorwurf zurück, die Bahn achte beim Einkauf vor allem auf den Preis.

Unsere Region bildet mit Standorten von Siemens, Alstom und Bombardier ein Zentrum der Bahn-Industrie – wie oft kaufen Sie hier ein?

Faktisch täglich. Siemens ist mit dem Standort Braunschweig ganz maßgeblich an der Leit- und Sicherheitstechnik beteiligt, dort kaufen wir jährlich für einen dreistelligen Millionenbetrag ein. Wir haben sogar eigene Ingenieure im Braunschweiger Siemens-Werk, um uns auszutauschen. Außerdem entwickeln wir gemeinsam eine neue digitale Stellwerksgeneration. Ich möchte fairen und transparenten Wettbewerb, mich aber natürlich auf die Systemanbieter konzentrieren. Dazu gehört neben Siemens im Fahrzeugsektor Alstom, ein hervorragender Lieferant bei Produkt, Lieferzeit und auch Kosten.Das sind die drei Elemente, nach denen wir einkaufen. Viele verbinden den Einkauf mit Preisreduktion, das ist nicht unser Fokus. Wir kaufen in erster Linie nach Qualität ein, die technische Expertise muss da sein. Daneben sind Lieferzeit und -treue entscheidend sowie natürlich die Kosten. Und ganz entscheidend ist die Nachhaltigkeit. Unter dieser Gesamtbetrachtung wählen wir die Lieferanten aus. Auch Unternehmen wie BBR Verkehrstechnik in Braunschweig können uns beliefern. Wir haben als DB mehr als 18.000 Lieferanten. 620 davon übernehmen 80 Prozent des Einkaufsvolumens.

Wo kaufen Sie denn am meisten ein, und welche Rolle spielen dabei asiatische Unternehmen? Werden Sie tatsächlich immer mehr zur Konkurrenz für zum Beispiel deutsche Hersteller? Die Bahn hat ja vor kurzem sogar zum ersten Mal eine Lok in China bestellt.

Wir wollen fairen und transparenten Wettbewerb weltweit. Dafür haben wir ein strukturiertes Lieferanten-Management. Zunächst gucken wir auf die Qualifikation. Wenn ein Unternehmen geeignet ist, überprüfen wir durch Audits, weltweit. Bestimmte Anforderungen erfüllen gerade im asiatischen Bereich eine Menge Anbieter. Im Vergleich zu den traditionellen Anbietern aus Europa und Deutschland erfüllt aber erst ein verschwindend geringer Teil die deutschen Zulassungsvoraussetzungen. Erste kleinere Aufträge haben wir in China geordert, fünf kleine Lokomotiven und einige Güterwagen, aber in erster Linie, weil aus Europa keine Angebote kamen.

Wir haben jedoch ein Beschaffungsbüro in Shanghai. Auch wenn unsere Hauptlieferanten zu knapp 90 Prozent in Deutschland ansässig sind, beschaffen wir zunehmend auf internationalen Märkten. Außerhalb Europas legen wir dabei den Schwerpunkt unserer Lieferantenentwicklung auf Asien. Der Logistikbereich der Bahn, DB Schenker, ist in mehr als 70 Ländern aktiv. Hier beschaffen wir zum Beispiel international Gabelstapler.

Was hätten Sie von der Fusion von Alstom mit der Siemens-Bahnsparte gehalten?

Als Einkäufer haben wir erst einmal festgestellt, dass es weniger Wettbewerb gegeben hätte. Aus technischer Sicht wäre es sicherlich interessant gewesen, wie aus ICE und TGV der beste Hochgeschwindigkeitszug der Welt entstanden wäre. Die Option besteht aus meiner Sicht aber trotzdem.

Im Salzgitteraner Alstom-Werk bangen zurzeit hunderte Mitarbeiter um ihre Stellen, weil eine Auftragsdelle bei Regionalzügen erwartet wird. Der Betriebsrat kritisiert, dass die Kunden vor allem auf den Preis achteten, und so die Produktion in Deutschland aufs Spiel setzen. Was entgegnen Sie?

Wir achten eben nicht nur auf den Preis. Qualität, Nachhaltigkeit und Lieferzeit sind ganz entscheidend, alle drei Elemente im Optimum. Da gehört Alstom zu den leistungsfähigen Lieferanten. Doch wir sind im Regionalverkehr in erster Linie von den Verkehrsverträgen abhängig. Die Deutsche Bahn fährt ja nur auf Strecken, die im Wettbewerb durch die Länder vergeben werden. Wir haben gerade das Netz Elbe-Spree gewonnen. Aber wir haben auch große Aufträge verloren, auch in Niedersachsen, weil uns in Deutschland inzwischen mehr als 300 Eisenbahnverkehrsunternehmen Konkurrenz machen. Auf deren Einkauf haben wir keinen Einfluss. Der Wettbewerb ist politisch gewollt und soll dem Kunden zugute kommen. Ich bin allerdings überzeugt, dass ein Standort wie Salzgitter sich allein wegen der Kompetenz immer behaupten wird.

Wie genau entscheiden Sie sich für einen Lieferanten?

Wir überprüfen sogenannte Eignungskriterien. Zur Beschaffungsorganisation der DB gehören zum Beispiel mehr als 200 Qualitätsingenieure, die sich bei Lieferanten laufend einen Überblick verschaffen. Qualität ist am Ende entscheidend, denn der Bahnbetrieb muss sicher sein. Da machen wir keine Abstriche, egal ob Schwelle, Schiene, Schotter oder Züge bis hin zu den Dienstleistungen. Und natürlich muss ein Produkt pünktlich geliefert werden. Für ein Stellwerk sind zum Beispiel bis zu 25.000 Einzelteile nötig, die ein Hersteller zu einem fertigen Produkt zusammenfügen muss. Selbstverständlich gibt es auch klare Kostenziele.

Erhalten Werke in Deutschland heute weniger Aufträge?

Meiner Meinung nach nicht. Es ist natürlich auch eine Entscheidung der Lieferanten, wo sie produzieren. Sie müssen sich dem internationalen Wettbewerb stellen – übrigens auch, die geforderten neuen Technologien in ihre Fahrzeuge zu bringen. Wir erwarten außerdem, dass uns innovative Angebote gemacht werden. Das ist anders als etwa in der Autoindustrie, wo Sie sich per Konfigurator einen Neuwagen selbst zusammenstellen können. Warum gibt es das nicht für Lokomotiven? Die Schienenfahrzeug-Industrie entwickelt meist erst, wenn ein Auftrag ausgeschrieben ist. Hier würde ich mir mehr Mut der Hersteller wünschen. Wir müssen jetzt den Bahnbetrieb digitalisieren, um bis 2030 die Verdopplung der Fahrgastzahlen im Fernverkehr – im bestehenden Netz -- zu schaffen. Wir wollen 25 Prozent mehr Züge auf dem bestehenden Gleisnetz einsetzen. Das ist nur zu schaffen, wenn wir die gesamten Prozesse digitalisieren und schneller werden. Dann werden wir übrigens auch pünktlicher werden. Und wir wollen mehr Güter auf die Schiene bringen und damit einen wesentlicheren Beitrag zum Klimaschutz bringen.

Wie laufen Ihre Ausschreibungen grundsätzlich ab?

Dafür gibt es das öffentliche Vergaberecht. Wir stellen grundsätzlich eine Anfrage an den Markt und jeder, der qualifiziert ist, kann sich bewerben. Wir sprechen mit unseren Lieferanten aber schon vor der Vergabe über unsere Anforderungen. Wir legen vor dem Wettbewerb Eignungskriterien fest und führen eine Präqualifikation durch. Nur wer diese erfüllt, nimmt am Wettbewerb teil. Es gibt Grenzen, ab wann wir deutschlandweit ausschreiben müssen, europaweit zum Beispiel Bauleistungen ab 5,4 Millionen Euro. Wir versuchen auch, das Risiko zu senken, indem wir Aufträge auf mehrere Anbieter verteilen.

Viele Kunden ärgern sich über die zahlreichen Verspätungen der Bahn, ein häufiger Grund sind technische Probleme. Kaufen Sie also doch mangelhafte Qualität?

Nein, auf keinen Fall. Alle Produkte werden einem Test unterzogen. Natürlich ist die Anwendung in der Größe unseres Netzes und bei den verschiedenen Witterungsbedingungen immer wieder schwierig, wie zum Beispiel bei den Klimaanlagen. Nach dem letzten Sommer haben wir Lehren gezogen und unsere technischen Anforderungen verändert. Wir erwarten auch, dass die Industrie entsprechende Vorschläge macht. Wir wollen uns unbedingt verbessern, indem wir gemeinsam mit den Lieferanten bessere technische Lösungen finden. Der ICE 4 ist ein gutes Beispiel.

Eine besondere Herausforderung ist, dass Fern-, Nah- Güter- und S-Bahn-Verkehr im selben Netz fahren. Das ist weltweit einmalig.

Bei der Infrastruktur herrscht Sanierungsstau. Haben Sie falsche Prioritäten gesetzt?

Das glaube ich nicht. Wir investieren so viel wie noch nie, um nachhaltig zu wachsen. Wir haben zum Beispiel noch 95 verschiedene Stellwerkstypen im Einsatz, die nicht sofort ersetzt werden können. Die Regierung hat anerkannt, dass investiert werden muss, das steht auch im Koalitionsvertrag. Das wird aber mehrere Jahre dauern. Wir wollen vor allem dem Fahrgast besseren Komfort bieten.

Wie viel Geld geben Sie wofür aus?

Die Beschaffung gliedert sich in drei Bereiche. Für die Infrastruktur geben wir im Jahr mehr als 8 Milliarden Euro aus, für 50.000 bis 60.000 Aufträge. Für Fahrzeuge und Ersatzteile haben wir im vergangenen Jahr rund 4 Milliarden Euro ausgegeben. Das schwankt stark, je nachdem, ob wir Fahrzeuge kaufen. Im allgemeinen Einkauf – vom Büromaterial über Dienstleistungen bis zu Software – kommen wir auf etwa 3 Milliarden Euro. Der Großteil unserer Lieferungen kommt dabei aus Deutschland.

Die Bahn soll immer mehr für klimafreundliches Reisen stehen – wie werden Sie diesem Anspruch beim Einkauf gerecht?

Wir haben eine Branchen-Initiative, wo wir nicht nur die ökologische, sondern gesamte Nachhaltigkeit in der Lieferkette betrachten und die Prozesse anpassen. Ein entsprechendes Zertifikat empfehlen wir derzeit auch unseren Lieferanten und planen, die Zertifizierung in ein bis zwei Jahren verpflichtend einzuführen. Ökologie-Vorreiter zu sein, ist seit Jahren Teil unserer Strategie.

Welche Antriebe werden sich bei den Zügen künftig durchsetzen? Aus Salzgitter stammt der erste Wasserstoffzug, der inzwischen auf deutschen Schienen fährt…

Ich bin der Überzeugung, dass darüber der Markt entscheiden wird. Das hängt auch vom Anwendungsfall ab, ob die Züge zum Beispiel im Regionalverkehr eingesetzt werden. Der Wasserstoffzug ist technologisch hochinteressant. Ich glaube, die Chancen stehen gut, ihn in entsprechender Menge zu produzieren – und dass wir gemeinsam mit Alstom einem Aufgabenträger empfehlen können, einen Auftrag entsprechend auszuschreiben. Die Länder schreiben ja die Verkehrsverträge für bestimmte Strecken aus. Diese legen durch Kriterien fest, welche Fahrzeuge zum Einsatz kommen können.

Wie verändert die Digitalisierung die Beschaffung?

Enorm. Bei der Betonschwellen-Produktion zum Beispiel können uns Lieferanten schon jetzt Temperaturdaten digital übermitteln, ohne dass unsere Ingenieure vor Ort sein müssen. Das bringt beiden Seiten Vorteile: Die Produktionszeit wird kürzer, ebenso die Lieferzeit. Unser Ziel ist, von der digitalen Ausschreibung über digitale Angebote und Bestellungen bis zur Rechnung alles komplett elektronisch abzuwickeln. Wir haben zudem einen internen digitalen Marktplatz, bei dem beispielsweise Bürobedarf bestellt werden kann. Auch Fahrzeug-Ersatzteile sollen später in das Portal aufgenommen werden.

Wann werden Züge ohne Lokführer durch Deutschland fahren?

Das wird noch einige Jahre dauern. Automatisiertes Fahren von Zügen ist ein hochkomplexer Prozess. Zum einen müssen technische und zulassungsrechtliche Voraussetzungen erfüllt sein. Zum anderen gilt es, die digitalen Technologien, die für das autonome Fahren benötigt werden, zu testen und in das Gesamtsystem zu integrieren. In Hamburg haben wir schon ein Pilotprojekt mit der S-Bahn und den Herstellern Siemens und Bombardier. 2021 sollen dort auf bestimmten Strecken S-Bahnen hochautomatisiert fahren. Der Triebfahrzeugführer übernimmt eine überwachende Funktion und greift nur bei einer Störung oder Gefahrensituation ein.