Braunschweig. 150 Experten aus Industrie und Forschung diskutieren in Braunschweig.

Die Diesel-Debatte und strengere Abgas-Vorgaben haben die Elektromobilität massiv befeuert, Deutschland steht nun kurz vor der breiten Serienproduktion reiner E-Autos. Doch wie gelingt es, die Fahrzeuge von der Nische in den Massenmarkt zu bringen? Darüber diskutieren rund 150 Experten aus Industrie und Wissenschaft seit Mittwoch zwei Tage lang in Braunschweig. Selbst Fachleute sind unsicher, wann wie viele Stromer auf deutschen Straßen fahren werden.

Die Probleme werden bereits seit Jahren diskutiert, sind aber nicht gelöst. Als Knackpunkt gilt die Ladeinfrastruktur, die nach wie vor nicht flächendeckend ist, auch wenn sie inzwischen ausgebaut wird. Außerdem wurde die Reichweite der E-Autos zwar deutlich stärker gesteigert als erwartet, wie Tagungsleiter Markus Henke berichtet, Leiter des TU-Instituts für elektrische Maschinen, Antriebe und Bahnen. Doch nach wie vor sind die Stromer im Vergleich zu Wagen mit Verbrennungsmotor teurer.

Im mittleren Preissegment liegt die Reichweite eher bei 300 Kilometern, wie Professor Burghard Voß klarstellte, „Senior Vice President“ für Getriebe und Hybrid-Systeme bei IAV – und zwar bei „angepasster“ Fahrweise. Von der bisherigen Nutzung der deutschen Autobahnen müsse man sich verabschieden. Der Ingenieurdienstleister, der auch Standorte in Gifhorn und Braunschweig hat, ist Hauptsponsor der Fachtagung „Hybrid- und Elektrofahrzeuge“. Das Netzwerk „ITS Mobility“ mit Sitz in Braunschweig richtet diese bereits seit 16 Jahren aus, unterstützt von der TU Braunschweig.

ITS-Vorstandschef Thomas Krause ärgert die in der Öffentlichkeit betonte „Reichweiten-Angst“. Schließlich führen die Deutschen im Schnitt 60 Kilometer pro Tag – mit einem E-Auto also kein Problem. 1000 Kilometer fahre ohnehin niemand am Stück. Henke stimmte grundsätzlich zu, allerdings wollten die Kunden heute für das gleiche Geld auch die gleiche Reichweite wie bei einem Verbrenner.

Die Batterieforschung arbeitet an einer besseren Ladefähigkeit, höheren Lebensdauer sowie Sicherheit und Nachhaltigkeit, wie es vom ITS hieß. Bei der Zellfertigung würden inzwischen neue Materialien genutzt, um eine höhere Nachfrage bedienen zu können. Wenn tatsächlich 2025 ein Viertel der Neuzulassungen elektrisch sein wird, würde es laut Voß Engpässe bei den nötigen Materialien, vor allem Cobalt, geben.

„Die Zukunft ist elektrisch“, glaubt Krause, die Wissenschaft sei so weit. Doch wann es in welchem Umfang so weit sein wird, wisse keiner. Deshalb sei die konkrete Planung für Industrie und Kunden so schwierig. „Wir brauchen Verlässlichkeit, dass die Investitionen im Markt verfangen“, sagt Krause. Die Unsicherheit ist Voß zufolge groß. Wirtschaft und Wissenschaft sehen hier auch die Politik in der Pflicht, die Stromer attraktiver zu machen.

Vor allem muss es nach Meinung von Henke möglich sein, über Nacht sein E-Auto zu laden, auch auf öffentlichen Parkplätzen. Auch die Gesetzgebung hängt laut Krause bei der E-Mobilität noch hinterher, etwa bei Bauvorschriften. Für Kommunen sei der Aufbau einer Ladeinfrastruktur trotz Förderung teuer. „Das macht eine Kommune nicht ohne konkreten Versorgungsauftrag.“ Auch die Mineralölindustrie werde wohl irgendwann Strom zum Tanken anbieten.

Ein klarer Vorteil der E-Autos: Wird die Stromerzeugung „grüner“, verbessert sich sofort die Bilanz der gesamten Flotte, wie Voß feststellte – während sich bei Verbrennern die älteren Modelle kaum verbessern lassen. Eine Alternative mit höherer Reichweite wären Brennstoffzellen-Fahrzeuge. Doch deren Ladeinfrastruktur liegt noch weit hinter der für E-Autos zurück. Zudem machen etwa die Dauerbelastbarkeit und Kosten noch Probleme. Voß kann sich die Wasserstoffmobilität eher für Langstrecken-Lkw vorstellen; denn für Batterien wäre deren nötige Energiemenge zu groß.