Dresden. Der Konzern setzt auf Veränderung: Die E-Autos sollen VW in eine neue Ära katapultieren, in eine Zeit sauberer Mobilität.

Die Köder sind Technik, Emotionen, Moral, Umweltbewusstsein und natürlich Geld: Seit vergangenem Jahr schon erhöht VW die Schlagzahl in der Kommunikation, um für die Elektromobilität zu werben. Mit gutem Grund: In der zweiten Jahreshälfte startet zunächst in Zwickau die Produktion des ID. Dieses Auto im Golf-Format ist das erste Modell einer völlig neuen, rein elektrisch angetriebenen Fahrzeuggeneration. Aus dem in Zwickau produzierten Ur-ID. soll schrittweise eine ganze ID.-Familie werden – mit Einstiegsmodell, SUV und Oberklasse-Variante.

Diese Autos sollen VW in eine neue Ära katapultieren, in eine Zeit sauberer Mobilität, in eine Zeit der digitalisierten Mobilität. Mit dieser Strategie ist VW längst nicht allein, die Wolfsburger entwickeln sich aber zum Schrittmacher. Bis 2023 wird allein die Marke VW nach eigenen Angaben neun Milliarden Euro in die E-Mobilität investieren. Dafür gibt es in erster Linie wirtschaftliche Gründe: In der EU werden die CO2-Grenzwerte verschärft. Wer sie nicht einhält, dem drohen hohe Strafen. Außerdem – und das ist noch gewichtiger – muss VW in China mithalten, um auf seinem größten und wichtigsten Markt nicht abgehängt zu werden. China ist weltweit der Treiber der E-Mobilität – dafür sorgen staatliche Vorgaben. Die Wolfsburger müssen also mit entsprechenden Modellen antworten. Diese beiden Aspekte führen in der VW-Argumentation für die E-Mobilität außerhalb von Vorstands-Stellungnahmen allerdings ein Nischendasein. Das galt auch für eine Presseveranstaltung am Freitag in der Gläsernen Manufaktur in Dresden. Dort wurde bis vor zweieinhalb Jahren noch der Phaeton gebaut, das damalige Verbrenner-Flaggschiff der Wolfsburger. Heute wird im Premium-Ambiente der E-Golf produziert.

Ziel der Veranstaltung war, die Botschaft von VW zu vermitteln, dass nicht nur die Autos der ID.-Familie CO2-neutral fahren, vorausgesetzt, sie werden mit Strom aus erneuerbaren Energien geladen. Vielmehr wollen die Wolfsburger bis 2050 die gesamte Kette von der Beschaffung über Produktion und Lebensdauer bis hin zur Wiederverwertung CO2-neutral aufstellen. Ein sehr ehrgeiziges Ziel, ohne Frage.

Zur Einstimmung beschrieb Georg Kell die Ausgangslage. Kell ist Sprecher des VW-Nachhaltigkeitsbeirats und Gründungsdirektor des Global Compact der Vereinten Nationen. Dabei handelt es sich um eine Vereinbarung zwischen den Vereinten Nationen und Unternehmen, die Wirtschaft sozialer und ökologischer auszurichten. Kell betonte, dass sich die Erderwärmung beschleunige und sie keine These mehr, sondern „wissenschaftliche Realität“ sei. Nur eine rasches Verringern des CO2-Ausstoßes könne eine weitere Erwärmung unseres Planeten vermeiden. Das beste Mittel dafür sei die Elektrifizierung auf breiter Front – vor allem der industriellen Produktion, aber auch der Mobilität. Neben der Digitalisierung sei die Dekarbonisierung – also das Verringern von Kohlenstoff, vor allem Kohle und Öl – die größte Herausforderung für die Unternehmen. Kell ließ aber keinen Zweifel daran, dass der Umgang mit Ressourcen in Zukunft ein entscheidender Wettbewerbsfaktor wird.

Ohne es auszusprechen, formulierte Kell eine moralische Verantwortung, die der Wirtschaft zukommt. Diesen Aspekt griff Ralf Pfitzner, der im VW-Konzern das Thema Nachhaltigkeit verantwortet, auf. „Wir haben den Anspruch, ein Teil der Lösung zu sein“, sagte er. Daher bekenne sich der Autobauer zu den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens, das vorsieht, die Erderwärmung nicht über zwei Grad Celsius steigen zu lassen. VW werde nicht nur bei den Modellen ansetzen, sondern auch in der Produktion und bei seiner Infrastruktur wie etwa den Kraftwerken.

Nach diesen grundsätzlichen Feststellungen erläuterten VW-Manager, wie das Ziel der CO2-Neutralität erreicht werden soll. Christian Senger, Chef der Baureihe der Elektromodelle, bezog sich zunächst auf die Modellpolitik. Er unterstrich, dass mit Blick auf die CO2-Ziele derzeit kein Weg an E-Autos vorbeiführe. Wegen des geringeren Energiebedarfs seien sie sauberer auch als Brennstoffzellen-Autos.

Nach Zwickau als erstem Werk für die E-Auto-Fertigung würden die Werke Dresden, Emden, Hannover sowie insgesamt vier Fabriken in Tschechien, in den USA sowie in China für die neuen Modelle umgerüstet. VW wird sie über die nächsten Jahre schrittweise vorstellen. Die Planung sah zunächst vor, dass in der sogenannten ersten Welle zehn Millionen Autos gebaut werden. Senger korrigierte die Zahl nun nach oben – auf 15 Millionen. Als Gründe nannte er den starken Händlerzuspruch, zusätzliche Modelle und den Bedarf in China. Senger riet zur Eile: „Die Veränderung muss jetzt beginnen“, sagte er. Sonst gerate das für 2050 angestrebte Ziel der CO2-Neutralität in Gefahr.

Dieser eher pragmatischen Betrachtung fügte Silke Bagschik, Vertriebschefin der E-Modelle, später noch einen großen Schluck Emotionalität hinzu. VW „kann coole Autos“, die nun auch elektrisch und damit sauber seien. Ein zentraler Beitrag der Wolfsburger zur Entwicklung der E-Mobilität sei, dass sie anders als andere Hersteller – gemeint war wohl Tesla – bezahlbare Autos bauten. Ein ID. werde in etwa so viel kosten wie ein gut ausgestatteter Golf, sei aber im Betrieb deutlich günstiger. Fahrer von Stromern sollen also auch sparen können. Zudem böten die neuen Modelle das besondere Extra, um die Kunden anzusprechen, unter anderem mehr Platz und „sexy“ Proportionen. Bagschiks Fazit: „Hier entsteht etwas Großes.“

So richtig sauber wird ein E-Auto allerdings erst, wenn der Strom zum Laden aus erneuerbaren Energien wie Wind, Sonne und Wasser gewonnen wird. Der Anteil dieses Stroms schwankt von Land zu Land, liegt in Deutschland bei etwa einem Drittel an der gesamten Strommenge. Auch in diesem Sektor will VW aktiv werden und über ein gerade erst gegründetes Unternehmen sauberen Strom verkaufen – der also weder aus Kohle- noch aus Atomkraftwerken kommt. Mit diesem Strom sollen auch die Ladesäulen versorgt werden, die VW mit anderen Autobauern entlang der europäischen Autobahnen aufstellen will. Diese Schritte sollen helfen, die Energiewende zu beschleunigen, sagte Michael Liebert, der beim Autobauer verantwortlich ist für die Nachhaltigkeitsstrategie. Er sagte aber auch, dass das Unternehmen all die Aufgaben nicht allein Schultern könne, sondern Unterstützung der Politik benötige. Dass sich die Wolfsburger aber nicht darauf verlassen wollen, verdeutlichte Martin Roemheld, Leiter der E-Mobilitäts-Dienstleistungen. Um die Nachfrage nach sauberen Strom zu stärken und damit die Erzeugung des Stroms, sollen die Besitzer der VW-E-Modelle Ladesäulen, die mit Strom aus erneuerbaren Energien gespeist werden, gezielt ansteuern können. Es soll also nichts dem Zufall überlassen werden. VW will und braucht die E-Mobilität. Das wird immer wieder deutlich.

Dank dieser einzelnen Bausteine soll schon das erste ID.-Modell CO2-neutral unterwegs sein, wenn der Kunde den entsprechenden Strom lädt. Um die gesamte Kette von der Beschaffung bis zur Wiederverwertung ausgedienter Batterien umzustellen, sind jedoch weitere Schritte erforderlich. Marco Philippi, Leiter der Strategie für die Beschaffung, kündigte an, dass VW für seine Zulieferer eine CO2-Bewertung einführen werde. Einen festen Zeitpunkt gebe es aber noch nicht. Die Lieferanten sollen künftig ebenfalls zur CO2-Reduzierung verpflichtet werden. Allerdings sei das angesichts der 40.000 Zulieferer, mit denen VW zusammenarbeite, eine große Herausforderung, sagte Philippi. „Wir sind nicht da, wo wir sein wollen.“ Die größten Möglichkeiten CO2 einzusparen, sieht er in der Zellfertigung, in der Stahlproduktion und in der Herstellung der Elektro-Motoren. Bereits in diesem Jahr sollen die Lieferanten zu den Punkten Compliance, Umwelt und Soziales bewertet werden. Wer sich nicht an die Vorgaben halte, laufe Gefahr, seinen Auftrag zu verlieren, sagte Philippi.

Auch VW-intern sollen Anlagen und Prozesse noch stärker auf die CO2-Vermeidung ausgerichtet werden, sagte Liendel Chang, Umweltchef in der Produktion. Als Beispiele nannte er die Belüftung, Druckluftanlagen sowie die Lackiererei in den Werken.

Ein weiterer Aspekt ist die Wiederverwertung. „Autos und Batterien sind hervorragende Rohstoffquellen“, sagte Thomas Tiedje, Chef der Technischen Planung in der Komponentenfertigung. Er kündigte an, dass in Salzgitter eine Recyclinganlage errichtet werde. Heute liege die Recyclingquote bei 53 Prozent, in Salzgitter würden 72 Prozent angestrebt. „Das Ziel sind aber 97 Prozent“, sagte er. Bei dieser Quote würde VW nahezu unabhängig von Rohstoff-Lieferanten. Alte, aber noch leistungsfähige Batteriesysteme aus E-Autos sollen zudem ein zweites Leben in einer mobilen Ladestation führen können, die in Hannover gefertigt werden sollen.

Zumindest in der Anfangszeit wird VW bei der Bereinigung der CO2-Bilanz noch nachhelfen müssen. Um tatsächlich auf die Null zuzusteuern, soll es sogenannte Kompensationsprojekte geben. Dazu kann zum Beispiel das Pflanzen von Bäumen gehören. Je nach Art des Projektes müsse das Unternehmen einen ein- bis zweistelligen Beitrag je eingesparte Tonne CO2 investieren, sagte Liebert.