Nord Stream 2 könnte schon Ende 2019 eröffnen.
Nord Stream 2 könnte schon Ende 2019 eröffnen.

Hinter Lubmin verschwinden die beiden Rohre von Nord Stream in den Tiefen der Ostsee, in der Nähe des russischen Wyborg tauchen sie wieder auf – dazwischen kreuzen sie nur einmal dänisches Hoheitsgebiet, sonst bleiben sie in internationalen Gewässern.

Man sieht nicht viel von Nord Stream, dieser Pipeline der Superlative, doch jetzt gibt es Ärger. Die Pipeline bringt seit 2011 riesige Mengen Erdgas direkt nach Deutschland, ohne Umweg über die osteuropäischen Transitländer wie Polen und die Ukraine. Die gut 1200 Kilometer lange Transportader ist mit 55 Milliarden Kubikmetern jährlicher Kapazität schon jetzt eine der leistungsfähigsten Gasröhren der Welt, sie allein kann rechnerisch schon mehr als zwei Drittel des deutschen Gasbedarfs decken.

Nun wird sie noch eine Schwester bekommen, wenn es nach dem russischen Gasmonopolisten Gazprom geht, Hauptaktionär der Nord Stream AG, die die Pipeline betreibt: Nord Stream 2 soll auf ähnlicher Trasse verlaufen und könnte schon Ende 2019 eröffnen. Sie soll etwa neun Milliarden Euro kosten. In Deutschland genießt das Projekt die Rückendeckung der Bundesregierung, von Kanzlerin Angela Merkel bis zum Energieminister Sigmar Gabriel. Und Chefaufseher der Nord-Stream-Gesellschaft ist Altkanzler Gerhard Schröder.

Nord Stream 2 ist kein Infrastrukturprojekt wie andere. Die Leitung würde Europas Energielandkarte neu gestalten – und hätte wohl enorme politische Auswirkungen auf den Osten des Kontinents. Deutschland würde zur zentralen Drehscheibe des europäischen Gashandels aufsteigen.

Die doppelte Nord Stream könnte mehr als zwei Drittel der russischen Gasexporte nach Europa abliefern, die 40 Prozent des Bedarfs der EU-Staaten decken. In Deutschland befinden sich schon jetzt die größten Gasspeicher. Und eine neue innerdeutsche Pipeline – Projektname Eugal – würde das Gas ebenfalls ab 2019 weiterverteilen Richtung Süd- und Osteuropa.

Das ist ein politisch hoch brisanter Umweg. Die Haupttransitländer für russisches Gas – die Ukraine, Polen und die Slowakei – sind empört. Die Slowakei sei „betrogen“ worden, schimpfte etwa Premierminister Robert Fico über Nord Stream 2 und fordert von der EU härtesten Widerstand gegen das Projekt. Denn für die Länder geht es um Milliarden an Einnahmen für den Transit des Russengases. Nord Stream 2 sei für Gazprom ein probates Mittel, um das Problem zu umgehen, von den osteuropäischen Transitländern erpressbar zu sein, sagt Steffen Bukold, Chef des Hamburger Analysedienstes Energy Comment. Auch wenn die zusätzlichen Leitungen selbst sich kaum rechnen sollten, ergebe das Projekt deshalb betriebswirtschaftlich Sinn. Doch das Geld würde bei den Osteuropäern fehlen. „Die Ukraine würde es wirtschaftlich nicht überleben, wenn ab 2019 zwei Milliarden Dollar jährlich an Transitgebühren verloren gehen“, warnt der US-Sonderbeauftragte für Energie, Amos Hochstein.

Die Polen sind partout dagegen

Polen legt dem Projekt Steine in den Weg, wo es nur geht. Vergangenes Wochenende wurde völlig überraschend bekannt gegeben, dass die westlichen Gazprom-Partner, darunter der Ölriese Shell sowie die deutschen Unternehmen Wintershall (eine BASF-Tochter) und Uniper (das demnächst von Eon abgespaltet wird), aus der Projektgesellschaft aussteigen. Sie sollten 50 Prozent an der Pipeline halten. Doch Polen zögerte ein Kartellverfahren, das die betroffenen Unternehmen inoffiziell als „Farce“ beschreiben, hinaus – bis die Firmen genervt aufgaben. Sie suchen nun nach neuen Wegen, um Nord Stream 2 zu unterstützen. Sie könnten zum Beispiel mit Krediten oder der Verpflichtung zum langfristigen Gasbezug zu den Baukosten beitragen.

Während die betroffenen osteuropäischen Länder den Nord-Stream-Ausbau einhellig ablehnen, sehen einige Beobachter die Situation für Europa als gar nicht so schlecht an. „Auch mit der neuen Pipeline ist Russland kein Monopolist, der die Preise bestimmen kann“, sagt Severin Fischer vom Center for Security Studies (CSS) in Zürich. Der Gasmarkt in Europa sei von Überkapazitäten geprägt und enorm flexibel.

So sind zum Beispiel die Anlandeterminals für Flüssiggas, das aus aller Welt per Tanker nach Europa transportiert werden kann, derzeit nur zu etwa einem Viertel ausgelastet. „Gazprom muss auf einem freien Markt Kunden gewinnen, das geht nur über dauerhaft konkurrenzfähige Preise“, sagt Fischer, das bedeutet: niedrige Preise für die Verbraucher.