Ich weiß nicht genau, ob es 100 oder 1000 Meter waren, aber es zeigt, dass es passieren kann, überall, zu jeder Zeit“, sagte Joe Biden gestern über den Anschlag, der ihm und seiner Familie gefährlich nah kam.

Während der US-Vizepräsident am Dienstagabend nach seiner Ankunft in Israel mit Alt-Präsident Shimon Peres in Jaffa zusammentraf, stach ein 22-jähriger Terrorist im selben Vorort von Tel Aviv – in wenigen hundert Metern Entfernung – wahllos auf Passanten ein. Bei seinem Amoklauf auf der belebten Mittelmeerpromenade verletzte der Mann aus Qualkiliya im Westjordanland elf Menschen. Eines seiner Opfer starb – ausgerechnet ein junger Amerikaner, der auf Studienreise im Heiligen Land war und als US-Soldat im Irak und in Afghanistan gedient hatte. Der Angriff passierte, als Bidens Ehefrau Jill und seine Enkel in der Nähe am Strand zu Abend aßen.

Es war der letzte von drei schweren Attacken allein am Dienstag. Und auch gestern ging der Terror weiter. Unter anderem wurden zwei Palästinenser in Jerusalem getötet, als sie versuchten, mit ihrem Auto in eine Menschenmenge zu rasen. „Lassen sie mich klar sagen: Die Vereinigten Staaten von Amerika verurteilen diese Taten, und sie verurteilen das Versäumnis, diese zu verurteilen“, sagt Biden bei seiner Pressekonferenz an Palästinenserpräsident Mahmud Abbas gerichtet. War das Verhältnis der Regierungen vor dem Besuch durch Misstrauen gekennzeichnet, wirkten Joe Biden und Benjamin Netanjahu bei ihrem Treffen in der Hauptstadt wie in Trotz und Trauer vereint.

Doch grundsätzliche Differenzen bleiben bestehen. Zu frisch ist der Eindruck von Netanjahus Rede vor dem US-Kongress, als er den von Barack Obama betriebenen Atom-Deal mit dem Iran verhindern wollte. Zu groß ist der Schaden nach der gescheiterten Friedensinitiative von US-Außenminister Kerry und dem Abrücken Netanjahus von der Zwei-Staaten-Lösung im Wahlkampf vor einem Jahr. Die Absage eines Treffens mit Obama im Weißen Haus durch den Ministerpräsidenten, von der die US-Regierung zu Beginn dieser Woche aus den Medien erfahren musste, war ein weiterer Affront.

In Jerusalem erklärte Biden nun, dass zumindest ein Streitpunkt bald geklärt sein könnte. Es geht um die Erhöhung der US-Militärhilfe für den jüdischen Staat, die bisher rund drei Milliarden Dollar pro Jahr beträgt. Angesichts der wachsenden Bedrohung insbesondere durch den Iran – nach dem Atomdeal und dem Ende der Sanktionen – hatten die Israelis bis zu fünf Milliarden Dollar als Kompensation gefordert. Nun wird man sich wohl irgendwo in der Mitte treffen.

Zumindest ist sicher: Die strategische Partnerschaft der Länder bleibt, wie sie ist. Dass Netanjahu auch im Kampf gegen den Terror notfalls auf die Amerikaner setzt, zeigte ein Treffen mit dem US-Außenminister im Oktober in Berlin; John Kerry sollte im Verhältnis zu den Palästinensern vermitteln. Das war zu Beginn einer Terrorwelle, die mittlerweile seit einem halben Jahr andauert. Durchschnittlich sechs Anschläge werden pro Woche verübt. 29 Israelis und vier Ausländer wurden ermordet, etwa 180 Palästinenser sind ums Leben gekommen, zwei Drittel von ihnen bei Angriffen auf Israelis.

„Das sind ungeheure Zahlen“, sagt Sicherheitsexperte Avi Issacharoff, „ganz gleich wie man diese Terrorwelle nennen mag.“ Während am Anfang viele von der „Al-Aqsa-Intifada“ sprachen und es vermeintlich um den Status des Tempelbergs ging, hat sich die Gewalt längst von diesem Thema entkoppelt. Jetzt sind es vielmehr sogenannte einsame Wölfe, oft noch im Teenageralter, die sich von anderen Taten und über Social-Media anstiften lassen.

Netanjahus Regierung kündigte nach einer Sondersitzung Dienstagnacht neue Abwehrmaßnahmen an: Noch bestehende Lücken im Sperrzaun zum Westjordanland sollen geschlossen werden. Familienmitglieder von Terroristen verlieren das Recht, in Israel zu arbeiten. Palästinensische Medien, die den Hass gegen Israelis schüren und zu Terror aufrufen, will man verbieten. „Das sind Dinge, die man schon vor Monaten hätte umsetzen können“, sagt Avi Issacharoff, „aber das ist doch wie Aspirin gegen Krebs.“