Christian Kerl, unser Korrespondent in Berlin
Christian Kerl, unser Korrespondent in Berlin

Die politische Schatzkammer, in der die Bundestagsabgeordneten künftig geheime, teils brisante Dokumente einsehen können, wirkt reichlich unscheinbar: Acht Büro-Tische mit Computern stehen in der Mitte des 40 Quadratmeter großen Zimmers im Erdgeschoss des Wirtschaftsministeriums. Ein Regal mit ein paar Aktenordnern, EU-Rechtsliteratur, Kaffeegeschirr und Kekse. In dieser nüchternen Atmosphäre können die Abgeordneten und Bundesrats-Mitglieder ab Montag vertrauliche Verhandlungsdokumente zum umstrittenen TTIP-Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU einsehen. „Ein erster Schritt zu mehr Transparenz“, sagte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel gestern bei der Präsentation des Raums.

Das nüchterne Büro ist das neue Symbol der höchst umstrittenen Geheimhaltungspolitik von EU-Kommission und USA bei den Verhandlungen über das Freihandelsabkommen. Obwohl die nationalen Parlamente in der EU das Abkommen am Ende ratifizieren sollen, hatten die Abgeordneten bisher keine Möglichkeit, die Verhandlungsunterlagen einzusehen. Brüssel und Washington wollen sich nicht in die Karten sehen lassen, erst recht nicht, seit Kritiker vor der Absenkung von Verbraucherschutzstandards warnen: Nur drei Dutzend Mitarbeiter von Bundesministerien bekamen bisher in der US-Botschaft in Berlin Zugang zu den Unterlagen, in Brüssel dürfen die Mitglieder des Europaparlaments Einsicht nehmen.

Nach fortgesetzter Kritik auch aus Deutschland haben sich EU-Kommission und die USA nun auf eine Öffnung zumindest für die nationalen Parlamente geeinigt. Doch pochen beide auf strengste Regeln auch in Berlin: Die Bundesabgeordneten dürfen sich nur handschriftliche Notizen machen, Abschriften und Ablichtungen sind verboten. Tabu sind auch Mobiltelefone, elektronische Geräte und Taschen. Im Leseraum wacht ein Aufseher über die Einhaltung der Auflagen. Ausdrücklich angedroht sind rechtliche Konsequenzen, wenn Dokumente anderen offengelegt werden. Auch für Gabriel gelten die Auflagen, Ministeramt hin oder her.

Die Opposition ist empört. „So, ohne Notizen und Zusammenarbeit mit Experten, können wir nicht ernsthaft arbeiten“, klagt der Linkenabgeordnete Alexander Ulrich. EU und USA wollten gar keine parlamentarische Kontrolle. Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann sagt: „Die Einsichtnahme droht zu einem Placebo zu werden.“ Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat – bei aller Freude über die Fortschritte – schon Zweifel geäußert, ob mit dem Leseraum dem Informationsbedürfnis und -recht der Abgeordneten genüge getan werde.

Bei Gabriel rennen die Kritiker offene Türen ein. Der Minister ist ein Befürworter des TTIP-Abkommens, auch gegen Widerstände in seiner Partei – das durch die Geheimhaltung verstärkte Misstrauen der Kritiker erschwert es ihm, für das Abkommen zu werben. TTIP werde weltweit Maßstäbe setzen, die Märkte auf beiden Seiten des Atlantiks stärker öffnen und damit Wachstum in Deutschland auslösen, erklärte der Minister. Aber: Er habe kein Verständnis für die Geheimhaltung. Er selbst werde sich die Unterlagen nicht im Leseraum seines Ministeriums ansehen, sondern allenfalls im Internet – über undichte Stellen würden die Dokumente dort sicher bald zu finden sein, unkt Gabriel.