Chefredakteur Armin Maus spricht über Kanzleramtchef Helge Braun und dessen Gedanken über die Sinnhaftigkeit der Schuldenbremse.

Man kann kein Gewehr auf die Bühne stellen, wenn niemand die Absicht hat, einen Schuss daraus abzugeben.
Anton Tschechow

Der Job des Kanzleramtsministers hat etwas von einem pflichtbewussten Hausmeister. Wenn Ihnen das zu wenig akademisch ist, nennen wir ihn stattdessen: Team-Manager, guter Geist, Generalsekretär. Er weiß (meistens), was die Ministerien des Bundes gerade tun, hilft bei der Koordination, ruft „Alarm!“ wenn die Züge der Bürokraten und der politisch Ehrgeizigen zu kollidieren drohen. Ein guter Kanzleramtsminister ist die Lebensversicherung eines Bundeskanzlers oder einer Bundeskanzlerin – und Bedingung erfolgreicher Regierungspolitik.

Mit einem Wort: Der Job ist wichtig und sein Inhaber ist es auch, selbst wenn er selten im gleißenden Licht steht. Helge Braun ist Kanzleramtsminister. Nach allem, was man von Braunschweig aus sehen und hören kann, ist er ein guter. So hat er angesichts der kafkaesken Herausforderungen des Corona-Managements erheblichen Anteil daran, dass am Ende stets eine klare, wenn auch gestrichelte Linie zu erkennen war. Diese Woche hat er Aufsehen erregt. Er schrieb einen Gastbeitrag für das „Handelsblatt“, in dem er eine Strategie anmahnte, wie Deutschland sich aus der Corona-Krise herausarbeiten sollte. Das passte noch einigermaßen zu seiner Rolle. Dann aber machte er sich Gedanken über die Sinnhaftigkeit der Schuldenbremse. Dahinter verbirgt sich eine Regelung, die Bund und Länder zu haushaltspolitischer Solidität verpflichtet.

Corona eröffnet den Weg zur Neuverschuldung

Und zwar sehr konkret und kompromisslos. Die Regelung erhielt Verfassungsrang, kann also nicht nach Kassenlage und Opportunität ausgehebelt werden. Nur Ausnahmeereignisse wie die Corona-Pandemie öffnen den Weg zu hoher Neuverschuldung. Die Reaktionen aus seiner eigenen Partei, der CDU, kann man getrost mit dem Begriff Empörung zusammenfassen. Fraktionschef Brinkhaus attestierte der Idee fehlende Abstimmung und gab ihr keinerlei Chance auf Rückendeckung in der Unionsfraktion. Die SPD wirkte verwundert. Wer wollte, konnte aus den Äußerungen des Koalitionspartners ungläubige Weihnachtsfreude heraushören. Denn bisher hatte die Union wie ein Mann zur Schuldenbremse gestanden, was manche Ausgabenphantasie der SPD platzen ließ.

Die Schuldenbremse gehört zu ihrem programmatischen Kernkapital. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble war als Finanzminister die Personifizierung finanzpolitischer Kompromisslosigkeit.

Schuldenregeln nicht in Frage stellen

Bei dieser Linie wird es wohl bleiben. Braun stellte inzwischen via Twitter klar, dass er ein erotisches Verhältnis zur Schuldenbremse habe: „Mein Vorschlag, wie man den Weg zur ,schwarzen Null’ nach der Pandemie gesetzlich vorzeichnet, zielt darauf ab, verbindlicher als fortgesetzt mit der Notklausel zu handeln und nicht die Schuldenregel in Frage zu stellen. Ich liebe Schuldenbremse.“ Anstelle des Wörtchens „liebe“ prangte ein rotes Herz. Man könnte dieses Kapitel mit der Überschrift „Vorlauter Schnellschuss aus dem Kanzleramt“ versehen und dann schließen. Die Schuldenbremse wird aber ohne Zweifel unter politischem Druck bleiben.

Wer politisch gestalten will, ist immer in Versuchung, die Grenzen des finanziell Machbaren mit kraftvollen Bewegungen des Pump-Schwengels zu weiten. Helge Braun wird Nachahmer finden. Umso wichtiger wäre, den Sinn der Schuldenbremse im öffentlichen Bewusstsein zu halten. Und zwar gerade, weil sie für mehrere Jahre nicht greifen wird. Unter den Bedingungen der Pandemie müssen haushaltspolitische Beschlüsse gefasst werden, die sich auf Rettung ganzer Branchen und Hunderttausender Arbeitsplätze reimen. Es wäre schiere Idiotie, Haushalte auf die Schwarze Null zu trimmen und damit wirtschaftlichen Niedergang zu riskieren – der auch die Staatsfinanzen schwer beschädigen würde.

Weitsicht ist entscheidend

Das bedeutet aber gerade nicht, dass das Ziel stabiler Staatsfinanzen ad libitum gestellt werden dürfte: Wer die Krise zu Relativierung der Wichtigkeit klarer finanzpolitischer Grundsätze nutzen will, muss sich Zweifel an seiner Weitsicht gefallen lassen. Eine Lehre der Corona-Krise ist ja gerade, dass Deutschlands Kraft, die Folgen der Pandemie zu mildern, eine Frucht halbwegs soliden Wirtschaftens ist. Ein Staat, der in den guten Jahren mit dem Geld um sich geworfen hätte, könnte heute keine Corona-Hilfe leisten. Und wir haben nicht vergessen, welchen Anteil die übergroße Staatsverschuldung vieler europäischer Partnerländer an der Verschärfung der Finanzkrise des Jahres 2008 hatte. Die Selbstwahrnehmung ist zwar eine andere, aber Deutschland ist nur ein relativer Musterknabe.

Selbst mit der Schuldenbremse und in geradezu paradiesischer Konjunkturlage schafften wir die Maastricht-Kriterien zur Staatsverschuldung nicht. Wir können uns glücklich schätzen, dass Deutschland die Kraft zu einer konzertierten Anstrengung des Bundes und der Länder fand und ein eindeutiges und nicht verhandelbares Bekenntnis zu finanzieller Solidität ablegte. Dabei muss es bleiben. Die Klugheit der Regelungen zur Schuldenbremse zeigt sich darin, dass sie Lösungen in der Krise eben gerade nicht verhindert.

Spiel mit der Zukunft

Sie stellt aber sicher, dass wir unter normalen Bedingungen im Wesentlichen nur Geld ausgeben, das uns tatsächlich zur Verfügung steht. Exzessiv schuldenfinanzierte Politik ist ein Spiel mit der Zukunft nachfolgender Generationen. Ein verantwortungsloses und unmoralisches Spiel. Wer politisch gestalten will, muss Prioritäten setzen – nicht einfach draufsatteln, bis das Gemeinwesen unter der Last krumm und bucklig wird. Das ist schwierig, aber es lohnt sich.

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