Braunschweig. Chefredakteur Armin Maus spricht über die Gegenwehr zum AfD-Parteitag und die unerwartete Wahlentscheidung gegen Ricarda Bier bei der IG Metall.

"Nein, wenn die Gäste wüssten, wie z’wider sie einem oft sind, es ließ’ sich gar kein Mensch mehr einladen auf der Welt." - Johann Nestroy

Von einer herzlichen Einladung kann man nun wirklich nicht sprechen. Als die AfD ihren Bundesparteitag in Braunschweig abhielt, zeigte die Stadt mit großer Geschlossenheit, was sie von diesem Besuch hält. Auf dem Schlossplatz dokumentierten Zwanzigtausend, dass sie mit Vorurteilen, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und überkommenen Gesellschaftsbildern nichts am Hut haben. Die Reden Ulrich Markurths, Bernd Osterlohs, Sally Perels und vieler anderer ließen an Deutlichkeit keine Wünsche offen. Bemerkenswert war, dass der Protest friedlich blieb, obwohl Krawallbrüder von links außen gerne eine Art Schanzenviertel an der Oker inszeniert hätten. Der Regie der Organisatoren und der klugen Polizeistrategie sei Dank. Der Protest gegen die AfD war ein großer Erfolg, auch wenn das Fernsehen lustlos berichtete und deutschlandweit vielen gar nicht klar wurde, wie intensiv sich Braunschweig gewehrt hatte.

Viele der Demonstranten werden gehofft haben, dass diese Kundgebung abschrecken würde. Das Gegenteil ist der Fall. Kaum ein Jahr später ist die AfD wieder da. Darf das sein? Das „Bündnis gegen Rechts“ zeigt erneut scharf geschliffene Kante: Mit aller Macht hatte man im vergangenen Jahr die kommunale Betriebsgesellschaft der Volkswagenhalle bedrängt, die Halle nicht an die AfD zu vermieten. Nun geschah dasselbe mit dem Privatunternehmen, das das „Millenium Event Center“ betreibt. Dessen Geschäftsführer sah sich der Forderung nach Entmietung konfrontiert. Geschäftspartner des Unternehmens, die mit dem AfD-Landesparteitag nicht das Geringste zu tun haben, wurden befragt, ob sie denn wüssten, dass sie die AfD unterstützten.

Chefredakteur Armin Maus
Chefredakteur Armin Maus © BZV Medienhaus

„Bündnis gegen Rechts“ organisiert Protest

Über seiner unbestreitbar guten Absicht ist dem Bündnis offenbar etwas Entscheidendes abhanden gekommen: Die Textsicherheit beim Grundgesetz. Die AfD wird in Teilen vom Verfassungsschutz beobachtet, von einem Verbot ist sie aber so weit entfernt wie der belarussische Diktator Lukaschenko von einer ehrlichen Wiederwahl. Ihre Mitglieder haben das Recht, sich zu vereinigen und zu versammeln wie jeder Bürger. So steht es in den Artikeln 8 und 9 unserer Verfassung. Auch der Hallenbetreiber nutzt nur seine verfassungsmäßig garantierte unternehmerische Freiheit. Natürlich könnte er auf diesen speziellen Mieter verzichten. Aber wie leicht ihm das nach dem Shutdown durch Corona fiele, lässt sich denken. Man muss das alles nicht mögen, aber als Demokrat und Anhänger des Rechtsstaates muss man es aushalten.

Das „Bündnis gegen Rechts“ organisiert den Protest und verdient Anerkennung. Die Vorstellung, man könne die AfD ihrer Wirkung berauben, indem man ihr die Versammlungsorte nimmt, ist dagegen so falsch wie der Versuch, einen Fettbrand mit Wasser zu löschen. Mit ungeeigneten Mitteln macht man alles nur schlimmer. Aus einem politischen Gegner wird ein bemitleidenswertes Opfer – womit man den Legenden dieses politischen Gegners neue Nahrung gibt.

Demokratie kann schmerzhaft sein

Die Gewerkschaft der Polizei ruft zu einem Protest „in Respekt und Verantwortung“ auf, wie ihr Vorsitzender Dietmar Schilff sagt. Das ist ein guter Rat. Wenn Menschen für Toleranz auf die Straße gehen, leisten sie dem Frieden und der Demokratie einen Dienst. Eine Region, die ihre NS-Vergangenheit als Verpflichtung zur Weltoffenheit versteht, eine Stadt, die Sally Perel zum Ehrenbürger macht, erhebt ihre Stimme am wirkungsvollsten, wenn sie sich von Straßenkämpfern distanziert. Unsere Zeitung wird vom Parteitag und von der Demonstration berichten. Im Internet können Sie bei uns live verfolgen, was geschieht, und sich Ihre eigene Meinung bilden.

Demokratie kann schmerzhaft sein, das erlebte in dieser Woche auch die IG Metall in Wolfsburg. Alle Welt war davon ausgegangen, dass die kommissarische Erste Bevollmächtigte der mit über 90.000 Mitgliedern bundesweit größten Metaller-Einheit an die Spitze gewählt werden würde. Ricarda Bier, 34, erregte Aufsehen über die Grenzen der Region hinaus. Sie entspricht als junge Frau mit akademischer Ausbildung nicht dem Klischee vom Funktionär. Vielleicht war sie gerade deshalb erfolgreich bei der Arbeit in Unternehmen, in denen weißer Kragen und Uni-Abschluss zu den Kennzeichen potenzieller neuer Gewerkschaftsmitglieder gehören. Es gab ein einstimmiges Votum des Vorstands für Bier. Dann trat kurz vor knapp ein Gegenkandidat auf, präsentierte sich mitreißend und wurde gewählt. Ein Paukenschlag.

Es bleibt ein schaler Nachgeschmack

In Wolfsburg wird man bei der Ursachenforschung vor holzschnittartiger Vereinfachung gewarnt. Das Motto „junge, intelligente Frauen haben keine Chance“ greift tatsächlich zu kurz. Der neue Erste Bevollmächtigte Flavio Benites ist ein erfahrener Gewerkschafter und hat ganz offensichtlich den Nerv der Delegierten getroffen. Es scheint, als hätten gerade die Vertreter der produzierenden Bereiche den Eindruck gehabt, sie würden vom ihm besser vertreten. Eine demokratische Wahl muss ja nicht der Regie der Oberen folgen.

Warum dennoch ein schaler Nachgeschmack bleibt? In Wolfsburg lässt sich der Wandel unserer Wirtschaft musterhaft nachvollziehen. Metallverarbeitende Betriebe werden zu digitalen Entwicklungsunternehmen; die Werkbank verliert an Bedeutung. Eine Gewerkschaft, die dauerhaft erfolgreich bleiben will, wird Funktionäre brauchen, die die Sprache dieser neuen Berufswelt sprechen. Und weil auch bei Metall die Belegschaften weiblicher werden, ist die Wahl eines noch so qualifizierten Herrentrios, Durchschnittsalter 53 Jahre, nicht eben das, was man als Zukunftsmodell bezeichnet.

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