Vechelde. Der Heimatforscher Karl-Gustav Kukoschke hat mit Hilfe der Bevölkerung viel über diese beiden Einrichtungen während der Nazizeit herausgefunden.

Hakenkreuz und die Großbuchstaben „RAD“ – das ist auf einem alten Stein im Sonnenberger Holz zwischen Wierthe und Sonnenberg zu lesen. Für Karl-Gustav Kukoschke ist das der „Stein des Anstoßes“ – schon seit langem beschäftigt er sich mit dem Reichsarbeitsdienst (RAD).

„Dieser Stein mit der Markierung ,RAD 8/181’ im Wierther Teil des Walds deutet darauf hin, dass dort ein Lager des Reichsarbeitsdienstes existiert hat“, meint Kukoschke, der ehrenamtlich als Ortsheimatpfleger in seinem Heimatort Vechelade in der Vergangenheit forscht: „Tatsächlich ist es aber nicht so einfach, wie es scheint. Denn im Waldstück zwischen Wierthe und Sonnenberg hat es mehrere Lager gegeben.“

Bereits 2010 hat der inzwischen gestorbene Wierther Ortsheimatpfleger Rudolf Jerolewitz über den Stein in unserer Zeitung berichtet: Nach seinen Informationen hat sich dort im Wald ein Reichsarbeitsdienst-Lager mit angeschlossener Heeresbekleidungskammer befunden. Jerolewitz hat den Stein selbst als „Stein des Anstoßes“ bezeichnet – denn er markierte früher die Grenze zwischen Wierthe und Sonnenberg. 1883 hätten ihn die Wierther „ungerechtfertigter Weise“ in Richtung Sonnenberg verlegt, um sich an Sonnenberger Gebiet zu bereichern. 1944 – also im Zweiten Weltkrieg – sei der Stein in das RAD-Lager Wierthe versetzt worden. „Und zwar auf Wierther Gelände, ungefähr 450 bis 500 Meter von der Grenze nach Sonnenberg entfernt“, wie Jerolewitz gemeint hat. Die Führungspersonen Oberfeldmeister und Feldmeister hätten außerhalb des Lagers gewohnt.

Auch die Beschriftung des Steins gibt laut Kukoschke Rätsel auf: „Sie steht im Widerspruch zu der für Wierthe geläufigen Bezeichnung 9/187.“ Zum anderen sei bekannt, dass das Lager Wierthe in der Nazizeit die Nachfolge des RAD-Lagers „Brun von Sachsen“ auf dem Gut Jägerburg bei Westercelle angetreten habe. „Am 23. Juli 1938 hat sich der Umzug nach Wierthe aller Stille vollzogen“, hat der Heimatpfleger recherchiert. Das Lager in Jägerburg sei unter der Bezeichnung 8/183 bekannt gewesen.

Fazit: „Die Nummerierungen für RAD-Lager haben gewechselt – teilweise sogar mehrfach“, ist Kukoschke überzeugt: „Die Benennung nach dem jeweiligen Standort erscheint deshalb zuverlässiger.“ Bei einem Ortstermin mit einem gebürtigen Wierther berichtete dieser dem Vechelader von Sportwettkämpfen der Schulkinder in den 1960-Jahren. „Sie fanden im Wierther Teil des Waldes auf einer Laufbahn mit Sprunggrube statt“, ergänzt Kukoschke: „Heute ist allerdings nichts mehr erkennbar.“

Ebensowenig seien an der Erdoberfläche Barackenreste zu finden. „Gut zu erkennen ist jedoch noch die ehemalige Schießbahn“, stellt der Heimatforscher fest. Der Wierther habe berichtet, die Dorfjugend habe einst dort zu Pfingsten das „Eierbacken“ veranstaltet. Zudem habe er gezeigt, wo die Führer außerhalb des Lagers gewohnt hätten. „Der Eingang zu dem Gelände lag auf der Otto-Lages-Straße gegenüber der Einmündung zur Straße ,Vor dem Walde’“, zitiert Kukoschke. In südlicher Richtung hätten sich die zwei Baracken angeschlossen: „Sie sind jedoch schon längst abgerissen worden.“

Im Sonnenberger Teil des Walds zwischen Wierthe und dieser Ortschaft hätten die Nazis schon früher als in Wierthe ein RAD-Lager errichtet: „Es trug die Nummer 5/185 und bestand aus mehreren Mannschaftsbaracken und einer großen Wirtschaftsbaracke.“ Weiter habe es Küche, Speisesaal, Büroräume und eine große Sporthalle umfasst, auch ein Schießstand sei vorhanden gewesen. Kukoschke: „Die etwa 50 Leute vom RAD und die Dorfbewohner sollen in gutem Einvernehmen gelebt haben. Die Einwohner waren oftmals zu geselligen Veranstaltungen eingeladen. Einige Lagerbewohner fanden hier ihre Ehefrauen und wurden heimisch.“ Dieses Lager sei 1940 geschlossen worden.

Auf dieser Fläche entstand eine Munitionsausgabestelle: Ein etwa zwei Meter hoher Zaun habe Zivilisten ab 1941 am Betreten dieses Geländes gehindert. In der früheren RAD-Turnhalle und in Holzschuppen seien Flugabwehrmunition verschiedenen Kalibers gelagert worden. „Von dort erfolgte die Belieferung einer großen Anzahl von Flugabwehreinheiten per Pferdewagen – insbesondere der Eisenbahnflak am Groß Gleidinger Bahnhof“, erinnert Kukoschke: „Etwa zehn Soldaten der Luftwaffe bewachten die Anlage.“ Das Verwaltungsgebäude enthielt ein Vorratsdepot mit Bekleidungsstücken wie Ledermänteln, Schuhwerk und Küchengeschirr. „1945 – vor dem Einmarsch der Amerikaner – mussten alle Sonnenberger ihre Luftschutzkeller aufsuchen“, schildert er: „Denn in der Nacht wurde die noch vorhandene Munition gesprengt.“

Bei einem Ortstermin im Sonnenberger Teil des Walds haben zwei Pilzsammler aus Sonnenberg Kukoschke die Betonreste aus dem Unterbau der Turnhalle gezeigt. „Gleich nebenan kann man auch die Erdwälle des Schießstands erkennen“, sagt der Vechelader: „Zudem machten mich die Sonnenberger noch auf ein recht gut erhaltenes Ringfundament unter einer ehemaligen Baracke aufmerksam.“

Nicht zu verwechseln sind Kukoschke zufolge diese beiden RAD-Lager mit dem Gemeinschaftslager eines beim Bau des Stichkanals tätigen Bauunternehmens: „Dort arbeiteten – zunächst auf freiwilliger Basis und später zwangsweise – viele ausländische Arbeiter unter äußerst schlechten Bedingungen.“ Dieses „Lager Sonnenberg“ habe sich allerdings auf Groß Gleidinger Gebiet befunden, etwa bei den heutigen Kieskuhlen.