Vechelde. Der Vechelder geht mit 64 Jahren in den Ruhestand – nach 38 Jahren als Lehrer. Der Nachfolger steht fest, er beginnt spätestens am 1. Februar.

Eigentlich wollte er „immer nur Lehrer“ sein. Aber das ist Jürgen Tüpker nicht gelungen. Seit mehr als fünf Jahren leitet er das Vechelder Gymnasium, am Freitag geht er in den Ruhestand – aus gesundheitlichen Gründen drei Monate vor dem geplanten Termin.

Die Tür zu seinem Schulleiterbüro steht offen – das ist ein Markenzeichen von Tüpker. Und es hat einen Hintergedanken, denn der Vechelder setzt bei seiner Arbeit als Direktor auf Kommunikation. Das wird auch deutlich beim Beschwerdekonzept des Julius-Spiegelberg-Gymnasiums. „Das Konzept regelt ganz klar, wie mit einer Beschwerde umzugehen ist“, erklärt Tüpker – eine Klarheit, die Eltern, Kindern und Schule zugute kommt. Und nur ein Beispiel für Kommunikation.

Bevor sich Tüpker vor mehr als 30 Jahren in Vechelde niedergelassen hat, hat er aufgrund seiner vielen Umzüge „fast ganz Niedersachsen“ gesehen: Geboren ist der 64-Jährige in Helmstedt, wo sein Vater als Zollbeamter im Grenzübergang Marienborn gearbeitet hat – damals hat es die deutsch-deutsche Grenze noch gegeben. Nach einigen Stationen hat Tüpker in Osnabrück sein Abitur gebaut und studiert – Deutsch und Politik auf Lehramt. „Das sind auch die Fächer gewesen, die mir in der Schule am meisten Spaß gemacht haben“, sagt Tüpker rückblickend. Ein Zweier-Abitur habe er gemacht, und an den „Abi-Scherz" seines damaligen Jahrgangs kann sich er noch gut erinnern: „Wir sind mit dem Trecker in die Schule gefahren.“ Zur Strafe hat die damalige Leitung seines Gymnasiums die Abi-Verabschiedung ausfallen lassen – „wir mussten unsere Abizeugnisse im Sekretariat abholen.“ Die Frage bleibt, ob der Schulleiter Tüpker auch so gehandelt hätte. Immerhin: Vor drei Jahren hat der Vechelder Abi-Jahrgang im Gymnasium einen Hühnerstall aufgebaut.

Sein Beruf hat Tüpker von Osnabrück aus wieder in unsere Region gebracht: Die erste Lehrerstelle hat er am Braunschweiger Lessinggymnasium gehabt, es folgt das Gymnasium Wenden und dann der Wechsel zur Vechelder Orientierungsstufe (OS) – um „Zeit zu haben für Kommunalpolitik“, wie er mit einem Schmunzeln anfügt.

Apropos Politik: Tüpker hat in den 1980er-Jahren zu den Gründungsmitgliedern des Grünen-Ortsverband in Vechelde gehört, mit dabei war seinerzeit eine so bekannte Größe wie Christian Schwarzenholz, der spätere Landtagsabgeordnete. Die Tschernobyl-Katastrophe 1986 habe ihm die Überzeugung gebracht, sich bei den Grünen engagieren zu müssen – so sagt es Tüpker heute. Im Ortsrat, im Gemeinderat und im Peiner Kreistag hat der Vechelder gesessen; 2002 ist er aus der Partei ausgetreten – wegen des Atomkonsenses.

Aufbaudienste hat Tüpker aber ab Anfang 2004 auch in der Gründungsgruppe für die neue Schule geleistet: das Vechelder Gymnasium, das – ausgerechnet – im Gebäude der früheren OS entstanden ist. Die Räumlichkeiten hat Tüpker also aufgrund seiner früheren Lehrertätigkeit schon gekannt, alles andere am Gymnasium-Aufbau sei „spannend, aber auch zeitintensiv“ gewesen. „Die Orientierungsstufe ist keine falsche Schulform gewesen“, sagt Tüpker zum einen zum landesweiten Aus für die OS. Zum anderen habe er sich „sehr gut“ die Einführung einer Kooperativen Gesamtschule (KGS) in Vechelde vorstellen können – das Land habe das jedoch abgelehnt und stattdessen das Gymnasium aus der Taufe gehoben.

Im Sommer 2004 ist das Gymnasium mit den Jahrgängen fünf, sechs, sieben an den Start gegangen, und mit Tüpker als Lehrer. „Jedes Jahr kamen ein Jahrgang – also rund 100 Schüler – sowie sechs, sieben, acht neue Lehrer dazu“, rechnet der Vechelder vor: Zu allem habe sich das junge Gymnasium finden oder erfinden müssen – vom Schulprogramm („fordern und fördern“) und über das Schulleben bis hin zu den Austauschfahrten.

Computer reparieren – Tüpker galt als der „Schrauber“ im Gymnasium. 2012 stieg er zum stellvertretenden Schulleiter auf; nach dem überraschenden Wechsel von Andreas Stein zur Landesschulbehörde im August 2013 wurde Tüpker Direktor, zunächst kommissarisch und ab März 2014 offiziell. „Ich hätte auch gut als Stellvertreter weiterleben können – mein Ziel ist es nicht gewesen, Schulleiter zu werden“, stellt der verheiratete Familienvater ehrlich fest. Das Kollegium habe ihn, seinerzeit fast 60 Jahre alt, aber zu einer Bewerbung ermutigt – mit Erfolg.

„Inzwischen ist das Gymnasium erwachsen geworden“, zieht Tüpker Bilanz. Die Digitalisierung der Schule – „ein Riesenprojekt, an dem wir schon seit zwei Jahren arbeiten“ – sei auf den Weg gebracht, die Tablets – „100 von der Schule und nicht den Eltern finanziert“ – auf dem Vormarsch. Außer der Digitalisierung sieht Tüpker die Erweiterung des Gymnasiums wegen der Umstellung von G8 (Abitur nach 12 Jahren) auf G9 (Abitur nach 13 Jahren) als große Aufgabe für die neue Schulleitung an: „Acht, neun neue Klassenräume; die EDV-Räume ziehen um; weitere Bio-/Chemieräume und ein neuer Musiktrakt“, beschreibt er das Millionenprojekt Anbau, für den der Landkreis Peine als Schulträger im nächsten Jahr den ersten Spatenstich vornehmen sollte. Inbetriebnahme wäre 2021, so dass es für die Gymnasiasten im Schuljahr 2020/2021 Unterricht im Container gäbe. „Darf man sich selbst loben?“ fragt Tüpker – ja, darf man. „Wir überlassen dem neuen Direktor eine gut funktionierende Schule.“

In den Ruhestand – „meine dritte Lebensphase“ nach 38 Jahren als Lehrer – geht Tüpker „sehr gelassen“. Seine Überzeugung: „Wir alle sind ersetzbar.“ Er freue sich „auf den Moment, in dem ich weniger Verantwortung habe, wobei ich auch gerne Verantwortung übernommen habe“. Im Ruhestand will sich er sich seinen Hobbys widmen: Sprachen – insbesondere Italienisch – lernen, Fotografieren und „endlich außerhalb der Ferien Urlaub machen“ – etwa in Italien. Durchaus kann er sich zudem vorstellen, sich nach einer gewissen Pause in einem Verband für die Natur/Umwelt zu engagieren. Sein „grünes“ Herz ist also nicht erloschen.

Fakten:

Am Freitag, 1. November, verabschiedet das Gymnasium ihren Leiter Jürgen Tüpker mit fast 65 Jahren in den Ruhestand. Sein Nachfolger steht bereits fest und soll in Vechelde spätestens am 1. Februar 2020 seine Arbeit aufnehmen. Die Leitung übernimmt bis dahin die neue stellvertretende Schulleiterin Kathrin Mürmann: Sie hat Petra Wasmann abgelöst, die sich im August aus dem Berufsleben zurückgezogen hat. Das Gymnasium Vechelde hat zurzeit 858 Schüler sowie 72 Stammlehrer und neun Referendare.