Peine. Das Peiner Frauenhaus hat 19 Plätze, acht Zimmer für Frauen und Kinder. Wie alle Frauenhäuser ist es zu klein. Erweiterung ist aktuell ein Thema.

Morgens am Peiner Bahnhof. Der Zug hält. Eine Frau bugsiert zwei Kinder und drei Koffer auf den Bahnsteig. Ihr Blick ist ausdruckslos, leer. Vorsichtig sieht sich um. Da geht auch schon Sozialpädagogin Tatjana Heinrich auf das kleine Grüppchen zu, nimmt die Frau – nennen wir sie Nora M. - , den Jungen und das Mädchen in Empfang und bringt sie ins Peiner Frauenhaus. Sicherer Boden für Nora M. nach vielen Wochen und Monaten der Demütigungen und Schläge durch ihren Mann.

Die Flucht ins Frauenhaus – sie ist für Frauen in Not ein Rettungsanker: Anonym und abgeschirmt weg aus der Gefahrenzone, in vielen Fällen auch weg aus der Stadt, in der sie leben. Nicht selten geht damit der Verlust des Arbeitsplatzes, der Betreuungsplätze für die Kinder, aber vor allem auch der Verlust eines tragfähigen sozialen Umfeldes einher.

Wie soll es nur weitergehen? Nora M. weiß es in diesem Moment noch nicht. Aber sie hat einen ersten, entscheidenden Schritt getan, ihr Leben und das ihrer Kinder selbst in die Hand zu nehmen. Ohne Markus, vor dem sie zuletzt nur noch Angst hatte.

49 Frauen mit 38 Kindern finden 2019 Zuflucht im Peiner Frauenhaus

„40.000 Frauen flüchten jährlich in Deutschland in Frauenhäuser“, nennt Tatjana Heinrich, Mitarbeiterin im Peiner Frauenhaus, eine erschreckende Zahl. „In Niedersachsen waren es im vergangenen Jahr 1688 Frauen. In Peine hatten wir 49 Frauen mit 38 Kindern.“ Gäbe es mehr Platz, wäre die Zahl um einiges höher. „74 Frauen mussten wir weitervermitteln.“

Die Aufnahmezahlen im Frauenhaus sind in diesem Jahr trotz Corona nicht gestiegen. „Im Gegenteil, im ersten Lockdown im Frühjahr sind die Anfragen sogar deutlich zurück gegangen“, berichtet Nicole Reinert, die Leiterin des Frauenhauses. „Wir gehen davon aus, dass die Frauen einfach keine Möglichkeit hatten sich Hilfe zu holen. Frauen, welche wir danach aufnehmen konnten, berichteten, dass sich ihre Situation im Lockdown deutlich verschlimmert habe.“ Eine klare Zunahme habe es jedoch bei den Beratungen, auch ehemaliger Frauen, gegeben.

Platzanfragen übersteigen Aufnahmekapazitäten

„Die Platzanfragen von schutzsuchenden Frauen übersteigen seit Jahren die Aufnahmekapazitäten des Peiner Frauenhauses“, so Nicole Reinert weiter. Erweiterung ist in Peine ein Thema. Aktuell plant der Verein, der das Frauenhaus trägt, einen Förderantrag für das Bundesinvestitionsprogramm „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ zu stellen. Der Landkreis Peine hat bereits signalisiert, dass er 50.000 Euro bereitstellen will. Soll es einen Neubau geben? Einen Erweiterungsbau? „Wir stehen da noch am Anfang“, sagt Nicole Reinert. Gespräche mit dem Landkreis Peine, inwieweit das Projekt gemeinsam umgesetzt werden kann, stehen noch aus.

Über 19 Plätze verfügt das Frauenhaus zurzeit, acht Zimmer für Frauen und Kinder. „Jede Frau hat ein eigenes Zimmer“, betont Tatjana Heinrich. „Die Frauen versorgen sich selbst, und sie kümmern sich auch um ihre Kinder. Die Stunden für eine Erzieherin, welche die Kinder für die Zeit im Frauenhaus begleitet und fördert, konnten vor zwei Jahren aufgestockt werden – das hilft sehr.“

Mit professioneller Hilfe Perspektiven erarbeiten

Wie geht es weiter? Hat sie überhaupt noch eine Perspektive? Wie kann sie all das Geschehene, die Misshandlungen verarbeiten? Wovon soll sie leben? Soll sie in einer anderen Stadt ganz neu anfangen? Wie geht eine Scheidung? Antworten wird Nora M. in den folgenden Wochen im Frauenhaus erarbeiten. Das Team wird sie – auf Wunsch – professionell beraten und begleiten. „Neben der Sicherstellung der rechtlichen und finanziellen Basis ist ein ganz wichtiger Punkt, das Selbstbewusstsein der Frauen wieder zu stärken“, erklärt Tatjana Heinrich. Denn das werde durch körperliche wie psychische Gewalt zerstört.

Viele, viele Fragen sind nach einer Trennung zu klären – zum Beispiel auch die, wie die Kinder weiterhin Kontakt zu ihrem Vater haben können. Natürlich nur, wenn sie nicht Opfer seiner Gewalt geworden sind. „Oftmals vermissen die Kinder ihren Vater“, sagt Tatjana Heinrich. „Und bei manchen Frauen mischt sich auch Liebeskummer in die Verletztheit.“ Der dürfe zugelassen werden. „Denn es gab in jeder Beziehung ja auch schöne Zeiten.“

Die Gewaltspirale wird unterbrochen

Wie lange die Frauen im Frauenhaus bleiben, ist unterschiedlich. „Unter den Bewohnerinnen entstehen auch Freundschaften – die Frauen helfen sich gegenseitig ein neues Leben aufzubauen“. Dies wird von den Mitarbeiterinnen durch verschieden Angebote unterstützt. Es komme aber auch vor, dass Frauen zurück zu ihrem Mann gehen. Wichtig sei dann, so Reinert, der Frau zu signalisieren, dass sie jederzeit wieder willkommen ist. Denn um sich aus einer Gewaltbeziehung zu lösen bedarf es häufig mehrerer Anläufe.

„Hingegen vieler Vorstellungen ist das Frauenhaus aber nicht nur ein Ort der Verzweiflung und Trauer“, sagt Nicole Reinert. „Denn Frauenhäuser sind bei der Bekämpfung von Gewalt sehr effektiv. Die Gewaltspirale wird mit Aufnahme der Frauen umgehend unterbrochen. Das Frauenhaus bietet Frauen mit ihren Kindern erstmals Raum und Ruhe um sich und die eigene Lebenssituation zu überdenken und mit Unterstützung eine neue gewaltfreie und vor allem selbstbestimmte Lebensperspektive zu entwickeln.“

Eng arbeitet das Peiner Frauenhaus mit „Heckenrose“ und BISS zusammen: BISS ist die Beratungs- und Interventionsstelle bei häuslicher Gewalt, „Heckenrose“, die Kontakt- und Beratungsstelle bei sexualisierter Gewalt gegen Frauen und Kinder.