Berlin. Forscher: Wirkung der Sporen wie im Horrorfilm. Insekt unter Drogen verliert Körperteile. Können auch Menschen infiziert werden?

Es klingt wie in einem schlechten Horrorfilm: Ein Pilz ergreift Besitz vom Körper eines Lebewesens, übernimmt dessen Steuerung, verwandelt es komplett. Genau das tut Massospora cicadina mit Millionen von Zikaden – er zerstört die Genitalien der Insekten, ersetzt ihren Unterleib durch einen Hohlraum voller Pilzsporen, manipuliert sie zu hypersexuellem Verhalten, um sich weiterzuverbreiten. Aus den Zikaden werden reine Zombies.

Im Frühjahr steht eine Mega-Invasion der Zikaden an

Das gruselige Spektakel wird demnächst zu beobachten sein: Der Frühling beschert den USA dieses Jahr ein ungewöhnliches biologisches Schauspiel: eine doppelte Zikaden-Invasion.

Abermilliarden Insekten werden Teile der USA bevölkern.

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    Manche Experten rechnen bis Juni sogar mit mindestens einer Billion der lautstark zirpenden Zikaden. Ihre Nymphen – vergleichbar mit den Larven bei anderen Insekten – haben sich vor vielen Jahren eingegraben. Im Frühling kommen sie nun nachts aus dem Boden geklettert, sobald sich die Erdtemperatur auf rund 18 Grad erwärmt hat. Und in diesem Jahr werden sich zwei Populationen überschneiden. Ein höchst seltenes Ereignis. Für Massospora cicadina ein wahres Fest – etwa zehn Prozent der Zikaden werden ein Opfer des Pilzes.

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    Wie aus dem Drehbuch für einen schlechten Horrorfilm

    Dessen Angriff auf die Zikaden mag erst einmal klingen wie das Drehbuch in einem schlechten Horrorfilm. Aber in Wahrheit, so Dr. John Cooley, außerordentlicher Professor für Ökologie und Evolutionsbiologie an der University of Connecticut in Hartford, ist die biologische Tücke, die der Pilz anwendet „noch viel seltsamer als Science-Fiction“. Er und seine Kollegen haben das Phänomen und seine Mechanismen der Attacke des Massospora cicadina genauer untersucht und ihre Ergebnisse jüngst veröffentlicht.

    Ab Abermilliarden Männchen zirpen bei der Brautschau in den USA jeweils in der Lautstärke eines Rasenmähers um die Wette.
    Ab Abermilliarden Männchen zirpen bei der Brautschau in den USA jeweils in der Lautstärke eines Rasenmähers um die Wette. © DPA Images | Carolyn Kaster

    Einige Details der Infektion sind noch offen. Klar ist aber: Ab dem Zeitpunkt, an dem die Sporen in den Körper gelangen, ist die Zikade dem Pilz hilflos ausgeliefert – und die Zombifizierung beginnt. Dr. Matt Kasson, außerordentlicher Professor für Mykologie und Forstpathologie an der Universität von West Virginia und einer der Mitforscher bei dem Projekt, hat das dem Sender CNN so erklärt: Im Hinterleib der infizierten Zikade sammeln sich die Pilzsporen an – schließlich falle dieser Körperteil samt Genitalien ab. An seiner Stelle kommt ein weißer Pilzpfropf zum Vorschein: „Es sieht aus, als ob ein Kaugummi, der in Kreidestaub gefallen ist, auf dem Rücken dieser Zikaden klebt“, so beschreibt Kasson den unappetitlichen Vorgang. Zudem manipuliere der Pilz das Insekt und treibe ihn in eine Hypersexualisierung, wie Kasson es bezeichnet. Trotz fehlender Genitalien entwickeln die Zikade einen enormen Paarungstrieb – männliche infizierte Insekten gehen wild auf weibliche los.

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    Der Pilz manipuliert die Zikaden zu fiesen Tricks – und setzt sie unter Droge

    Zudem treibt der Pilz sie zu einem fiesen Trick: : Zikadenweibchen signalisieren mit Flügelschlägen ihre Paarungsbereitschaft. Die mit dem Pilz infizierten Männchen tun dies ebenfalls, um auch gesunde Männchen anzulocken und zu infizieren. Das ist aber nicht der einzige Weg, wie Massospora unter den Zikaden wütet. Sobald sich das infizierte Insekt (ohne Genitalien) versucht fortzupflanzen, reißt der mit Sporen gefüllte Sack, und dann „fliegt die infizierte und ausgeweidete Zikade umher und regnet flauschige, braune Sporen ab. Wir nennen sie die Salzstreuer des Todes“, berichtet Kasson.

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    Die Forscher fragten sich als nächstes, woher die Tiere, die vom Pilz infiziert und deren Körper auseinandergerissen wurde, noch die Energie für soviel Aktivität nehmen. Was sie fanden: Der Pilz sorgt auch für ein Doping. In den betroffenen Insekten fanden sie ein Amphetamin, eine starke psychoaktive Droge. Ob und wie sie auf die Zikaden wirkt, das ist ein Projekt, dass die Forscher um Kasson und Cooley hoffen, in diesem Frühjahr herauszufinden bei der anstehenden Mega-Invasion der Zikaden

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    Droht für den Menschen ebenfalls die Zombieapokalypse?

    Halb im Spaß, halb im Ernst gehen die Wissenschaftler auch auf eine Theorie ein, die Grundlage ist für diverse Zombiefilme und Serien wie zum Beispiel „The last of us“ : Was passiert, wenn der Mensch oder Haustiere die Sporen des Pilzes inhalieren – droht dann ebenfalls eine Verwandlung? Die Forscher beruhigen: Es hätte keine Auswirkungen. Die Dosis der enthaltenen Amphetamine sei viel zu gering. Und Massospora cicadina sei tatsächlich nur in der Lage, Zikaden zu infizieren – und davon wiederum nur ganz bestimmte Arten. Die Invasion der Zikaden sei also garantiert kein Startschuss für die Zombie-Apokalypse, so gruselig der Angriff der Pilze auch für die Insekten sein mag. (ftg)