Rom. Venedig zieht jährlich Millionen Touristen an. Erstmals gibt es in der Stadt mehr Hotelbetten als Einwohner. Letztere haben genug.

Matteo Secchi ist Portier in einem Vier-Sterne-Hotel im venezianischen Viertel Castello. Mit Sorge beobachtet der gebürtige Venezianer die Zahl der Touristen, die sich in der Adventszeit durch die Calli, die engen Gassen der Altstadt, drängen.

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Immer weniger Menschen wohnen noch in der italienischen Touristenhochburg Venedig. Im Dezember hat die Zahl der Betten, die in der Altstadt in Hotels, Pensionen und Ferienwohnungen angeboten werden, jene der Einwohner übertroffen. Auf 50.016 Hotelbetten kommen 49.211 Venezianer.

Venedig: Einwohner wehren sich gegen Touristenmassen

Die alarmierenden Zahlen stammen von den Verbänden Venessia.com und Ocio, die sich wiederum auf das städtische Standesamt berufen. „Venedig braucht einen sofortigen Aufnahmestopp für Touristen, die Zahl der Betten muss begrenzt werden“, sagt Secchi der seit 15 Jahren Präsident von Venessia.com ist. Mit seiner Plattform will er den ansässigen Venezianerinnen und Venezianern eine Stimme verleihen. „Die Gefahr ist ansonsten, dass wir nicht mehr eine Stadt, sondern nur noch ein Vergnügungspark für Touristen sind.“

Jedes Jahr besuchen 14 Millionen Touristen Venedig. Die Einwohner sind klar in der Unterzahl – und wollen das nicht länger hinnehmen.
Jedes Jahr besuchen 14 Millionen Touristen Venedig. Die Einwohner sind klar in der Unterzahl – und wollen das nicht länger hinnehmen. © picture alliance | Christoph Sator

Rechnet man die Festland-Bewohnern mit ein, hat Venedig demnach gut 260.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Jedes Jahr besuchen rund 14 Millionen Touristen ihre Stadt. In den vergangenen Monaten ist die Zahl der Kurzzeitvermietungen sprunghaft angestiegen. Damit stehen 800 zusätzliche Betten zur Verfügung, während die Bevölkerung immer häufiger auf das Festland ausweicht, um den Urlaubern auszuweichen.

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Weil so viele Immobilien an Touristen vermietet werden, gebe es keine Wohnungen für Einwohner und Studenten. Daduch sterbe die Stadt allmählich aus. Secchis Forderungen an die Gemeinde sind klar: „So, wie die Eröffnung von Souvenirläden durch eine Verordnung unterbunden wurde, müssen wir auch die Ausbreitung von Kurzzeitvermietungen dringend einschränken.“

Lärm, Müll, teure Preise: Touristen bringen viele Probleme mit sich

Und damit nicht genug der Probleme: Wo Touristen sind, steigen die Preise. Das erschwere das Leben im historischen Zentrum erheblich, wie Secchi beklagt. Er selbst war früher Hotelbetreiber, musste diese Tätigkeit jedoch wegen der teuren Mieten augeben. „Ich habe nichts gegen den Tourismus, ich lebe ja selbst davon“, betont der Venezianer. „Ich bin aber gegen große ausländische Gesellschaften, die Riesenprofite machen, während wir Einwohner mit den enormen Nachteilen des Massentourismus leben müssen.“

Mario Secchi, Präsident des Verbands Venessia.com, fordert Einschränkungen für Touristen in seiner Heimatstadt Venedig.
Mario Secchi, Präsident des Verbands Venessia.com, fordert Einschränkungen für Touristen in seiner Heimatstadt Venedig. © privat | Privat

Weil sich zu viele Menschen in den Straßen drängen, sei die Bewegungsfreiheit in der Stadt für stark beschränkt. „Wir haben Probleme, zur Arbeit, in die Schule, zum Arzt zu gehen“, so Secchi. Wenn US-Touristen um drei Uhr nachts mit ihren Trolleys durch die Gassen ratterten, weil sie zum Flughafen müssen, könne er wegen des Lärms nicht schlafen, so der 53-jährige weiter. „Wir müssen auch für die hohen Kosten der Müllabfuhr aufkommen, die durch die vielen Touristen entstehen.“

Venedig will Tagesticket für Touristen testen

Die Stadt Venedig weiß um die Probleme und testet ab dem kommenden Frühjahr ein Eintrittsgeld für Tagestouristen. An besonders besucherstarken Tagen und Wochenenden müssen Touristen dann von 8.30 bis 16.00 Uhr fünf Euro zahlen. Das Geld wird an insgesamt 29 Tagen im Jahr 2024 erhoben.

Einwohner und in der Gemeinde Venedig geborene Personen, Immobilienbesitzer (auch wenn sie nicht in Venedig wohnen), Studenten und Arbeitnehmer müssen kein Eintrittsgeld zahlen. Für andere Kategorien, wie Kinder unter 14 Jahren, Behinderte und Begleitpersonen besteht zwar eine Buchungs-, aber keine Zahlungspflicht.

Besuchersperre? Diese Vorschläge machen Anwohner

Secchi ist gegen die Pläne der Gemeinde. „Venedig muss eine offene Stadt bleiben“, findet er. „Wenn jedoch eine Höchstzahl an Besuchern überschritten wird, sollte der Riegel vor die Tür geschoben werden.“ Das erlaube die italienische Verfassung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und der öffentlichen Gesundheit.

Besucher drängen sich in der „Calle de la Madoneta“. Für die Venezianer bleibt da kaum Platz, wie Einwohner Mario Secchi bemängelt.
Besucher drängen sich in der „Calle de la Madoneta“. Für die Venezianer bleibt da kaum Platz, wie Einwohner Mario Secchi bemängelt. © picture alliance | Christoph Sator

Als Beispiel nennt Secchi das Jahr 1989: Wegen des starken Andrangs von Besuchern zu einem Pink Floyd-Konzert auf dem Markusplatz hatte die Gemeinde den „Ponte della Libertá“ – die „Freiheitsbrücke“, die Venedig mit dem Festland verbindet – geschlossen.

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Arrigo Cipriani, 91-jähriger Gastwirt und Eigentümer der legendären Harry‘ s Bar, einst Künstlertreff von Größen wie Schriftsteller Ernest Hemingway, sieht die Lage ähnlich. Er bezeichnet die Steuer für Tagestouristen als „Schikane“: „ Statt eines Eintrittsgelds für Tagestouristen sollten alle Transaktionen in der Stadt, angefangen von Zahlungen in Hotels und Restaurants, besteuert werden“, lautet sein Vorschlag.