Berlin. . In 3,5 Stunden von Paris nach New York – und zum Billigtarif. Genau das verspricht eine US-Techfirma. Sind es nur hochfliegende Träume?

Für Ingenieure muss die Maschine wie Musik sein. Daher wohl ihr Name: "Symphony". So nennen sie bei Boom das Triebwerk, mit dem ein ziviles Flugzeug doppelt so schnell wie heutige Linienmaschinen fliegen soll – mit Überschallgeschwindigkelt, mit nachhaltigem Treibstoff und zu einem Preis von hundert Dollar. Es soll nicht nur die Flugzeiten verkürzen, sondern auch die Preise reduzieren. Wobei die 100-Dollar-Tickets wohl eine Utopie sein dürften.

"Overture" soll das Flugzeug heißen. Als Modell – nur als Modell – stand es in diesem Sommer bereits auf dem Laufsteg der internationalen Luftfahrt, auf der Paris Air Show. Großes Kino oder nur viel Theater?

Boom: Schon der Firmenname klingt vielversprechend

2026 soll die erste Maschine fertig gestellt werden. Den Erstflug plant das Tech-Unternehmen Boom Supersonic für 2027. Für 2029 terminierte es die Zertifizierung. Danach stünde der Markteinführung nichts im Wege.

Schon der Name Boom klingt wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Overture soll boomen. Das Unternehmen kommt nach eigenen Angaben auf 130 Vorbestellungen. Fluglinien wie American Airlines, United Airlines oder Japan Airlines drehen demnach längst Warteschleifen.

Erinnerungen an die Concorde werden wach

Da war doch was? Ein ziviles Überschallflugzeug gab es schon mal: die Concorde. Schön war sie, schön schnell. Weniger als vier Stunden dauerte schon im letzten Jahrhundert der Flug über den Atlantik. Da der Zeitunterschied zwischen Paris und New York sechs Stunden beträgt, kam man früher an, als man abgeflogen war.

Wer je mit ihr geflogen ist, war entweder superreich oder ein Spesenritter der Premiumklasse. Ein Hin- und Zurück-Ticket kostete mindestens 4500 Euro.

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Die Maschine war zu klein und schluckte so viel Sprit, dass der Vogel nie rentabel flog. Ganz zu schweigen von der CO-2-Bilanz. Die Concorde war schon aus der Zeit gefallen, bevor sie am 25. Juli 2000 in Paris abstürzte. 113 Menschen starben. Knall auf Fall war es vorbei mit der Concorde.

Geht es auch eine Nummer kleiner? Boom will eine Revolution des Reisens

Allein, die Faszination lebte weiter. Nun ist es das in Colorado ansässige Unternehmen Boom, das den kommerziellen Überschallflug wieder einführen und das Fliegen demokratisieren will. Wie die Concorde nur für jedermann? Anders als die Concorde soll die Overture der breiten Masse zugänglich werden. Darüber hinaus soll sie leise und umweltfreundlich sein.

Futuristisch schön, ultraschnell und selbstverständlich windschnittig: So soll der Super-Vogel von Boom aussehen.
Futuristisch schön, ultraschnell und selbstverständlich windschnittig: So soll der Super-Vogel von Boom aussehen. © Boom Supersonic

Schwer zu sagen, welche Overture gerade aufgeführt wird: Die einer wahren Revolution des Reisens oder einer Spekulationsblase. Richard Aboulafia, Geschäftsführer des Luftfahrtberatungsunternehmens AeroDynamic Advisory, hält Boom "für ein einigermaßen amüsantes Experiment". Bei CNN erklärte er, worum es seiner Meinung nach gehe: "Herauszufinden, wie viel Geld Menschen in lustige Zeichnungen und Modelle investieren würden." Ist das Projekt bloß Wunschdenken?

Scheitern oder die Welt verändern

Auf Twitter macht das Unternehmen klar, dass es sich nicht vom Kurs abbringen lassen will. Gerade postete es ein Foto von der Montagehalle in Nord-Carolina, einer Superfactory auf einem 62 Hektar großen Campus.

Bei CNN schwärmt der Gründer und CEO, Blake Scholl, es gehe darum, die Welt näher zusammenzubringen. "Unsere ultimative Vision ist ein Überschallflug für jeden Passagier auf jeder Strecke.“ Und: "Entweder wir scheitern oder wir verändern die Welt."

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Das Projekt ist kühn, allein schon die Zeitpläne. Scholl selbst nennt seine Ziele "aggressiv“, hält den Bau und die Zertifizierung der Maschine aber keineswegs für utopisch. Ganz im Gegenteil: "Es fliegt einfach mit einer anderen Geschwindigkeit. Aber aus regulatorischer Sicht sind es dieselben Sicherheitsstandards, dieselben Regeln, die bereits geschrieben sind – wir müssen sie nur befolgen und beweisen, dass wir sie befolgen.“

Unerledigte Hausaufgaben: Lärm, Verbrauch, Rentabilität

Experten fragen sich, wie weit die Entwicklung der Triebwerke wirklich ist. Sie erinnern daran, dass sich der renommierte Hersteller Rolls Royce vom Projekt verabschiedet hat. Auch andere namhafte Hersteller sucht man bei Boom vergebens, General Electric etwa oder Pratt & Whitneydfte. Boom verweist auf seiner Homepase darauf, dass die Ingenieure von Florida Turbine allerdings auf eine jahrzehntelange Erfahrung mit Kampfjets zurückblicken. Die Herausforderungen sind beachtlich:

  • Da ist erst einmal der Lärm, der so genannte Überschallknall. Der ist nach den US-Vorschriften über Land verboten. Overture kann nur über den Ozeanen Überschallgeschwindigkeit erreichen. Die US-Weltraumbehörde NASA arbeitet derweil an einem Flugzeug, das einen viel leiseren Überschallknall haben wird, angeblich so leise, als würde der Nachbar nebenan seine Autotür zuschlagen. Scholl sagt, "die Eindämmung des Überschallknalls ist absolut ein Teil der Zukunft." Auf gut Deutsch: noch Zukunftsmusik.
  • Dann ist da der Verbrauch: Pro Passagier würde Overture mehr Treibstoff verbrauchen als andere Verkehrsflugzeuge. Boom trägt solchen Bedenken Rechnung, in dem es das Triebwerk auf SAF (Sustainable Aviation Fuel) ausgelegt hat, einem Flugbenzin, das laut der International Air Transport Association (IATA) eine Reduzierung der CO2-Emissionen um bis zu 80 Prozent erreicht.
  • Und schließlich muss die Rentabilität stimmen. Overture soll 64 bis 80 Passagiere befördern, noch weniger als einst die Concorde. Wie sollen sich die Betriebskosten pro Sitz amortisieren? Das setzt eine hohe Auslastung voraus. Die Airlines müssten Overture wie ein beliebiges Flugzeug betreiben, also zwischen 4000 und 5000 Flugstunden pro Jahr.

Faszinierend bleibt das Projekt trotzdem. Voll besetzt soll der Supervogel eine Reichweite von 7871 Kilometern haben, mit 1,7 Mach und auf einer Höhe von 60.000 Fuß fliegen. Und das mit einem Höchstmaß an Komfort: Hohe Einstiegstüren, zwei Meter hohe Decken, auf jeder Seite des Ganges je zwei Sitze mit großen Fenstern.

Die Concorde ist nur noch etwas fürs Technik-Museum

Die alte Concorde war zweifellos weniger komfortabel, machte das Manko allerdings mit Luxus und Jetset-Kunden wett: mit Champagner, Kaviar, Hummer und mit Passagieren, die wie aus einem Society-Magazin entsprungen waren. Queen Elizabeth, Michael Jackson, Elton John.

Paul McCartney packte auf einem Weihnachtsflug seine Gitarre aus und brachte alle Geschäftsleute dazu, Beatles-Hits mitzusingen. Phil Collins flog wegen der Live Aid-Konzerte mit der Concorde zurück, um am selben Tag in London und Philadelphia aufzutreten. Die Concorde war mehr als ein Flugzeug, sie war eine Legende.

Heute ist sie nur noch eine schöne Erinnerung, ein Flugzeug fürs Technik-Museum. In Sinsheim haben sie ein ausrangiertes Wunderwerk für einen Euro erworben und ausgestellt. Dort steht sie zusammen mit ihrem russischen Überschallpendant Tupolew TU-144.

Ein Flugzeug für den großen Sprung in der Luftfahrt

Die Leute von Boom arbeiten nicht an einem Retro-Projekt. Sie basteln an einem Flugzeug der Superlative. "Wir möchten ein inspirierendes, komfortables und funktionierendes Erlebnis schaffen", sagt Scholl. "Es wird einfach eine fantastische Art zu fliegen sein.“

Dem "Evening Standard" sagte er, "die Luftfahrt hat seit Jahrzehnten keinen großen Sprung mehr erlebt. Overture ist in seinem Design revolutionär und wird grundlegend verändern, wie wir über Distanzen denken." Mit mehr als 600 Routen auf der ganzen Welt werde Overture "die Welt für Millionen von Passagieren zugänglicher machen." Dann wäre sie tatsächlich: eine "Concorde" für jedermann.