Berlin. Immer mehr Radfahrer sterben durch abbiegende LKW. Technik könnte dies verhindern.

Das Mädchen hat alles richtig gemacht: Die Zehnjährige, die am Donnerstag in Brandenburg/Havel die Bundesstraße 102 überqueren will, wartet an der roten Ampel. Als es grün wird, fährt sie los. Doch bei ihrer Familie, die in der Nähe wohnt, kommt sie nicht mehr an. Der Fahrer des Lastwagens, der an der Ampel neben dem Mädchen gewartet hat, fährt ebenfalls los, biegt nach rechts ab und übersieht das Mädchen. Wenige Stunden später stirbt die Zehnjährige im Krankenhaus.

Etwa jede zweite Woche kommen Radfahrer zu Tode, weil LKW-Fahrer sie beim Abbiegen zu spät oder gar nicht sehen. Laut einer Erhebung der Bundesanstalt für Straßenwesen gibt es pro Jahr mehr als 600 Unfälle dieser Art. Davon enden im Durchschnitt 23 tödlich. Der Fahrradclub ADFC registriert sogar höhere und stetig steigende Zahlen. Danach wurden vergangenes Jahr 38 Radfahrer von LKW beim Abbiegen getötet.

Damit kommen diese Unfälle insgesamt zwar relativ selten vor, enden aber fast immer mit Toten und Schwerverletzten, weil Radfahrer gegen die Lkw keine Chance haben. „Diese Unfälle passieren viel zu oft“, sagt René Filippek, Sprecher des ADFC. Das sei umso tragischer, als die Technik, um sie zu verhindern, längst da sei. Aber: Der Einbau solcher Hilfen gehe nur schleppend voran. „Es fehlt der politische Wille“, sagt Filippek. Der Verein fordert deshalb, Lastwagen verpflichtend mit Abbiegeassistenten auszurüsten und die Fahrer besser zu schulen. Auch Städte und Gemeinden müssten etwas tun und die Verkehrslenkung sicherer machen.

Einige Städte experimentieren schon mit Extra-Grünphasen für Rechtsabbieger oder mit einem Abbiegeverbot für LKW an gefährlichen Kreuzungen. Experten befassen sich seit rund zehn Jahren mit dem Problem. Zwar sind alle LKW mit zahlreichen Extra-Spiegeln ausgestattet, aber die Wirkung ist umstritten, denn kein Fahrer kann zugleich in alle Spiegel und auf die Straße schauen.

„Zusätzliche Spiegel oder Kameras in der Fahrerkabine schaden nicht, sie bringen aber auch kaum zusätzlichen Nutzen“, sagt Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der deutschen Versicherungsunternehmen. Für ihn ist ein Abbiegeassistent das geeignete Mittel, Unfälle zu verhindern. „Dass es diesen Assistenten nur als teures Zubehör gibt, ist schlecht“, sagt Brockmann und fordert, ihn in jedem LKW zu verbauen. Die Bundesregierung müsse sich mehr dafür einsetzen, dass solche Systeme Pflicht werden.

Das aber dauert. Deutschland allein kann den Einbau von Abbiegeassistenten nicht vorschreiben, das darf nur die EU-Kommission, die sich damit noch nicht befasst hat. Osteuropäische Länder, die stark im Speditionsgeschäft sind, sträuben sich gegen die Kosten. Bundesverkehrsminister Christian Schmidt (CSU) sagt, die Regierung setze sich „auf internationaler Ebene für den verpflichtenden Einbau von Abbiegeassistenzsystemen ein, um die schwächeren Verkehrsteilnehmer, die zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs sind, besser zu schützen“. Er appelliere an „alle Beteiligten, die deutschen Vorschläge aktiv zu unterstützen und deren Umsetzung nicht zu verzögern“. Freiwillig könnten LKW-Hersteller Systeme schon jetzt einbauen.