Berlin. Missbrauchsfall bringt Gericht in Erklärungsnot.

Das Gericht verlässt sich auf die Mutter. Auf ihren Schutzinstinkt. Ein Irrtum mit grausamen Folgen: Das neunjährige Kind, das bei ihr bleiben darf, wird fortan zwei Jahre lang von ihr sowie ihrem Partner missbraucht und gegen Geld europaweit pädophilen Männern angeboten. Der Fall in Staufen im Breisgau zieht seit einer Woche immer weitere Kreise. Nun sitzt die Justiz auf der Anklagebank – und unvermittelt die Bundeswehr in der Schmuddelecke. Denn unter den Verdächtigen ist ein Soldat der deutsch-französischen Brigade im elsässischen Illkirch.

Wegen Kinderpornografie und sexuellen Missbrauchs war Christian L., der Lebensgefährte der Frau, schon zu vier Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden. Er erhält nach Freilassung ein „Verbot, mit Personen unter
18 Jahren Kontakt aufzunehmen“. Es gibt eine Ausnahmeregelung: Wenn Sorgeberechtigte anwesend sind. Ist die Mutter dabei, darf L. das Kind sehen. Darauf pocht sie, zieht vor Gericht, gewinnt.

Der erste Hinweis, dass das Kindeswohl auf der Strecke bleibt, geht bei den Behörden ein halbes Jahr später ein, am 10. September 2017. Fünf Tage später verhaftet die Polizei die 47 Jahre alte Frau und ihren zehn Jahre jüngeren Partner. In der Folgezeit nehmen die Fahnder drei weitere Männer fest – und den Soldaten.

Die Bundeswehr suspendiert ihn. Zwangsläufig entlassen werden kann er nach dem Beamtenrecht aber nur, wenn ein Gericht eine Haftstrafe verhängt, die über ein Jahr hinausgeht. Insgesamt weiß die Bundeswehr von 26 Verdachtsfällen von Kinderpornografie oder Missbrauch in ihren Reihen im Jahr 2017. Allerdings bei insgesamt 250 000 Soldaten und Bediensteten. Bei der Bundeswehr ärgern sie sich, dass der Soldat der einzige Verdächtige ist, über den die Justiz den Beruf verriet.