Hannover. Das derzeitige Infektionsgeschehen in Niedersachsen lasse kaum Modellprojekte zu. CDU wirbt dafür, Geimpfte von Corona-Beschränkungen zu befreien.

Den Menschen in Niedersachsen droht mit der Verabschiedung der Bundes-Notbremse angesichts der angespannten Corona-Lage in weiten Landesteilen eine nächtliche Ausgangssperre. Allerdings will die Landesregierung auf Grundlage der bundesweit einheitlichen Regeln auch Lockerungen umsetzen, wie Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) in einer Sondersitzung des Landtags am Mittwoch ankündigte.

So soll Termin-Shopping bis zu einer Sieben-Tage-Inzidenz von 150 möglich sein. Bislang ist das Einkaufen mit einem vorab vereinbarten Termin in Niedersachsen nur bis zu einer Schwelle von 100 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen erlaubt. Anheben will Niedersachsen entsprechend den künftigen Bundesregeln auch die Altersgrenzen für Kinder bei den Kontaktbeschränkungen, und zwar von 6 auf 14 Jahre.

Niedersachsen wird im Bundesrat die strikteren bundeseinheitlichen Corona-Beschränkungen, die sogenannte Bundes-Notbremse, nicht blockieren. Zwar bedauere die Landesregierung, dass das Bundesgesetz keine Öffnungsklausel für Modellvorhaben bei einer Inzidenz auch über 100 vorsieht, sagte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) am Mittwoch im Landtag in Hannover. „Insgesamt wird Niedersachsen dem Vorhaben im Ergebnis aber nicht im Wege stehen.“

Das Abstimmungsverhalten im Bundesrat am Donnerstag werde sich auf die Frage beschränken, ob der Vermittlungsausschuss angerufen werden soll. „Ein solches Verfahren würde allerdings wieder Zeit kosten und Zeit steht in der Pandemie nur sehr begrenzt zur Verfügung“, sagte Weil. „Ich erwarte deswegen nicht, dass der Bundesrat morgen das Gesetz blockieren wird.“

Lesen Sie auch:

Weil übt Kritik an Bundesländern, sich sich nicht an die vereinbarte Notbremse gehalten haben

Deutliche Kritik übte Weil an den Bundesländern, die sich nicht an die Anfang März zwischen Bund und Ländern vereinbarte Notbremse gehalten haben. „In Niedersachsen haben wir uns eben von Anfang an konsequent an den gemeinsamen Beschluss gehalten, in anderen Ländern war man offenbar nicht so konsequent.“ In Niedersachsen bedürfe es keiner Bundesregelung zur Umsetzung der Notbremse, in anderen Länder offenbar schon. „Das ist nicht wirklich ein Kompliment für die Zuverlässigkeit bei der Umsetzung gemeinsamer Beschlüsse – ein Problem, das ich in den vergangenen Monaten immer wieder an dieser Stelle ansprechen musste.“

„Wenn vor diesem Hintergrund die Bundesregierung darauf gedrungen hat, die Notbremse durch ein Bundesgesetz verbindlich festzusetzen, war das für Niedersachsen unnötig, aber auch unschädlich“, sagte Weil.

AfD kritisiert Corona-Kurs des Landes und warnt vor Bundes-Notbremse

Die AfD-Abgeordneten im Landtag in Hannover haben den Corona-Kurs der Landesregierung kritisiert und vor einer Zustimmung zu bundeseinheitlichen Corona-Beschränkungen gewarnt. „Diesem Gesetz fehlt eine Öffnungsklausel“, sagte der AfD-Abgeordnete Stefan Henze am Mittwoch mit Blick auf die Bundes-Notbremse. Parteikollege Klaus Wichmann warf der Landesregierung einen beliebigen Corona-Kurs vor, mal hieß es „rin in die Kartoffeln“, mal „raus aus die Kartoffeln“. Welche Maßnahmen wirklich Wirkung zeigten, wisse die Regierung nicht. Außerdem habe das Land keinen Beitrag zur Untersuchung der Corona-Epidemie, ihren Verbreitungswegen und den Bekämpfungsmöglichkeiten geleistet.

Der AfD-Abgeordnete Harm Rykena forderte die Öffnung der Schulen und lehnte eine Test- und Impfpflicht ab. Außerdem unterstellte er der Landesregierung eine falsche Bewertung der Gefahrenlage. „Zuerst war es ein ganz normales Virus, aber die Regierung hat die Pest daraus gemacht.“ Mit der Bundes-Notbremse und der Zentralisierung der Entscheidung über einen Teil der Corona-Beschränkungen gerate die Demokratie in Gefahr, meinte der AfD-Abgeordnete Christopher Emden.

Grüne fordern harten Lockdown und gestufte Öffnungen

Grünen-Fraktionschefin Julia Willie Hamburg hat einen kurzen, harten Corona-Lockdown und anschließend gestufte Öffnungsschritte für Handel und Tourismus gefordert. Um die Zahl der Neuinfektionen zu senken, müsse in der Arbeitswelt stärker auf den Wechsel ins Homeoffice und Testmöglichkeiten für Beschäftigte im Betrieb gepocht werden, sagte Hamburg am Mittwoch im Landtag in Hannover. Außerdem müsse bei den Corona-Beschränkungen stärker zwischen drinnen und draußen unterschieden werden, wo die Infektionsgefahr deutlich geringer sei.

Der Landesregierung warf Hamburg eine Politik der Zustandsbeschreibungen und Ankündigungen vor. „Wo ist Ihr Handeln, was ist das Ziel, was sind die Maßnahmen?“ All dies sei unklar. Lob gab es von Hamburg indes für den Stufenplan von Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) mit klaren Regeln für den Betrieb der Schulen in der Pandemie.

Erfahren Sie hier mehr zur Bundes-Notbremse:

FDP warnt vor großflächigen Ausgangssperren in Niedersachsen

FDP-Fraktionschef Stefan Birkner hat vor nächtlichen Ausgangssperren gewarnt, die mit den bundeseinheitlichen Corona-Beschränkungen für mehr als zwei Drittel Niedersachsens bevorstehen. Bei solchen Ausgangsbeschränkungen handele es sich um verfassungswidrige und unverhältnismäßige Freiheitsbeschränkungen, sagte Birkner am Mittwoch im Landtag in Hannover. Es sei leichtfertig und verantwortungslos, zu solchen Einschränkungen zu greifen, deren Wirksamkeit bezweifelt werden kann.

Birkner kritisierte außerdem ein faktisches Ende der in Niedersachsen geplanten Modellvorhaben mit Öffnungen von Handel und Gastronomie gekoppelt an Schnelltests. Die Landesregierung drücke sich davor einzugestehen, dass die Modellvorhaben und damit ein zentraler Punkt der niedersächsischen Corona-Politik mit den Bundesregelungen gescheitert seien, die solche Modellprojekte nur bis zu einer Inzidenz von 100 vorsieht. Über blieben damit Verbote und Beschränkungen zum Umgang mit der Epidemie.

CDU-Fraktionschef fordert mehr Flexibilität bei Impfkampagne

Mehr Flexibilität bei der Impfkampagne gegen das Coronavirus in Niedersachsen hat CDU-Fraktionschef Dirk Toepffer gefordert. Die Impfzentren sollten unbürokratisch abends übergebliebene Impfdosen an Menschen vergeben, die sich dafür bereithalten, sagte Toepffer am Mittwoch im Landtag in Hannover. „Das würde die Impfgeschwindigkeit insgesamt deutlich erhöhen, Verteilungsprobleme unbürokratisch lösen und zu guter Letzt sogar Geld sparen.“ Weniger Bürokratie bei der Impfpriorisierung führe zu mehr Tempo beim Impfen.

Teilweise Loslösung von der Impfpriorisierung

Mit Blick auf die steigenden Impfdosenlieferungen müsse außerdem ernsthaft geprüft werden, ob eine teilweise Loslösung von der grundsätzlich richtigen Impfpriorisierung ins Auge gefasst werden kann, sagte Toepffer. So sei es beispielsweise richtig, dass nun schon bald die überwiegende freiwilligen Feuerwehrkräfte in Niedersachsen geimpft werden können.

Eine Idee: bereits Geimpfte von Corona-Beschränkungen befreien

Toepffer warb außerdem darum, bereits geimpfte Menschen von Corona-Beschränkungen zu befreien. Aus ethischer aber auch aus wirtschaftlicher Sicht sei es sinnvoll, den Kreis der von Beschränkungen Betroffenen so klein wie möglich zu halten. Vielleicht sei es angesichts der noch kleinen Zahl Geimpfter noch zu früh, um für sie weitere Lockerungen zuzulassen. „Aber wir sollten endlich einmal ganz sachlich und mit kühlem Kopf darüber diskutieren, wann denn der Zeitpunkt gekommen ist, um die anstehenden Fragen zu beantworten.“

Kein schneller Start von Modellvorhaben in Sicht

Die von der niedersächsischen Landesregierung angeschobenen Modellvorhaben zur Öffnung von Handel und Gastronomie, gekoppelt an Schnelltests, können vorerst nicht starten. Die neuen Regeln der Bundes-Notbremse erlaubten solche Projekte nur bis zu einer harten 100er-Grenze bei der Sieben-Tage-Inzidenz, sagte Gesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD) am Mittwoch im Landtag in Hannover. Das derzeitige Infektionsgeschehen lasse angesichts dieser Rahmenbedingungen kaum Modellprojekte zu.

Nur 15 Kommunen in Niedersachsen unter 100er Inzidenz

Aktuell liegen nur 15 Kommunen in Niedersachsen unter einer Inzidenz von 100 und keine einzige unter 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen. „Wir werden nun mit den kommunalen Spitzenverbände besprechen, welche Perspektiven für Modellprojekte gesehen werden“, sagte Behrens. „Wir haben weiterhin ein großes Interesse, Modellprojekte möglich zu machen.“ Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) betonte, das Land sei nun darauf angewiesen, die Inzidenzwerte wieder unter 100 zu senken.

Zwölf Kommunen hätten mit Modellprojekt beginnen sollen

Zwölf nach einem Bewerbungsverfahren ausgewählte niedersächsische Kommunen hatten ursprünglich am 12. April mit einem Modellprojekt beginnen sollen. Eine Sieben-Tages-Inzidenz von unter 100 hatte die Regierung dabei als Bedingung genannt, vielerorts hat die Corona-Lage sich seitdem aber verschlechtert.

Bei den Modellversuchen sollten Läden, Theater und Kinos, Galerien, Fitnessstudios oder die Außengastronomie in Innenstädten öffnen dürfen. Voraussetzung für den Besuch war ein aktueller negativer Corona-Test. Strenge Schutzmaßnahmen und Testkonzepte in den Projektgebieten waren ebenso Bedingung wie die Nutzung einer digitalen Kontaktnachverfolgung.

Lesen Sie mehr zum Modellprojekt in unserer Region:

Teilnehmende Kommunen sind die Städte Aurich, Braunschweig, Buxtehude, Cuxhaven, Einbeck, Emden, Hann. Münden, Hildesheim, Lüneburg, Nienburg/Weser, Norden und Oldenburg. Die ebenfalls ausgewählte Stadt Achim im Kreis Verden sagte die Teilnahme ab.