Hannover. Nach dem Anschlag in Halle hat das Land Niedersachsen einen Antisemitismus-Beauftragten eingesetzt – den Juristen Franz Rainer Enste.

Das Holocaust-Mahnmal am Opernplatz ist ein beliebter Treffpunkt in Hannover – Skater probieren hier ihre neuesten Tricks, Jugendliche feiern mit einer Flasche Bier in der Hand. Natürlich haben diese jungen Leute die NS-Zeit in der Schule behandelt. Aber was haben die Deutschen gelernt aus den Gräueltaten jener Jahre? Angesichts der Beliebtheit rechtspopulistischer Parteien stellt sich diese Frage drängender denn je. In Niedersachsen wird künftig vor allem ein Mann damit beschäftigt sein, Antworten zu finden: Franz Rainer Enste, der neue Antisemitismus-Beauftragte des Landes.

Ehemaliger niedersächsischer Regierungssprecher

Beim Treffen in einem Café in der Nähe des Holocaust-Mahnmals wird schnell klar: Es kommt viel Arbeit zu auf den Mann, der mit seiner Höflichkeit und Korrektheit immer einen leicht britischen Touch hat. Bis 2013 war der promovierte Jurist Regierungssprecher der CDU/FDP-Regierung in Niedersachsen. „Es geht letztlich darum, das Menschenbild unserer Gesellschaft zu verteidigen“, sagt Enste über seine neue Aufgabe. „Das Menschenbild, das Kern unserer Verfassung ist: Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Schon im Mai sagte er zu, das neue Amt zu übernehmen. Mit dem Anschlag auf eine Synagoge in Halle bekam das Thema Antisemitismus eine neue Dimension. Und wenn man ihn erst danach gefragt hätte? Enste überlegt einen Moment, trinkt einen Schluck Kaffee. „Vielleicht hätte ich dann gerade zugesagt“, meint er.

Engagement im Geschichtsarbeitskreis

Dabei ist der 66-Jährige durchaus ausgelastet – etwa als Governor der Rotarier, zudem koordiniert er in seiner Heimatgemeinde, der Wedemark bei Hannover, einen Geschichtsarbeitskreis, in dem junge Menschen den Spuren der NS-Zeit nachforschen. Auch bei der Betreuung der Enkel lässt sich der sechsfache Großvater gerne einspannen.

Und da wäre dann noch sein Leben als Vortragsreisender: In seiner Freizeit schlüpft Enste mit Leidenschaft in das Leben historischer Musikerpersönlichkeiten. Mit der Barockperücke auf dem Kopf und einem geliehenen Wams tritt er dann als Georg Friedrich Händel auf, auch Vivaldi oder Grieg liegen ihm. „Schauen Sie mal, das passt doch, oder?“, sagt Enste und zeigt auf dem Handy ein Foto von sich als Giacomo Puccini mit fein ziseliertem Schnurrbart.

Enste will viele Orte in Niedersachsen befragen

In seinem neuen Amt liegt nun ein Terminmarathon vor ihm. Treffen mit den jüdischen Gemeinden, dem Landeskriminalamt, der Landeszentrale für politische Bildung. „Ich will auch ins Land gehen, nach Oldenburg, Osnabrück oder Lüneburg – was denken die Menschen da?“

Niedersachsens früherer Ministerpräsident David McAllister (CDU) findet, dass Enste der richtige Mann für den neuen Posten ist. McAllister holte den Juristen 2010 aus dem Landtag in Hannover als Regierungssprecher an seine Seite in die Staatskanzlei. „Er bringt für diese Aufgabe das notwendige Maß an diplomatischem Geschick, politischem Gespür und intellektueller Freiheit mit“, sagt McAllister. „Antisemitismus ist eine Schande für unser Land.“

Starkes Interesse an der Weimarer Republik

Vor seiner Zeit in der Staatskanzlei wirkte Enste als Parlamentssprecher viele Jahre an der Seite der Landtagspräsidenten Horst Milde, Rolf Wernstedt und Jürgen Gansäuer. Mit Vortragsreihen und anderen Veranstaltungen öffnete er das Parlament für die Bürger und pflegte die Erinnerungskultur – aus dieser Zeit rühre auch sein wachsendes Interesse an der deutschen Geschichte, sagt Enste.

Eines seiner Schwerpunktthemen ist das Ende der Weimarer Republik. „Das legale Ende einer Demokratie – wie ist es dazu gekommen? Das finde ich irre“, sagte Enste. Damals wie heute sei die Suche nach Orientierung in einer hochkomplexen Zeit für viele Menschen ein zentrales Problem gewesen.

Und woran will der Jurist den Erfolg seiner Arbeit messen? „Was wir machen, wird schwer zu evaluieren sein“, sagt Enste. „Aber: Ich will einen kleinen Beitrag leisten für eine Gesellschaft, die durch Respekt und gegenseitige Toleranz geprägt ist.“ dpa