Hannover. Vor neun Jahren starben in Göttingen Sprengstoffexperten bei einer Bombenentschärfung. Am Samstag arbeiten die Kampfmittelräumer ganz in der Nähe.

Der Einsatz der Bombenentschärfer am Samstag in Göttingen ruft böse Erinnerungen hervor: Thorsten Lüdeke und sein Team vom niedersächsischen Kampfmittelbeseitigungsdienst arbeiten nur etwa hundert Meter entfernt von dem Ort, an dem 2010 drei ihrer Kollegen ums Leben kamen.

Damals detonierte eine alte Weltkriegsbombe bei dem Versuch, sie zu entschärfen. Noch ist unklar, ob dort in unmittelbarer Nähe ein weiterer Blindgänger in der Erde liegt. Wie geht es den Sprengstoffexperten vor dem Einsatz?

Herr Lüdeke, Sie waren 2010 in Göttingen mit dabei, jetzt gibt es wieder einen Einsatz. Hat Ihr Team Angst, wenn das im Hinterkopf ist?

Also mit Sicherheit sitzt uns diese Sache von damals noch schwer in den Knochen. Weil die Jungs, die dort ums Leben gekommen sind, das war Familie und sehr gute Freunde von uns. Und es ist auf jeden Fall ein komisches Gefühl für Samstag, was man dort hat. Aber das versuchen wir für den Zeitraum so gut wie möglich irgendwie zu unterdrücken. In dem Moment ist kein Platz für solche Gefühle. Da müssen wir wirklich konzentriert bei der Sache sein.

Wurden Sie selbst bei dem Einsatz verletzt?

Vom Kopf her. Mein bester Kumpel ist auch ums Leben gekommen - man nannte uns immer die Zwillinge, weil wir selbst am Wochenende fast nur zusammengehangen haben. Die Bilder verkraftet man nicht einfach so. Ich hab anfänglich versucht, das irgendwie alleine geregelt zu kriegen. Aber irgendwann hat man dann gemerkt: Es geht einfach nicht. Und dann hab ich für mich entschieden, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo ich dann doch mal lieber ins Krankenhaus gehe. Auch weil das meinen Kollegen nicht weiterhilft, wenn ich nicht zu 100 Prozent bei der Sache bin. Und aus dem mal kurz ins Krankenhaus sind dann 16 Wochen geworden.

Weiß man denn, was 2010 genau passiert ist?

Rekonstruieren kann man es nicht. Aber es ist soweit ja auch klar. Die Bombe hat das gemacht, was sie machen sollte, bloß halt 70 Jahre später. Wir waren ja noch nicht wirklich dran. Wir waren noch in der Vorbereitung, und dort kam es zu der Detonation. Und den Rest kennt man ja.

Wird seitdem in Ihrem Team irgendwas anders gemacht?

Hätten wir damals einen Fehler gemacht, dann hätte man mit Sicherheit was verändert. Natürlich versucht man immer behutsam vorzugehen. Aber im Endeffekt können wir nicht groß etwas verändern. Wir versuchen uns technisch immer weiter zu entwickeln und neue Entschärfungsmethoden einzuführen. Aber von dem Faktor Mensch können wir uns nicht großartig verändern.

Gibt es für Sie oder Ihre Kollegen auch die Möglichkeit zu sagen: Das kann ich nicht machen, bei dem Einsatz bin ich raus?

Es war schon schwer, Kollegen zu finden. Aber im Endeffekt gab es dann doch zwei die gesagt haben: Ja, ich komme mit. Es ist nicht so, dass die gezwungen sind, mitzukommen. Es hilft mir ja auch nicht weiter, wenn ich dort einen Kollegen vor Ort habe, der völlig fertig ist. Die sollen frei von allem sein und sich auf ihre Arbeit konzentrieren - damit wir da alle am Ende des Tages heile wieder nach Hause gehen.

Was mögen Sie an Ihrem Job eigentlich am meisten?

Dass er so schön abwechslungsreich ist. Man muss sicherlich ein bisschen bescheuert sein, damit man auf sowas steht. Aber ich hab das damals bei der Bundeswehr schon gemerkt: Dort war ich Taucher, und dort hatte ich schon viel mit Sprengen und auch Kampfmitteln zu tun. Und dort hatte ich schon gemerkt, das ist was für mich. Es ist nichts, was langweilig wird.

Wie oft stehen Sie morgens auf und gehen mit Angst zur Arbeit?

Eigentlich gar nicht. Samstag wird natürlich eine andere Hausnummer. Da werde ich mich schon ein bisschen großzügiger zuhause verabschieden, bevor ich dann zur Arbeit fahren werde.

Zur Person: Thorsten Lüdeke wohnt in Celle und ist 38 Jahre alt. Er ist seit 2007 beim niedersächsischen Kampfmittelbeseitigungsdienst. Er arbeitet aber schon seit 19 Jahren mit Kampfmitteln.