Hannover. Rund 600 Missbrauchsfälle wurde bereits ermittelt. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) richtet bundesweite Anlaufstelle ein.

Nach Bekanntwerden von inzwischen 600 Missbrauchsfällen plant die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) derzeit keine allgemeine Entschädigungsregelung für Betroffene. „Das Thema Entschädigungen muss jede Landeskirche selber regeln“, sagte Oberkirchenrat Nikolaus Blum am Dienstag in Hannover bei einem Expertentag der EKD zum Thema Missbrauch. Das heiße nicht, dass keine Entschädigungen vorgesehen seien, die bayerische Landeskirche habe bereits mehr als eine halbe Million Euro an Betroffene gezahlt.

EKD richtet Anlaufstelle ein

Erstmals richtet die EKD vom 1. Juli an eine bundesweit zentrale und von der Kirche unabhängige Anlaufstelle für Missbrauchsopfer ein. Erst im vergangenen Herbst hatte die EKD eine zentrale Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch beschlossen, die katholische Kirche tut dies seit 2010. Sie zahlt Opfern als symbolische Anerkennung ihres Leids mindestens 5000 Euro. Blum, der dem neuen EKD-Beauftragtenrat für Missbrauch angehört, räumte Verzögerungen bei der evangelischen Kirche im Umgang mit der Missbrauchsproblematik ein. Die bislang ermittelten 600 Opfer zumeist aus vergangenen Jahrzehnten seien sicher nur eine Teilmenge der insgesamt Betroffenen. Geplant ist nun eine bundesweite Untersuchung von Missbrauch in der evangelischen Kirche und Diakonie, erste Ergebnisse sollen 2021 vorliegen.

Risiken sollen ermittelt werden

Ziel der Untersuchung und einer möglichen Dunkelfeldstudie sei es auch, spezifische evangelische Risiken zu ermitteln, um zukünftige Missbrauchsfälle zu verhindern, sagte die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs. So habe etwa die Reformpädagogik in der Jugendarbeit eine Kultur geschaffen, in der Grenzverletzungen möglich wurden, die mit emotionaler Drangsalierung und religiös aufgeladenem Machtmissbrauch begannen und teils in körperlichem Missbrauch endeten. Für den Betroffenenrat, den die EKD in die Aufarbeitung einbeziehen möchte, forderte Kerstin Claus Hilfe bei der Vernetzung der Opfer. Anders als in katholischen Einrichtungen handele es sich bei der evangelischen Kirche meist nicht um ganze Gruppen von Opfern, sondern um Einzelfälle. Diese ständen auch heute auf verlorenem Posten, wenn es darum gehe, der Kirche gegenüber Taten glaubhaft zu machen.