Lügde/Hameln. Nachdem die Anklageschrift allen Beschuldigten zugestellt wurde, teilt das Landgericht Detmold erstmals Details mit. Sie sind erschütternd.

Nach dem massenhaften Missbrauch auf einem Campingplatz in Lügde an der Grenze zu Niedersachsen werden dem 56-jährigen Hauptverdächtigen von der Staatsanwaltschaft in der Anklage 293 Fälle vorgeworfen. Das teilte das Landgericht Detmold am Freitag mit. Demnach soll sich der Mann unter anderem wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen, schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und des Besitzes von kinderpornografischen Schriften verantworten.

Die Taten sollen im Sommer 1998 und seit Anfang des Jahres 2008 bis Dezember 2018 auf dem Campingplatz begangen worden sein, so das Gericht. Die Anklageschrift führe 22 Opfer auf, die im Zeitpunkt der Taten alle minderjährig gewesen seien. Außerdem soll der Mann laut Anklage im Dezember 2018 im Besitz von 879 Bild- und Videodateien mit kinderpornografischem Inhalt gewesen sein.

2.700 Bild- und Videodateien mit kinderpornografischem Inhalt

In den meisten Fällen wird dem 56-Jährigen vorgeworfen, zehn verschiedene Kindern missbraucht zu haben. In einem Fall soll er zwei Kinder veranlasst haben, sexuelle Handlungen aneinander vorzunehmen.

Ein Komplize (49) des Mannes aus Stade ist mitangeklagt, weil er unter anderem in mindestens vier Fällen an Webcam-Übertragungen des Dauercampers teilgenommen haben soll. Teilweise soll er den Hauptverdächtigen vorher ausdrücklich zum Missbrauch aufgefordert haben. Darüber hinaus sollen bei dem Mann aus Stade im Januar 2019 mehr als 42.700 Bild- und Videodateien mit kinder- und jugendpornografischem Inhalt gefunden worden sein.

Die zuständige 3. Strafkammer prüfe gegenwärtig die Zulassung der Anklagen zur Hauptverhandlung, so das Landgericht Detmold.

Außer den beiden Angeklagten sitzt noch ein 34-Jähriger in Untersuchungshaft, der gesondert angeklagt werden soll. Gegen weitere fünf Personen wird wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs, des Besitzes von kinderpornografischem Material oder Strafvereitelung im Amt ermittelt.

Statistisch in jeder Klasse zwei Kinder, die sexuell missbraucht wurden

Der Landkreis Hameln-Pyrmont informierte am Freitag über sein neues Konzept zur Erkennung und Prävention von sexualisierter Gewalt. Das Hamelner Jugendamt hatte trotz mehrerer Hinweise auf sexuell übergriffiges Verhalten den 56 Jahre alten Dauercamper als Pflegevater für ein kleines Mädchen eingesetzt. Das Kind nutzte der Mann den Ermittlungen zufolge, um andere Opfer anzulocken.

Hamelns Landrat Tjark Bartels (SPD) will die ganze Bevölkerung erreichen und aufmerksam machen. Noch immer gebe es Schulleitungen, die sagten: „Bei uns passiert so etwas nicht“, sagte er. Dabei seien statistisch in jeder Klasse zwei Kinder, die sexuellen Missbrauch erfahren haben.

Auch die Landtagsabgeordneten in Hannover wollen sich über Parteigrenzen hinweg für mehr Kinderschutz einsetzen. Niedersachsens Sozialministerin Carola Reimann plant unter anderem eine Informationskampagne mit dem Arbeitstitel «Kinderschutz geht uns alle an». Verbessert werden solle der Austausch von Jugendämtern untereinander auch über Landesgrenzen hinweg, sagte die SPD-Politikerin. Darüber hinaus sollen landesweit Schulsozialarbeiter und Ehrenamtliche in Vereinen in Seminaren Schulungen zum Erkennen von Gefährdungen für Kinder und Jugendlichen erhalten. dpa