Hannover. Niedersachsen sieht sich bundesweit als Motor der Energiewende. Doch nun schlägt Umweltminister Lies Alarm und erhebt Vorwürfe gegen die Flugsicherung

Beim Ausbau der Windenergie kritisiert Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies eine zu starre Haltung der Deutschen Flugsicherung (DFS). Bei der Umweltministerkonferenz in Hamburg wirbt der SPD-Politiker daher um Unterstützung, um die bisherige DFS-Praxis bei der Ausweisung von Schutzzonen um Radar- und Navigationsanlagen zu ändern. „Nur in Deutschland gilt ein Abstandsradius von 15 Kilometern zu Radaranlagen, in anderen EU-Staaten ist es deutlich weniger“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Er hält der Behörde vor, ihre Spielräume nicht zu nutzen und somit die Energiewende auszubremsen.

Die DFS wies den Vorwurf von Lies am Abend zurück. „Innerhalb unserer Anlagenschutzbereiche wird eine Windenergieanlage nicht generell von uns abgelehnt“, sagte DFS-Chef Klaus-Dieter Scheurle. „Jede Anfrage in diesem Gebiet wird im Genehmigungsverfahren von unseren Spezialisten in einer Einzelfallbetrachtung beurteilt, ob eine Baumaßnahme aus Gründen der Flugsicherheit zulässig ist.“ Entscheidend sei dabei, ob die Zuverlässigkeit des abgestrahlten Signals der Navigationsanlage noch gegeben sei.

Verlässliche Ausbauperspektive für Windenergiebranche gefordert

„Wir können mit moderner Satellitentechnik und einer passgenauen Analyse der einzelnen Standorte neue Flächen für die Windenergie erschließen, ohne die Sicherheit zu gefährden“, hatte Lies weiter gesagt. Es sei ein Dialog mit der Luftfahrtbranche nötig, der die Interessen beider Seiten anerkenne. Die Windenergiebranche benötige eine verlässliche Ausbauperspektive und dürfe nicht ins Stocken geraten, daher müssten mögliche Hemmnisse abgebaut werden. Im vergangenen Monat hatte er sich deshalb mit einem Brief an Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) gewandt.

Nach Expertenschätzungen können weit mehr als zwei Gigawatt installierter Leistung wegen Auflagen der Deutschen Flugsicherung nicht realisiert werden. Das geht aus einem Schreiben hervor, in dem Lies die Flugsicherung als „eines der derzeit drängendsten Hemmnisse der Flächennutzung für Windenergie“ bezeichnet. Er führt darin Beispiele aus der Region Hannover sowie vor allem dem Landkreis Hildesheim an. „Dort wurde die Errichtung einer Windenergieanlage im Abstand von 14,7 Kilometern zu einem gegenwärtig nicht einmal mehr im Betrieb befindlichen Drehfunkfeuer abgelehnt“, rügte er.

Kritik: Spielräume werden nicht genutzt

In dem Brief kritisierte er eine „deutliche Zurückhaltung der DFS, die gegebenen Spielräume auszuschöpfen“. Der Blick auf andere Länder belege, dass es bei der Umsetzung entsprechender Richtlinien der Internationalen Zivilluftfahrtbehörde (ICAO) durchaus diese Spielräume gebe, ohne die Flugsicherheit zu gefährden. Eins davon sei Belgien, wo eine einfache und transparente Systematik anders als in Deutschland statt eines 15-Kilometer-Schutzbereiches nur bis zu sieben Kilometer große Schutzflächen vorsieht. Der niedersächsische Umweltminister appelliert daher an Scheuer, die bisherigen Regelungen und Entscheidungen der Behörde „kritisch zu hinterfragen“.

Insgesamt stünden aktuell rund 2100 Windenergieanlagen in Anlagenschutzbereichen von Drehfunkfeuern der DFS, erwiderte DFS-Chef Scheurle. Dies habe zur Folge, dass das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF) zusätzliche Windenergieanlagen im Schutzbereich immer öfter ablehnen müsse. Für die Größe der Anlagenschutzbereiche orientiere sich die DFS an den Empfehlungen der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation ICAO.

Die DFS verwende für ihre Begutachtung eine mathematische Methode, die 2016 in letzter Instanz vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig bestätigt worden sei, hieß es weiter. Mit dem Ausbau der Windenergie steige auch die Anzahl dieser Anlagen innerhalb der Schutzbereiche von Radar- und Navigationsanlagen. Das gefährde die vorgeschriebene Genauigkeit der Navigationsanlagen, wenn abgestrahlte Signale, mit deren Hilfe Piloten ihre Position ermitteln, an Windenergieanlagen abgelenkt und verfälscht würden. In der Region Hannover sei die Anzahl der Windkraftanlagen bereits so hoch, dass die zulässigen Grenzwerte erreicht seien. dpa