Hannover. Wie lange arbeiten Lehrer wirklich? Die Frage treibt sowohl Ministerien wie Lehrergewerkschaften um. Die Landesregierung wollte es daher genau wissen.

In Niedersachsen arbeiten viele Lehrer im Schnitt länger als eigentlich erlaubt. Das ist eins der Ergebnisse einer Arbeitszeit-Analyse im Auftrag des Kultusministeriums in Hannover, die ein zwölfköpfiges Expertenteam am Dienstag vorlegte. Vor allem viele Teilzeitkräfte kämen auf Wochenarbeitszeiten von mehr als 48 Stunden. Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) stellte kurzfristig Konsequenzen in Aussicht, darunter eine Streichliste für die von Lehrern auszufüllenden Formulare sowie eine Überarbeitung der Arbeitszeitverordnung. Zudem soll nun ein Gremium unter Einschluss von Gewerkschaften und Verbänden Vorschläge für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Lehrkräften und Schulleitungen erarbeiten.

Die unabhängige Expertenkommission schlug daneben eine einstündige Senkung der wöchentlichen Unterrichtsverpflichtung an Grundschulen, diverse Entlastungsstunden für Schulleitungen und Lehrkräfte sowie weitere Maßnahmen vor. Besonders betroffen seien ältere und in Teilzeit beschäftigte Lehrkräfte. «Jetzt muss der Minister die notwendigen Schritte einleiten, um die Arbeitszeitverordnung für Lehrkräfte endlich der Realität anzupassen», forderte die GEW-Landesvorsitzende Laura Pooth und meinte: «Der Finanzminister darf nun nicht weiter die Augen verschließen, das niedersächsische Schulsystem benötigt einen massiven Investitionsschub.»

Die oppositionelle FDP sieht es ähnlich: «Die Zeit des Wartens, Analysierens und des Herumredens ist vorbei», meinte der FDP-Abgeordnete Björn Försterling. Er forderte etwa für Schulleiter eine eigene Arbeitszeitverordnung: «Hier müssen kurzfristig die Leiter von Grundschulen entlastet werden.» Auch die versprochene Altersermäßigung müsse endlich wiederkommen, um die Lehrkräfte länger im Dienst zu halten und frühzeitige Pensionierungen abzubauen.

Tonne wertete die Studie als bundesweit einmalig, da eine objektive und transparente Grundlage für eine zeitgemäße Bewertung des Schulalltags nun geschaffen worden sei. Die Autoren hatten bei der ein Schuljahr dauernden Zeitmessung unter anderem herausgefunden, dass sich die Arbeitsbelastung von Lehrern zu einem Drittel aus Unterricht, einem Drittel aus dessen Vor- und Nachbereitung sowie einem Drittel aus Tätigkeiten zusammensetzt, die außerhalb des Unterrichts angesiedelt ist. Dieser Anteil - meist Verwaltungstätigkeit - habe zulasten des Unterrichts stark zugenommen, so die Autoren der Arbeitszeitanalyse.

Die CDU-Landtagsabgeordnete Mareike Wulf begrüßte die von Tonne in Aussicht gestellte Entlastung als guten ersten Schritt, meinte aber auch: «Wir müssen aber auch zeitnah Verwaltungsmitarbeiter und Sozialpädagogen einstellen, um den komplexen Anforderungen in Schule gerecht zu werden.» Ähnlich äußerte sich auch die SPD dazu. Die Studie zeige die Veränderung der Aufgaben- und Anforderungsprofile, mit denen sich Lehrerinnen und Lehrer konfrontiert sehen, meinte der SPD-Landtagsabgeordnete Stefan Politze.

Erstellt wurde die Studie von Frank Mußmann, dem Leiter der Kooperationsstelle für Hochschulen und Gewerkschaften an der Uni Göttingen sowie seinem Kollegen Axel Haunschild von der Universität Hannover. Sie basiert auf einer Studie im Auftrag der GEW von 2016, für die 2900 Lehrkräfte aus 255 Schulen fast ein Jahr ihre Arbeitszeit genau protokolliert hatten. Die nun von dem Gremium ermittelte Mehrarbeit in Niedersachsen liegt bei insgesamt rund 169 000 Zeitstunden pro Woche. Die Expertenkommission schlägt vor, dass für die Entlastung ein Drittel von den Schulen selber geleistet werden muss, während den Rest das Land sicherstellen müsste.

Nach der Studie arbeiten Gymnasiallehrer im Land im Schnitt pro Woche gut drei Stunden mehr als sie mussten, Grundschullehrer etwa eine Stunde und zwanzig Minuten mehr. Über alle Schulformen hinweg leisten die Lehrkräfte im Schnitt eine Stunde und vierzig Minuten Mehrarbeit pro Schulwoche. Allerdings weisen die Autoren der Studie auf eine große Streuung hin. So gibt es zwar viele Lehrer, deren Arbeitszeit deutlich überm Soll liegt, doch auch einige, die darunter bleiben.