Braunschweig. Die 25. Festival-Ausgabe präsentiert Produktionen aus Südamerika. Aber es geht auch um queere junge Polen und südafrikanische Tanzkunst.

Die Weltsicht indigener Künstlerinnen und Künstler aus Südamerika und Skandinavien/Finnland bildet einen Schwerpunkt der 25. Ausgabe des Festivals Theaterformen, die vom 13. bis 23. Juni in Braunschweig auf den Bühnen der Stadt und im Theaterpark steigt. Aber es geht auch um Internet-Aktivistinnen, die russische Soldaten via Dating-Portalen ausspionieren, um die Zustände in polnischen Jugendpsychiatrien und philippinische Unterhaltungskünstlerinnen auf Kreuzfahrtschiffen. Unter anderem. Am Freitagvormittag stellte Festivalleiterin Anna Mülter das Programm im Louis-Spohr-Saal des Staatstheaters vor. Sie kündigte rund 15 internationale Produktionen und „Begegnungen mit spannenden Formen des Theaters“ an.

Eröffnet wird das Festival am Donnerstag, 13. Juni, mit der Tanzperformance „Hatched Ensemble“ von Choreografin Mamela Nyamza aus Johannesburg im Großen Haus des Staatstheaters. Neun schwarze Tänzerinnen begönnen ein Ballett in Spitzenschuhen zu Musik von Camille Saint-Saëns, schildert Mülter. Dann dekonstruierten sie die Geschichte des klassischen Tanzes, mischten sie mit indigenen Tänzen, klopften mit den Schuhen den Rhythmus auf den Boden. „Das Stück fragt auf sehr sinnliche Weise nach Identiät, Tradition, Geschlechternormen.“

Szene aus der südafrikanischen Produktion „Hatched Ensemble“, einer Auseinandersetzung mit dem klassischen europäischen Ballett und indigenen Tänzen. 
Szene aus der südafrikanischen Produktion „Hatched Ensemble“, einer Auseinandersetzung mit dem klassischen europäischen Ballett und indigenen Tänzen.  © Mark Wessels | Mark Wessels

Indigene Kulturen erobern Braunschweigs Theaterpark

Eine zweite große Produktion im Großen Haus ist das Stück „Spartacus. Liebe in Zeiten der Pest“ des polnischen Theatermachers Jakub Skrzywanek (22./23. Juni). Es basiert laut Mülter auf umfangreichen Recherchen in der Zeit der rechtskonservativen PiS-Regierung. Demnach würden 70 Prozent der queeren Jugendlichen in Polen über Suizid nachdenken. Das Stück erzähle von zwei jungen Leuten, die nach einem Suizidversuch in der Psychiatrie landen. „Auf Verzweiflung und Misshandlung folgt ein bildgewaltiges Spektakel aus Tanz und Volksmusik“, dessen Höhepunkt die Hochzeit eines queeren Paares sei. Im Nachbarland habe die Produktion für Aufsehen gesorgt.

Eine Besonderheit der 25. Festivalausgabe ist das Projekt „Ko‘eyne“, das die ganze Zeit über im Theaterpark läuft. „Indigene Künstler*innen und Kollektive“ aus Südamerika, so das Festival, würden interdisziplinäre Arbeiten zeigen, in denen sich ihre Kultur, aber auch ihr „Kampf gegen das koloniale Erbe“ ausdrückten. Im Fokus stünden ihr Verständnis von Natur und Zeit (Ko‘yene), die für sie nicht linear verlaufe, sondern Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugleich umfasse. Performance, Installation, Kunsthandwerk, aber auch Videoprojektion – „,Koyene‘ bezieht alle Wesen mit ein, die den Park durchqueren“, kündigt Mülter an. Die Kulturstiftung des Bundes unterstütze das Projekt mit rund 240.000 Euro.

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„Matriarchry“ – ein Stück über die Kultur und Herausforderungen der Samen in Finnland

Indigene Künstler sind auch in Bühnenproduktionen zu erleben. Der argentinische Performer Tiziano Cruz etwa erzähle in „Soliloquio“ seine persönliche Geschichte, aber auch von Unterdrückungsmechanismen des argentinischen Staates (14./15. Juni). Das Stück laufe im Kleinen Haus, beginne aber mit einer Prozession auf dem Schlossplatz. Dafür suche Cruz noch Leute aus der lateinamerikanischen Community der Region, die sich beteiligen wollen, sagte Mülter (Kontakt: presse@theaterformen.de).

Szene aus der Produktion  „Matriachry“, die von den Herausforderungen erzählt, vor denen das Volk der Samen in Finnland steht.
Szene aus der Produktion  „Matriachry“, die von den Herausforderungen erzählt, vor denen das Volk der Samen in Finnland steht. © Theaterformen | Sinem Kayacan

Den Herausforderungen für die indigene Gemeinschaft der Samen in Finnland widme sich die Performance „Matriarchry“, die für den Sámi-Pavillon der Venedig-Biennale entstand. Bei den Theaterformen läuft die Produktion von Pauliina Feodoroff am 19. und 20. Juni vor und im Großen Haus. Im Mittelpunkt steht die Auseinandersetzung mit den Auswirkungen des Holzeinschlags im Norden Finnlands auf die Sámi-Gemeinschaft.

Weitere Festival-Infos

Der Vorverkauf ist gestartet. Tickets zwischen 8 und 28 Euro gibt es online unter theaterformen.de und an den Kassen des Staatstheaters Braunschweig. Die Veranstaltungen im Festivalzentrum sind kostenfrei.

Bei den Aufführungen gibt es Übertitel in deutscher und englischer Sprache.

Das Festival findet im jährlichen Wechsel in Braunschweig und Hannover statt. Das Budget beträgt knapp 1,3 Millionen Euro pro Ausgabe. Größte Geldgeber sind 2024 das Land Niedersachsen (440.000 Euro) und die Stadt Braunschweig (350.000 Euro).

„Silent Disco“ im Festivalzentrum

Das Festivalzentrum werde dieses Jahr wieder rund um das Gartenhaus Haeckel im Theaterpark Braunschweig eingerichtet, sagte Mülter. Dort gebe es allabendlich die Möglichkeit zu Begegnungen und ein Programm u.a. mit Auftritten indigener Hip-Hop-Bands und „Silent Discos“.

Niedersachsens Kulturminister Falko Mohrs (SPD) lobte bei der Programmvorstellung die internationale Vielfalt des Festivals. „Es geht in die Stadt, es geht in die Parks. Braunschweig wird die Welt zu Gast haben.“ Festivalleiterin Mülter zeige, „dass die politische Relevanz des Theaters in vielen Ländern brennende Aktualität hat“. Dr. Stefan Malorny, Leiter des Städtischen Kulturinstituts, lobte die „weltläufige Selbstverständlichkeit“, mit der das Festival auch Künstlerinnen und Künstler mit Einschränkungen einbinde und den „vielschichtigen Umgang mit dem Thema Barrierefreiheit“.

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