Berlin. Muse spielen ein intimes Konzert in Berlin: 1700 Menschen sind dabei. Die Fanbasis trägt den Erfolg der Rockband mit: Eine Reportage.

Es gibt viele Arten von Fans. Es gibt die, die aus voller Seele dabei sind. Es gibt die, die aus einem zurückhaltenden Gefühl von Anerkennung agieren. Es gibt die Begleiter, die auf Konzerten am Rand stehen und ein bisschen mit dem Kopf nicken. Und es gibt die Hardcore-Fans.

Als die britische Rockband Muse, gegründet Ende der 1990er Jahre, zu Ruhm gekommen Anfang der 2000er und mittlerweile eine stadionfüllende Mega-Band, im Sommer ankündigte, für nur vier intime Konzerte durch Europa zu touren, war die Aufregung unter Fans jeglicher Couleur groß. Amsterdam, Paris, Mailand, Berlin: Um ein Ticket zu erhaschen, saßen Muse-Freunde weltweit am Tag des Vorverkauf-Starts um 10 Uhr vor ihren Bildschirmen. Sekunden entschieden darüber, wer ein Ticket für um die 100 Euro kaufen durfte.

Muse in Berlin: Fans stehen schon ab 9 Uhr am Vortag in der Schlange

Alex (20) aus Hannover, Sunny (26) aus Nordengland, Charlene (31) aus Frankreich, Catherine (62) aus Australien, Jackie (54) aus den USA: Sie alle hatten Glück, einige von ihnen konnten sogar für mehrere Shows Tickets kaufen. An diesem Freitagabend stehen sie vor dem Admiralspalast in Berlin an. Muse sollen hier vor 1700 Menschen spielen – ein Highlight für jeden Fan. Für Catherine ist es das 191. Muse-Konzert, für Sunny das 40., für Charlene das 100., für Alex immerhin das sechste. Sie stehen an diesem ungewöhnlich warmen Oktobertag seit Stunden vor dem Theater.

Lesen Sie den Bericht zum Muse-Konzert in Berlin:

Was treibt diese Hardcore-Fans an? Was bringt sie dazu, Urlaubstage und Geldsummen zu investieren, die mittlerweile in die tausenden, zehntausenden reichen dürften? Warum Muse? „Ich habe das Gefühl, in ihrer Musik drückt sich das Maximum an emotionaler Tragweite aus, das ein Mensch imstande ist, zu spüren“, sagt Sunny. Von seinen Freunden wird er „Gothic“ genannt. Er ist (bald ist Halloween) verkleidet zur Show gekommen und steht seit 9 Uhr an – 9 Uhr am Vortag der Show, wohlgemerkt. „Diese Emotionalität in der Musik trifft dich einfach so hart“, sagt er über seine Lieblingsband.

Fans sind zu eingeschworener Truppe geworden: Den „Musers“

Wer von Show zu Show reist, von früh bis spät in der Schlange vor dem Einlass steht und zum Teil sogar eine Nacht unter freiem Himmel vor dem Veranstaltungshaus verbringt, braucht Freunde. Es ist eine eingeschworene Truppe, die jetzt, zwei Stunden vor Einlass, ganz vorne vor den Türen des Admiralspalastes steht, sitzt, döst oder auf dem Handy herumtippt. Sunny, Charlene, Alex, Catherine – alle kennen sich. „Das ist Teil der Erfahrung und gehört dazu“, sagt Charlene. Sie ist seit 2010 dabei und hat viele Freunde durch die gemeinsame Muse-Manie gefunden. „Die Musik, die Band, die Menschen, das Reisen, das gehört alles zusammen“, sagt sie.

Charlene besuchte in Berlin ihr 100. Muse-Konzert; ihr wurden die Zugaben gewidmet.
Charlene besuchte in Berlin ihr 100. Muse-Konzert; ihr wurden die Zugaben gewidmet. © Funke Medien Niedersachsen | Eva Nick

Solche Hingebung bleibt übrigens auch von der Band selbst nicht unbemerkt. „Viele Male“ habe sie die drei Musiker aus Devon schon getroffen, sagt Charlene, ein bisschen selbstverständlich klingt das bei ihr. Die Fans, die der Unterhaltung lauschen, kriegen bei ihren Schilderungen ganz große Augen. „Die Band kennt uns und unsere Gesichter“, sagt die 31-Jährige. Kein Wunder, wenn bei jedem Konzert dieselben Menschen in der ersten Reihe stehen.

Hardcore-Fans schreckt auch eine Nacht unter freiem Himmel nicht ab für die erste Reihe

Catherine aus Australien ist mit Jackie aus den USA gekommen; beide stehen seit 9 Uhr am Vortag des Konzerts vor den Türen. Geschlafen haben sie unter freiem Himmel. Wie ein Großteil der eingefleischten Fans haben auch sie sich und ihre Freundschaft durch ihre Liebe zu Muse gefunden. 190 Muse-Konzerte hat Catherine schon gesehen. Wie sie das macht, und wie sie das bezahlt? „Ich gebe das Erbe meiner Kinder dafür aus“, sagt die 61-Jährige mit einem Schulterzucken, „sie haben die besten Jahre meines Lebens bekommen, und ich liebe sie und meine Enkelkinder – aber jetzt geht es um mich.“

Seit Wochen ist sie unterwegs, um ihre Lieblingsband auf Tour zu begleiten. Das zehrt nicht nur an den Nerven. „Es ist anstrengend, vor allem durch den Schlafmangel“, sagt Catherine, „aber das Adrenalin hilft, das durchzuhalten.“ Ähnlich geht es Sunny. Der 26-Jährige hat jedes der intimen Oktober-Konzerte der Band gesehen, das Berlin-Konzert ist sein 40. Muse-Konzert. Immer anstehen, immer erste Reihe. „160 Stunden habe ich in diesem Oktober angestanden“, sagt er.

Familie aus Lüdenscheid: Konzerte als gemeinsames Hobby

Corinna, Frank und Lisa gehen häufig zusammen auf Konzerte – es ist ihr Familienhobby.
Corinna, Frank und Lisa gehen häufig zusammen auf Konzerte – es ist ihr Familienhobby. © Funke Medien Niedersachsen | Eva Nick

Alex aus Hannover springt zwischen den anderen Hardcore-Fans hin und her; es ist zwar „erst“ sein sechstes Muse-Konzert, aber der 20-Jährige ist schon gut vernetzt. „Der kennt sich aus“, sagt auch Corinna aus Lüdenscheid. Sie ist mit ihrem Mann Frank und Tochter Lisa angereist. „Wir gehen immer zusammen auf Konzerte“, sagt sie, „das ist unser Familienhobby.“ Von Alex haben sie sich eine Nummer abgeholt; denn später, beim Einlass, soll es zwei Schlangen geben. Die geraden Nummern gehen durch die eine, die ungerade Nummern durch die andere Tür.

„Die Fanbase ist unfassbar lieb“, sagt Alex in einem ruhigeren Moment, „man findet Freunde aus allen Ländern.“ Auch er steht seit Stunden an, nämlich seit 10 Uhr morgens. Für einen Platz an der Barriere wird das später nicht reichen – dafür ist noch mehr Einsatz notwendig. „Ich bin noch nicht ganz der Ultrafan“, sagt Alex über sich selbst. Und doch: „Das ist meine absolute Lieblingsband. Für mich nimmt Muse emotional einen sehr großen Raum ein.“ Durch sie hat er angefangen, Gitarre zu spielen.

Sunny wünscht sich eine Gitarre von Matt Bellamy, andere Drumsticks von Dom Howard

Sunny alias „Gothic“ kam verkleidet zum Konzert von Muse im Admiralspalast in Berlin.
Sunny alias „Gothic“ kam verkleidet zum Konzert von Muse im Admiralspalast in Berlin. © Funke Medien Niedersachsen | Eva Nick

So wie Sunny – der Brite hörte 2009 das Riff von „Plug In Baby“ und bekommt seither nicht mehr genug. Sein Traum: Von Matt Bellamy, dem Sänger, Gitarristen, Pianisten und Mastermind der Band, eine Gitarre zu bekommen. Andere Hardcore-Fans wünschen sich weniger, werben dafür aber mindestens genauso enthusiastisch: Charlene wünscht sich, „Bliss“ vom zweiten Muse-Album live zu hören, anlässlich ihres 100. Konzertes. Andere haben ein Plakat gemalt, auf dem sie um Drumsticks von Drummer Dominic Howard bitten.

„Nicht rennen!“ – kaum hat der Einlass begonnen, haben die Security-Kräfte viel zu tun. Zitternde, nervöse, aufgeregte, exaltierte Fans drängen in den Admiralspalast. Nicht rennen? Von wegen. Aufhalten kann so eine Masse kein Team von ein paar Dutzend Mitarbeitenden. In Sekundenschnelle ist der Innenraum des Theaters gefüllt. Erstes Kreischen im Innenraum – „wir haben es geschafft!“ scheint es zu heißen.

Fan bekommt Gitarre: Sofort wollen alle anderen ein Foto mit ihm

Als die Band um 20.15 Uhr die Bühne betritt, wird die Kraft der Fanbase erst so richtig lebendig. Schreien, Tränen, Lachen, Brüllen, Singen, Tanzen, Springen. Hände in die Höhe, alles raus. Der Admiralspalast ist erfüllt von 1700 Kehlen, plus der von Matt Bellamy, der sich gewohnt ausgelassen, konzentriert und gleichzeitig versunken in seine Musik gibt. Wenn er seine Gitarre kreischen lässt, kreischen die Fans mit. Wenn er sie animiert zu singen, tobt der Saal.

90 Minuten später sind 1699 Menschen glücklich, und einer im Himmel. Nach dem letzten Song hat Matt Bellamy Sunny seine Gitarre gereicht. Mit einem Lächeln und einem kurzen Augenkontakt, dann war er wieder weg. Sofort bildet sich eine dicke Traube um Sunny, das Konzert ist schon vorbei, aber niemand will gehen. „Ich will sie einmal anfassen“, sagt eine Frau, „ich will nur ein Selfie“, sagt eine andere.

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100. Muse-Konzert: Frontmann widmet Fan die Zugaben des Konzerts in Berlin

Schließlich wird ein völlig überforderter, aufgelöster und zitternder Sunny von der wohlmeinenden Security des Hauses und den anderen Hardcore-Fans aus dem Admiralspalast hinaus eskortiert. Wie er sich fühlt? „Ich will weinen, aber ich kann nicht weinen“, sagt der Brite, „zuhause werde ich weinen.“ Für ihn ist so etwas wie ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen.

Sunny (links) und Alex mit der geschenkten Gitarre.
Sunny (links) und Alex mit der geschenkten Gitarre. © Funke Medien Niedersachsen | Eva Nick

Auch Charlene kann glücklich sein. Zwar wurde ihr Lieblingssong nicht gespielt – dafür widmete Frontmann Matt Bellamy ihr die Zugaben. „Heute ist deine 100. Show, oder? Die nächsten Songs sind für dich“, sagte er. Die Antwort: Tosender Applaus, zustimmendes Kreischen aus heiseren Kehlen. Ein eindrucksvoller Beleg dafür, was einen großen Teil des Erfolgs der Mega-Band Muse ausmacht.

Die Fanbasis macht einen großen Teil des Erfolgs der Rockband aus

Klar, es liegt auch an guter Musik, guter Show und sympathischem Auftreten. Aber was Muse wirklich groß macht, sind ihre Fans. Fans, die sie durch Leidenschaft und Ausdruck authentischer Gefühle gewinnen und an sich binden, Fans, die emotionale Bindungen mit der Musik, den Menschen dahinter und einander eingehen. Die weinen, wenn sie eine Setlist in Händen halten, die Stage-Hands um Plektren anflehen oder Plakate hochhalten, auf denen sie um Drumsticks bitten – oder um eine Gitarre.

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Die kleinen Zeichen der Zuneigung von der Band an ihre Fans werden von ihnen wiederum durch ihre brodelnde Liebe und überbordende Hingabe überboten: Der Platz, den Muse im Herzen (nicht nur) der Hardcore-Fans einnimmt, dürfte nach diesem Auftritt im Admiralspalast in Berlin um ein gutes Stück gewachsen sein.