Braunschweig. Solistin Olga Scheps begeistert das Braunschweiger Publikum mit Tschaikowskys 1. Klavierkonzert – und einer mitreißenden Zugabe.

In der Reihe grotesker Fehlurteile über große Musikstücke verdient Nikolai Rubinsteins Herabwürdigung des 1. Klavierkonzertes seines Schülers Peter Tschaikowsky einen Ehrenplatz. „Abgedroschen, plump, ungeschickt“, soll der Pianist und Konservatoriumslehrer geätzt haben, nachdem Tschaikowsky ihm den ersten Satz 1874 persönlich vorgespielt hatte.

Fairerweise muss man sagen: Als Pianist war Tschaikowsky nicht so begnadet wie als Komponist. Hätte statt seiner beispielsweise Olga Scheps Rubinstein das Werk vorgestellt, hätte der sich seine Polemik möglicherweise verkniffen.

Genießen wir also das Glück der Spätgeborenen und lassen uns beim Sinfoniekonzert in der Stadthalle Braunschweig zunächst vom erstaunlich kraftvollen Einstieg der 32-jährigen Deutschrussin überraschen, wenn sie das schwelgerische, ballsaalglänzende erste große Thema des Staatsorchesters mit prankigen Akkorden befeuert.

So effektvoll der Beginn, so wenig effektheischerisch gestaltet Scheps ihren Solopart im Folgenden. Die Pedale setzt sie nur zurückhaltend ein, sie spielt organisch, mit einer großen Vielfalt an Ausdrucksweisen gleichsam aus der inneren Mitte des Werkes heraus. Ein sangliches Motiv lässt sie allmählich spröde werden, als altere es von selbst, oder die Hitze wuchtiger Akkordballungen in samtigem Piano abklingen. Den Schwung nachhallender Melodielinien malt sie mit den Armem oft noch jenseits der Tasten fort. Das wirkt nicht aufgesetzt, sondern der inneren Bewegung der Musik angemessen. Beeindruckend dynamisch gelingt ihr die Kadenz mit ihren Stimmungswechseln zwischen samtig und kantig bis zum majestätischen Schluss.

Den idyllischen Charakter des zweiten Satzes unterläuft Scheps im Mittelteil mit fast ironisierenden rhythmischen Rückungen. Das kompakte Finale reißt mit als sich ständig steigerndes Wechselspiel zwischen virtuosen Passagen und klangvollen Antworten des Orchesters. Chefdirigent Srba Dinic führt den groß besetzten Klangkörper als Dialogpartner (fast) auf Augenhöhe, ohne Scheps Solorolle zu überlagern. Jubel für die junge Virtuosin und eine markante Zugabe: das Finale aus Prokofjews Sonate Nr. 7.

Nach dem temperamentvollen Tschaikowsky wirkt Brahms ausgewogene zweite Sinfonie wie eine wohlige Nachspeise. Dinic arbeitet spürbar dagegen an, die melodische Schönheit des ersten Satzes zu breit auszumalen, gibt ein flottes Tempo mit feinen dynamischen Stufungen vor. Wunderbar die dunkel getönten warmen Farben des zweiten Satzes, die menuettartige Behendigkeit des dritten und das organische Wogen der Motive durch die Instrumentengruppen im Finale. Ein Programm zum Genießen.