Braunschweig. Noch wird die Nachbarschaftsplattform nebenan.de finanziert – doch es wird nach neuen Modellen gesucht.

Braunschweig. Susanne und Jörg Müller sind ihren Nachbarn schon zig mal über den Weg gelaufen – ohne einander zu kennen. Ob im Sommer im Prinzenpark, beim Supermarkt um die Ecke oder beim Spazierengehen über ihren Kiez; obwohl das Malerviertel im Östlichen Ringgebiet in Braunschweig nur einen Radius von einigen hundert Metern hat. So ist das in Großstädten.

Doch das änderte sich im September 2016: Susanne Müller wird Mitglied auf der Nachbarschaftsplattform nebenan.de. Darüber können sich Menschen kennenlernen, Tipps austauschen, sich unterstützen, Workshops anbieten und Dinge ausleihen.

Nebenan.de funktioniert in Kleinsteinheiten. Zunächst meldet man sich mit seiner Adresse an und lässt seine Daten zum Beispiel mit einem Foto des Personalausweises verifizieren. Mit diesem Nutzerprofil kann’s losgehen. Aus einer Leiste auf der rechten Seite können Nutzer nach Gruppen oder Veranstaltungen suchen. Unter „meine Nachbarschaft“ wird auf einer Karte das eigene Viertel eingerahmt. Kontakte können über Gruppen oder direkt über die Nachbarn aufgenommen werden. Auf dem Marktplatz kann jeder Dinge anbieten oder annehmen. Wie in anderen sozialen Netzwerken kann das eigene Profil bearbeitet werden: ein Foto hochladen, Interessen und Hobbys angeben, Hilfe anbieten.

Susanne Müller wurde auf die Internetseite aufmerksam, als sie aus ihrem Briefkasten einen Handzettel fischte – eine Einladung, um aktiv bei der Nachbarschaftshilfe mitzumachen. Eigentlich Marketing, um die Leute auf die Plattform zu locken. Müller wurde tatsächlich neugierig. „Vielleicht ist dort ja jemand, den ich kenne“, dachte sie sich.

Das Prinzip von nebenan.de ist nicht neu. Aber bisher gab es kein soziales Netzwerk, das so hyperlokal ausgelegt war. Die Nachbarschaftsplattform vernetzt Fremde in ihrem gemeinsamen Kiez; anders als Facebook, das Menschen weltweit vernetzt, die sich zumindest über ein paar Ecken kennen. Viele Menschen haben heute weniger Kontakte mit ihren Nachbarn, dem Viertel oder dem Kiez – dem will nebenan.de entgegenwirken.

Die ersten Kontakte knüpfte Susanne Müller, als ein Nachbar Lebensmittel anbot und sie Bücher verschenkte. Ihre Nachbarn lernten sie und ihr Ehemann Jörg beim „Stammtisch im Östlichen“ kennen. „Wir waren von Beginn an dabei. Ich würde sagen, dass wir mittlerweile zum harten Kern gehören“, erzählt Susanne Müller. Am Stammtisch, der einmal im Monat stattfindet, nehmen regelmäßig 15 bis 25 Leute aus dem Malerviertel im Braunschweiger Osten teil. Mittlerweile haben die Müllers über den Stammtisch etwa zehn Freundschaften geschlossen.

Die Geschichte der Müllers entspricht der Idealvorstellung von Ina Brunk, Mitgründerin von nebenan.de. Sie selbst stammt aus einem Dorf und hat schon dort festgestellt, dass der Kontakt zu den Nachbarn abnimmt: „Im Dorf macht niemand mehr etwas zu Fuß. Die Autofahrer knüpfen weniger Kontakte,“ sagt sie. Außerdem habe sich die Gesellschaft durch die sozialen Netzwerke verändert, die Aufmerksamkeitsspanne sei begrenzter. „Die Leute ziehen mehr um als früher, fühlen sich dann fremd in den Städten. Dadurch gehen auch die Kontakte ein Stück weit verloren. Doch das Bedürfnis bleibt, sich zu Hause zu fühlen.“

So ähnlich sieht es auch das Ehepaar Müller. „Wer so eingespannt ist wie ich, für den wird es schwieriger, Leute kennenzulernen“, sagt Jörg Müller. Hinzu komme, dass man weniger ausgehe und die Möglichkeiten in ihrem Kiez nicht groß seien. „Die meisten Lokale sind eher studentisch angehaucht, was sollen wir da?“, fragt Susanne Müller. Und das Durchschnittsalter beim „Stammtisch im Östlichen“ spreche für sich. „Der Großteil ist zwischen 30 und 45 Jahre“, so Susanne Müller.

Über 13000 Nutzer in der Region

Auf nebenan.de gibt es laut Brunk heute bundesweit 700 000 aktive Nutzer und 400 Nachbarschaften, Tendenz steigend. In unserer Region gibt es in Braunschweig die meisten Nutzer: Knapp 10 000 in 40 Nachbarschaften. In Wolfsburg zählt Ina Brunk 3000 Nutzer und 18 Nachbarschaften. Auch in Salzgitter gibt es zwei Nachbarschaften mit 150 Mitgliedern. In Gifhorn gibt es eine Handvoll, auch in Königslutter hat sich eine Nachbarschaft gegründet.

Zwar steigt die Zahl der Nutzer und Nachbarschaften, doch es stellt sich die Frage, wie es mit nebenan.de weitergeht, wenn die Finanzierung ausläuft. Denn wie bei jedem Start-up, stehen auch hinter dem Nachbarschaftsnetzwerk finanzielle Interessen.

Bislang werden die Macher des sozialen Netzwerkes laut nebenan.de noch von Investoren finanziell gestützt. Zahlen sollen die Nutzer in Zukunft jedoch nichts, versichert Brunk. Lokale Anbieter sollen durch Anzeigen Geld in die Kassen spülen. Physiotherapeuten, Yoga-Trainer oder Personal-Coaches würden so unmittelbar die Kunden vor Ort erreichen. „Dabei soll es sich auch nur um Bäckereien oder Cafés handeln, die selbst in der Nachbarschaft ihren Standort haben“, sagt Brunk. Denn die lokalen Anbieter seien schließlich auch ein Teil des Viertels. Doch man feile noch an den konkreten finanziellen Plänen, erläutert Brunk.

Geld zahlen würde das Ehepaar Müller in Zukunft für die Plattform nicht. „Obwohl wir nicht mehr ohne nebenan.de leben könnten. Ja, ohne die Plattform würde uns etwas fehlen“, sagt Susanne Müller. Ihre Silvesterparty war „rein nebenan“, erzählt sie und lacht. Und selbst auf ihrer Hochzeit waren schon Freunde dabei, die das Ehepaar über die Plattform kennengelernt hat.