Braunschweig. Mit der Youtube-Doku „Mali“ versucht die Bundeswehr, neue Rekruten zu werben. Das Format hat Kritiker.

Lautes Knallen der Maschinengewehre. Leere Patronenhülsen prasseln in den Wüstensand. Die Soldaten der Bundeswehr testen ihr schweres Gerät in einer Schießübung. Kompiliert sind diese Bilder mit zackigen Schnitten – und zu sehen sind sie auf Youtube. Nein, nicht in einem Nachrichtenbericht, sondern in einer Folge der Youtube-Serie „Mali“ – produziert vom Verteidigungsministerium.

Die Episoden spielen nicht etwa in einem fiktiven Szenario. Für ihre Doku-Reihe heftete die Bundeswehr ein Kamerateam an die Fersen echter Soldaten, bei einem echten Einsatz, in einem echten Krisengebiet. Die Geschichte spielt in Mali. Dort beteiligt sich die Bundeswehr an der Mission Minusma (Mission multidimensionelle integrée des Nations Unies pour la Stabilisation au Mali). „Die Kernaufgaben sind, die Waffenruhevereinbarungen und die vertrauensbildenden Maßnahmen zwischen den Konfliktparteien sowie die Umsetzung des Abkommens für Frieden und Aussöhnung in Mali zu unterstützen“, heißt es auf der Website der Bundeswehr. Insgesamt sind 967 deutsche Soldaten an der Mission beteiligt. Und wie ernst diese ist, offenbarte sich der breiten Öffentlichkeit spätestens im Juli dieses Jahres: Bei einem Hubschraubereinsatz starben zwei deutsche Soldaten.

„Das Maschinengewehr ist immer dabei – das zieht entsprechend disponierte Typen an.“
„Das Maschinengewehr ist immer dabei – das zieht entsprechend disponierte Typen an.“ © Gudula Wegmann vom Friedenszentrum Braunschweig

Warum also wählt die Bundeswehr ein solch ernstes Szenario für eine Internet-Dokumentation? Laut Christina Routsi, Sprecherin des Verteidigungsministeriums, „nimmt das Format alle spannenden Aspekte in den Blick, aber auch bewusst die hundert Routinehandgriffe und Tätigkeiten, die in der ,normalen’ Tagesschau-Berichterstattung kaum Erwähnung finden.“

Eine Aufmachung abseits der nachrichtlichen Berichterstattung also. Birgt nicht genau dieser Aspekt die Gefahr, Kriegshandlungen zu verharmlosen? Durchaus, meint Gudula Wegmann vom Friedenszentrum Braunschweig: „Was nicht vorkommt: Dass Krieg immer auch Töten heißt.“ Es gebe keine schrecklichen Kriegs-Bilder, keine Bilder der Opfer. Abenteuer im Verbund mit Normalität und Humanität werde geschickt suggeriert. „Es entsteht die Gefahr, dass die Militarisierung, der Einsatz von Militär als normal angesehen wird und dass man sich daran gewöhnt, dass Militär eingesetzt wird“, sagt Wegmann weiter.

Die Inszenierung hat System. Wie schon mit der Vorgängerserie „Die Rekruten“ verfolgt die Bundeswehr auch mit „Mali“ ein ganz bestimmtes Ziel. Es geht um Nachwuchs: Seit die Wehrpflicht im Jahr 2011 abgeschafft wurde, ist die Personaldecke dünner. Das Verteidigungsministerium muss andere Wege finden, um neue Soldaten für den Wehrdienst zu gewinnen. „Die Bundeswehr steht als Arbeitgeber in Konkurrenz zu anderen, wenn es darum geht, qualifiziertes Personal für sich zu gewinnen“, erklärt Sprecherin Routsi. Umso wichtiger sei es deshalb, die Bundeswehr wieder in die Köpfe und Gespräche der Menschen zu bringen. Das Format hole die social-media-affine Zielgruppe deshalb dort ab, wo sie ist: im Netz.

Das lässt sich die Bundeswehr einiges kosten. 6,5 Millionen Euro nahm sie für das Youtube-Format in die Hand. Davon gingen zwei Millionen Euro in die Produktion – den Rest investierte das Verteidigungsministerium für Werbung. Und es scheint, als würde der Plan aufgehen. Allein die erste Episode von „Mali“ klickten 772 000 Nutzer an. Der Youtube-Kanal „Bundeswehr Exclusive“ hat derzeit 316 558 Abonnenten. „Die Rekruten“ hatte über 44 Millionen Views. Die Kampagne trägt offenbar Früchte: Im Ausstrahlungs- zeitraum habe die Bundeswehr ein Bewerberplus von 21 Prozent erzielt, heißt es aus dem Verteidigungsministerium.

Aber wie sieht das Profil der Bewerber aus? Wächst mit der bildgewaltigen Werbemaßnahme auf Youtube auch das Potenzial, den Wehrdienst vornehmlich für Waffennarren attraktiv zu machen? „Das kann schon sein“, sagt Gudula Wegmann. „Das Maschinengewehr ist immer dabei – das zieht sicher entsprechend disponierte Typen an, die Macht- oder auch Rachegelüste ausleben wollen.“

So leicht aber sei es nicht, in den Wehrdienst zu gelangen, sagt Christina Routsi. Schießwütige würden bereits an der Tür ausgesiebt und abgewiesen. Routsi verweist auf die strengen Auswahlkriterien. Es werde „in diversen Eignungsfeststellungs- verfahren auch auf die Beweggründe der Bewerber eingegangen. Da wird sehr schnell deutlich, wer zur Bundeswehr passt und wer nicht.“ Potenzielle Bewerber, die sich allzu sehr mit den knatternden Maschinengewehren aus der Youtube-Serie „Mali“ identifizieren, würden demnach konsequent abgelehnt – unabhängig davon, wie groß der Personalmangel sei.

KOMMENTAR

Verharmlosung à la Bund

Die Bundeswehr ringt um frisches Personal, um junge Soldaten. Seit die Wehrpflicht abgeschafft wurde, kommen die Rekruten nicht mehr von selbst. Da liegt es nah, sich moderner Methoden zu bedienen, um die Zielgruppe zu erreichen. Und der schnellste Weg führt selbstverständlich über die weitgehend barriere- freien Pfade des Internets. So weit, so nachvollziehbar.

Nun ist der leichteste Weg nicht immer der beste – ge- schweige denn, der moralisch richtige. Wie in einer Dokumen- tation für Erlebnisurlauber lockt die Bundeswehr in der Youtube- Serie „Mali“ die potenziellen Soldaten an. Zackige Schnitte. Die Szenen sind unterlegt mit energiegeladenen Trap-Beats. Beim Szenenwechsel ist ein sanfter Sandsturm zu sehen. All das verfrachtet den Zuschauer in ein Szenario, das wie ein Outdoor-Abenteuer anmutet – garniert mit einer Prise Nervenkitzel. Aber: Mali ist kein Ort für Hobby-Expeditionen. Mali ist ein Krisengebiet. In Mali sterben Menschen durch Maschinengewehre und Grana- ten. In den Interviewsequenzen der Serie weisen die Soldaten durchaus hin und wieder auf die Gefahren hin.

Aber Bilder sind gewaltiger als das müde Palaver. Die Bilder transportieren eher den Cha- rakter eines Expeditionsfilms mit Actioneinlage. Diese Art der Erzählstruktur ist im Kontext einer filmischen Aufarbeitung der Aufgaben in Krisengebieten nur in sehr kleinen Dosen tragbar. Allzu leichtfertig wird etwa der Umgang mit Waffen porträtiert. „Mali“ gelingt es deshalb nicht, die Waage zwischen emotionsgetriebener Animation und Gefahren- Aufklärung zu halten.