Helmstedt. Die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsens möchte mehr Hausärzte für eine Niederlassung im Landkreis Helmstedt begeistern.

Dr. Thorsten Kleinschmidt ist Facharzt für Allgemeinmedizin und seit 1989 in Braunschweig niedergelassen. Seit 14 Jahren ist er dort der Vorsitzende des Bezirksausschusses der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsens (KVN). Im Interview erklärt Kleinschmidt, wie sich die ärztliche Versorgung auf dem Land verändern könnte.

Herr Dr. Kleinschmidt, wie würden Sie die derzeitige medizinische Versorgungslage des Landkreises Helmstedt zusammenfassen?

Da muss differenziert werden zwischen der haus- und der fachärztlichen Versorgung. Der sogenannte Hausärztliche Planungsbereich Helmstedt ist mit einem Versorgungsgrad von 103 Prozent normal versorgt. Es stehen noch 4,5 Vertragsarztsitze für eine Niederlassung zur Verfügung, bevor die KVN den Bereich für weitere Niederlassungen sperren würde. Es muss aber auch gesagt werden, dass nicht der gesamte Landkreis zum Hausärztlichen Planungsbereich gehört. Einige Ecken, zum Beispiel Groß Twülpstedt und Velpke, gehören zum Planungsbereich Wolfsburg Umland. Wenn wir von der hausärztlichen Versorgung reden, dann steht der Landkreis Helmstedt vor den Herausforderungen, wie wir sie in vielen ländlichen Regionen beobachten. Durch den frühen Tod eines Kollegen im Mai 2018, für den leider noch kein Nachfolger gefunden wurde, ist eine Praxis verwaist. Und auch ohne diesen Fall hätte der Landkreis Bedarf für weitere Hausärzte gehabt.

Wie sieht es bei den Fachärzten aus?

Dabei muss unterschieden werden zwischen den allgemeinen Fachärzten wie Haut-, Augen- oder Frauenärzten – also Ärzten, die von vielen Patienten regelmäßig konsultiert werden – sowie den spezialisierten und gesonderten Fachärzten. Bei den allgemeinen Fachärzten ist die Lage außerordentlich gut, es gibt zum Beispiel eine 163 prozentige Abdeckung der Urologen im gesamten Landkreis. Und in keiner der Fachgruppen gibt es Lücken, es gibt von allen Ärzten genug. Umso spezialisierter ein Arzt ist, umso großräumiger ist allerdings das Einzugsgebiet seiner Patienten und der Planungsbereich.

Bei den spezialisierten Facharzt-Kollegen wie Anästhesisten, Kinder- und Jugendpsychologen oder Radiologen ist der Planungsbereich die Raumordnungsregion Braunschweig – und in dem haben wir wieder eine gute Versorgung. Dass die gefühlte Versorgung in einigen Bereichen anders von der Bevölkerung erlebt wird, liegt daran, dass in der Bedarfsplanung nicht auf die gestiegene Krankheitslast (älter werdende Bevölkerung) eingegangen wird.

Die hausärztliche Versorgung ist derzeit nur knapp ausreichend, schon jetzt arbeiten die vorhandenen Praxen am Limit ihrer Kapazitäten und die Patienten müssen lange Wartezeiten auf Termine einplanen. Wie soll es für die Helmstedter weitergehen?

Die düstere Prognose „2020 fehlen uns 30 Prozent der Ärzte“ ist nicht eingetreten. Daher glaube ich nicht daran, dass wir mit einer solchen Lücke 2030 rechnen müssen – wenn wir kontinuierlich dagegen arbeiten. Das Durchschnittsalter der Hausärzte im Landkreis Helmstedt liegt bei 55 Jahren, aber 15 von diesen Ärzten sind älter als 61 Jahre. Wir werden also Nachfolger benötigen. Die Bevölkerung wird älter und nimmt dadurch länger und häufiger ärztliche Leistungen in Anspruch. Deswegen hat die Kassenärztliche Vereinigung ein ganzes Paket an Hilfen und Angeboten für Ärzte, die sich in ländlichen Regionen niederlassen möchten. Niemand kann gezwungen werden, sich in strukturschwachen Regionen anzusiedeln, aber wir können die Entscheidung dafür erleichtern. Daher schauen wir in Zusammenarbeit mit den Kommunen, wo zukünftige Mittelzentren entstehen, in denen eine Niederlassung besonders gefördert und beworben wird.

Warum müssen Ärzte von der Niederlassung auf dem Land extra überzeugt werden?

Wir beobachten, dass junge Ärzte nicht mehr so risikobereit sind. Eine eigene Praxis zu führen ist zwar kaum ein Wagnis, trotzdem tendiert die nachrückende Generation an Medizinern eher zu einer Anstellung, teilweise in Teilzeit. Da spielt auch die Motivation zu arbeiten eine Rolle. Den Trend beobachten wir schon eine Weile und wollen daher das Setting so verändern, dass die Anstellung von jungen Ärzten in Praxen und Kooperationen einfacher möglich ist.

Auf der einen Seite wird ein Ärztemangel beklagt, auf der anderen Seite können viele junge Menschen nicht Medizin studieren, da die Plätze nicht ausreichen. Wie passt das zusammen?

In den 90er Jahren gab es eine angebliche Ärzte-Schwemme, deren Folge eine Reduzierung der Studienplätze war – und die fällt uns gerade auf die Füße. Warnungen, dass die Zahl der Absolventen nicht ausreichen könnte, um den kommenden Bedarf zu decken, wurden seitens der Politik ignoriert. Selbst wenn der Bund und die Länder die Zahl der Studienplätze jetzt wieder erhöhen, werden diese Mediziner erst in 10 bis 15 Jahren fertig ausgebildet sein. Ähnlich wie bei den Lehrern fehlt eine Bedarfsplanung, wie viele Ärzte in Zukunft gebraucht werden.

Kann die Telemedizin die Versorgung auf dem Land verbessern?

Die Telemedizin schafft keine Minute mehr an ärztlicher Arbeitszeit. Aber sie liefert uns das Potential, die vorhandene Zeit effizienter einzusetzen. Denkbar ist etwa der Videochat zwischen Patient und Arzt oder die Ausstattung der Versorgungsassistenten mit Übertragungsmedien für Hausbesuche. So könnte die Qualität der Versorgung von immobilen Patienten gesteigertwerden, wenn der Arzt innerhalb weniger Minuten die Situationbeurteilen kann, ohne eigene Fahrtwege zu haben. Mit der Aufnahme der Telemedizin in die Gebührenordnung ist der erste Schritt getan. Wie genau sie sich im Alltag bewährt, werden wir ausprobieren müssen.