Helmstedt. Die Novemberrevolution in Deutschland jährt sich zum 100. Mal. Auch in Helmstedt hat das einschneidende historische Ereignis Spuren hinterlassen.

Politik, Kultur und Alltag änderten sich radikal. Wir erinnern in zwei Folgen an diese in vielerlei Hinsicht turbulente, auch dramatische Zeit.

Reichskanzler Max von Baden verkündete in Berlin am 9. November vor 100 Jahren, dass Kaiser Wilhelm II. abgedankt habe – auch wenn er dies tatsächlich erst Ende November tat. In Braunschweig zwangen Aufständische den Welfen-Herzog Ernst August bereits am 8. November, abzutreten. Der Arbeiter- und Soldatenrat übernahm die politische Führung im ehemaligen Herzogtum. Auch Helmstedt blieb von der großen Politik am Ende des katastrophalen Ersten Weltkrieges nicht unberührt.

Mit den Auswirkungen des Ereignisses hat sich Helmstedts Stadtarchivarin Ilse Moshagen-Siegl beschäftigt. Bei unserem Besuch im Stadtarchiv holt sie verschiedene Mappen aus den Regalen. Briefe, Zeitungsartikel, Schriftstücke und amtliche Bekanntmachungen lassen erahnen, was die Menschen in Helmstedt vor 100 Jahren bewegte. Moshagen-Siegl zeigt ein gedrucktes DIN-A-3-Plakat vom 9. November 1918 mit der Überschrift „Bekanntmachung“. Daraus geht hervor, dass der damalige Bürgermeister Franz Schönemann den Helmstedter Arbeiter- und Soldatenrat als neue Regierung anerkennt. Im Wortlaut heißt es: „Die Verwaltung der Stadt wird in bisheriger Weise im Einvernehmen mit dem Arbeiter- und Soldatenrat fortgeführt. Die Zuständigkeit der gegenwärtigen Behörden bleibt unverändert bestehen.“

Die Namen des Arbeiter- und Soldatenrates in Helmstedt werden auf dem Plakat bekanntgeben: Tischler Fritz Engelhardt, Tischler Franz Zimmermann, Obermatrose Tegtmeier, Gefreiter Bandelow und Landsturmmann Voigt. Die Geschäftsräume befanden sich laut Helmstedter Kreisblatt vom 11. November im „Hotel Erbprinz gegenüber dem Rathause“.

Helmstedt ist durch die Ereignisse seit dem 9. November nicht mehr Stadt im Herzogtum Braunschweig, sondern liegt zunächst in der „Sozialistischen Republik Braunschweig“ mit dem Präsidenten August Merges und später im Freistaat Braunschweig im republikanischen Deutschland. Glaubt man den Schriften im Archiv und den Zeitungsberichten, war in Helmstedt wenig von Revolution zu spüren. Im Kreisblatt vom 11. November heißt es: „Die politischen Ereignisse haben sich hier in Helmstedt in ruhiger und durch nichts gestörter Weise vollzogen.“ Und das obwohl laut Zeitung am 9. November nachmittags mehrere Tausend Menschen zu einer Wahlversammlung auf dem Holzberg zusammenkamen. Auch von einer gut besuchten Versammlung am 10. November in Seelkes Saalbau ist die Rede. Dort habe man die Bewohner zur Ruhe und Ordnung aufgerufen.

Ilse Moshagen-Siegl interpretiert diese Berichte so: „Die Menschen gehen nicht auf die Straße, sondern sie kämpfen ums Überleben. Die Angst vor Chaos und Blutvergießen war groß. Die Menschen waren durch den Krieg schon so sehr mitgenommen, dass sowohl die neue als auch die alte Führung um Zusammenarbeit bemüht war.“

Laut Kreiszeitung ordnete der Braunschweiger Arbeiter- und Soldatenrat am 9. November an: „Alle Beamte und Angestellte in Gemeinde, Staat und Reich und an allen sonstigen öffentlichen Anstalten sowie Banken haben unbedingt auf ihrem Posten zu verbleiben und ihre Pflicht zu erfüllen, Zuwiderhandlungen werden streng bestraft.“

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Die Stadtarchivarin faltet ein vergilbtes DIN A 3-Blatt mit der Überschrift „Aufruf“ auseinander. Vermutlich hing es in Helmstedt an verschiedenen öffentlichen Plätzen. Darin appelliert der Volkskommissar für Arbeit (so nannte man die Minister nach russischem Vorbild), Carl Eckardt, an die Bevölkerung sie möge anpacken, um den Mangel, der überall herrscht, zu beseitigen. „Scheut Euch nicht, Arbeiten zu verrichten, die Eurem Beruf und Eurer bisherigen Tätigkeit nicht entspricht“, heißt es.

In der zweiten Folge gehen wir auf den Alltag der Helmstedter während der Novemberrevolution von 1918 und den Kampf um Lebensmittel ein.