Helmstedt. Vorsicht ist geboten beim Umgang mit dem Begriff Revolution. Die Helmstedter Universitätstage brachten Licht in ein schillerndes Phänomen.

Revolutionen in Ägypten oder in Lateinamerika scheinen für uns aus der Ferne betrachtet ein wiederkehrendes Phänomen zu sein. Viele Hintergrundinformationen und einiges an Aufklärung dazu lieferten der Islamwissenschaftler Samuli Schileke und der Politikwissenschaftler Nikolaus Werz bei den 24. Helmstedter Universitätstagen, die im Zeichen des Begriffs „Revolution“ standen und am Sonntag mit einem Festgottesdienst in St. Stephani zu Ende gegangen sind.

Wirkliche Revolutionen, die existenzielle Veränderungen bewirkt, die nachhaltig strukturelle und soziale Umwälzungen und Verbesserungen gebracht hätten, gab es nach Auffassung von Schielke und Werz sowohl in Ägypten als auch in Lateinamerika viel weniger als bei uns angenommen. „Es wird eben schnell bei bestimmten Veränderungen oder auch bei Massenprotesten schon der Begriff Revolution gebraucht“, betonte Schileke. Auch Werz beklagte einen „inflationären Umgang“ mit dem Begriff Revolution.

So hat es nach Auffassung von Werz in Lateinamerika bisher nur vier „echte“ Revolutionen gegeben: die große Agrar-Revolution in Mexiko, die Befreiungsrevolution in Bolivien sowie die politischen Umwälzungen 1959 in Kuba und 1979 in Nicaragua. Veränderungen, die sich oft nachteilig für die Bevölkerung auswirkten, seien in Lateinamerika häufig von Populisten initiiert worden. „Da waren oder sind Nationalpopulisten wie Chaves oder Maduro am Werk, die Schwächen oder nicht eingelöste Versprechen linksliberaler Demokratien nutzen und ihrerseits Versprechungen verknüpft mit sozialistischen Idealen machen, bloß um an die Macht zu kommen“, erklärte Werz. Das Geschäft der Populisten in Lateinamerika funktioniere aber nur so lange, wie hohe Rohstoffpreise zu erzielen seien.

Werz, der in Rostock eine Professur für vergleichende Regierungslehre inne hat, sieht allerdings für Lateinamerika weiter eine Tendenz zu Revolutionen oder eben dem Wirken von Populisten. „Der Nährstoff für den Wunsch nach Veränderungen liegt in den oft prekären sozialen Verhältnissen eines Großteils der Bevölkerung“, erklärte Werz.

Ähnlich sieht es in Ägypten aus. „Wahrscheinlich sind die Lieder für den nächsten Aufstand schon geschrieben“, befand der aus Finnland stammende Schielke, der auch für Ägypten trotz häufiger Unruhen in Folge des Wunsches nach Veränderungen nur wenige „echte“ Revolutionen ausmachen wollte. Als Revolutionen sieht Schielke die Aufstände, die zum Ende der britischen Besatzung und dann später zum Ende der Monarchie in Ägypten geführt haben. Auch der Putsch von Offizieren im Jahr 1952, der zu einer sozialistischen Diktatur und dem Entstehen der heute herrschenden Staatselite geführt hat, war eine Revolution. „Inwieweit die Massenproteste auf dem Tahir-Platz und deren Folgen und Veränderungen in den Jahren 2011 bis 2014 als Revolution gelten dürfen, ist umstritten, weil sich die herrschenden Eliten bestimmte Inhalte der Proteste zu eigen gemacht haben und gleichzeitig den Aufstand für beendet erklärt haben“, betonte Schielke. Nun verspreche das ägyptische Regime Stabilität und regiere mit extremer Gewalt. „Das Land wird mit großer Brutalität von einem Terrorregime geführt. Die enormen sozialen Konflikte sind aber nicht gelöst, deshalb muss die Unruhe für Ägypten als Normalfall betrachtet werden“, stellte Schielke fest.