Gifhorn. Die Wohnungsbaugenossenschaft steckt in jede Wohnung fast 130.000 Euro. Aber die Miete steigt nur um einen Euro. Wie schafft man das?

Rund um den Herbert-Trautmann-Platz, der an Gifhorns Altbürgermeister erinnert, stehen die ältesten Etagenhäuser der Gifhorner Wohnungsbaugenossenschaft GWG. Es war Trautmann, der sie vor nunmehr fast 70 Jahren als Vorstand der Genossenschaft in höchster Wohnungsnot gleichsam aus dem Boden stampfen ließ. Man wohnt dort bis heute ruhig, stadtnah und vor allem günstig. Zwar ist die frühere Sozialbindung der Wohnblöcke seit Jahrzehnten ausgelaufen, doch die Mietspanne reicht von gerade einmal 4,65 Euro bis 5,78 Euro pro Quadratmeter.

Die Gifhorner Wohnungsbaugenossenschaft saniert 105 Wohnungen aus den 1950er Jahren, um sie energetisch auf den neuesten Stand zu bringen. In drei Wohnblocks geht es um 5300 Quadratmeter Wohnfläche.
Die Gifhorner Wohnungsbaugenossenschaft saniert 105 Wohnungen aus den 1950er Jahren, um sie energetisch auf den neuesten Stand zu bringen. In drei Wohnblocks geht es um 5300 Quadratmeter Wohnfläche. © FMN | Architekturbüro Gödde

Zwei Jahre Planung für die Heizungswende im großen Stil

Nur Effizienzwunder sind die von großen Gas-Zentralheizungen erwärmten Wohnungen nicht. Das ab 1954 errichtete Quartier aus dem fossilen Zeitalter in eine klimaneutrale Wärmewelt zu überführen, ohne die Mieter zu überfordern, vor dieser Herausforderung standen der heutige GWG-Chef Andreas Otto und sein Technik-Chef Tobias Herter. Ausgelöst wurden die Überlegungen vor rund zwei Jahren nach einer größeren Heizungshavarie. Schon damals war klar, dass es mit einem bloßen Austausch des Brenners kaum getan sein konnte. Der Gifhorner Architekt Karl-Heinz Gödde kam mit ins Boot, während sich die Voraussetzungen für die Gifhorner Heizungswende im Laufe der Planungszeit stetig verschlechterten: Materialknappheit, steigende Baukosten, höhere Zinsen, Förderwirrwarr, Gesetzesverschärfungen.

In einem neuen Energy-Cube bündelt die Wohnungsbaugenossenschaft die Energietechnik, vor allem die Erdwärmepumpen. 
In einem neuen Energy-Cube bündelt die Wohnungsbaugenossenschaft die Energietechnik, vor allem die Erdwärmepumpen.  © FMN | Architekturbüro Gödde

Doch seit September läuft der erste von drei Bauabschnitten. Dem Gifhorner Sanierungstrio ist mit dem 13 Millionen Euro umfassenden Modellprojekt für 105 Wohnungen beinahe die Quadratur des Kreises gelungen. Die Wohnungen erreichen den KfW-40-Standard und werden insgesamt richtig schick gemacht. Nur die bewährten Grundrisse bleiben gleich, sind doch kleinere Wohnungen von rund 50 Quadratmetern in Gifhorn gesucht.

Dennoch steigen die Mieten nur auf 5,80 Euro pro Quadratmeter, während die Verbrauchskosten absehbar sinken. Ende 2025 soll alles fertig sein. Wie das geht, verrieten Otto, Gödde und Herter im eigens eingerichteten Baubüro direkt am Herbert-Trautmann-Platz, das während der Sanierungsphase Anlaufpunkt bei allen Frage und Problemen sein wird.

Die bald 70 Jahre alten Wohnblöcke der GWG rund um den Herbert-Trautmann-Platz bekommen die größtmögliche Fotovoltaikfläche von 1550 Quadratmetern auf die sanierten Dachflächen.
Die bald 70 Jahre alten Wohnblöcke der GWG rund um den Herbert-Trautmann-Platz bekommen die größtmögliche Fotovoltaikfläche von 1550 Quadratmetern auf die sanierten Dachflächen. © FMN | Architekturbüro Gödde

Fast alles wird erneuert und umgebaut, aber die alten Heizkörper können bleiben

Die Häuser bekommen eine 20 Zentimeter dicke Außendämmung. Dazu neue Fenster und Türen. Die Dächer werden erneuert und gedämmt, ebenso die Kellerdecken. Heizung und Warmwasser speisen sich aus drei Quellen: Insgesamt vier Luftwärmepumpen sowie Erdwärmesonden für Außentemperaturen unter 5 Grad, dazu ein gasbefeuerter Spitzenlastkessel. Architekt Gödde zufolge bekommt die Anlage eine ausgefuchste elektronische Steuerung, die den Kohlendioxidausstoß drückt, wo es nur geht. Alles wird in einem neuen Energy-Cube zusammengefasst.

Zum Thema Heizung gehört neuerdings stets die Frage, wie es denn in den Wohnungen warm wird, wenn die Vorlauftemperatur niedriger wird. Das ist in Gifhorn auch so. Doch die Rechenmodelle zeigen: Die Wohnungen sind künftig so gut gedämmt, dass die bisherigen Heizkörper fast schon überdimensioniert sind, selbst wenn sie nicht mehr so heiß werden wie bislang. Sie können drin bleiben.

Bauarbeiten in den Wohnungen gibt es trotzdem. Neu verlegt werden Stromleitungen und Wasserrohre. Die Apartments bekommen neue Küchen und Bäder, manch ein Bad ist noch original 50er Jahre, berichtet GWG-Chef Otto. Die Mehrzahl der Wohnungen wird zudem um sechs Quadratmeter große Balkone vor den Wohnzimmern erweitert. Es sind sogenannte Vorsatzbalkone aus Beton, Stahl und Glasbrüstungen.

Bem Strom rechnet sich nur die ganz große Lösung

Auf die Dächer lässt die GWG so viele Fotovoltaikmodule montieren, wie es geht. Geplant sind mehr als 800 Module mit einer Fläche von 1550 Quadratmetern und einer Nennleistung von 340 Kilowatt. Der Strom soll direkt in den Häusern genutzt werden für die Wärmepumpen und den Allgemeinstrom, vor allem aber als Mieterstrom zu einem viel günstigeren Preis als vom Energieversorger. Ladestationen für E-Autos sind auch geplant. „Nur so ist das wirtschaftlich darstellbar“, begründet GWG-Chef Otto die große Lösung.

Wirtschaftlichkeit, das ist überhaupt die zweite große Frage. Wie lässt sich der Millionenaufwand für 5300 Quadratmeter vermietete Fläche bezahlen? Von den 13 Millionen Euro Investitionskosten übernimmt die Genossenschaft 15 Prozent aus Eigenkapital. Eine hohe sechsstellige Summe gibt es als Landeszuschuss. Das Geld stammt noch aus nicht verbrauchten Corona-Mitteln und ist in Niedersachsen für den Wohnungsbau umgewidmet worden. Die GWG hatte rechtzeitig davon gehört, wurden die Restgelder doch nach dem Windhundverfahren vergeben.

Den Großteil der Investition allerdings muss die GWG mit einem Kredit finanzieren. Mit dem aktuellen Zinsniveau eigentlich undenkbar. Doch die landeseigene N-Bank stellte das Geld zum Förderzins zur Verfügung. Den genauen Zinssatz wollte GWG-Chef Otto noch nicht preisgeben, doch für geförderten Wohnungsbau liegt er bei etwa einem Prozent – statt über vier.

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Im Gegenzug unterliegen die sanierten Wohnungen für die nächsten 35 Jahre einer neuen Sozialbindung. Neue Mieter brauchen also einen Wohnberechtigungsschein. Bestandsmieter dagegen dürfen in ihren Wohnungen bleiben, selbst wenn sie die Einkommensgrenzen überschreiten, erklärt der Genossenschaftschef. Für alle gilt künftig die Sozialmiete von 5,80 Euro pro Quadratmeter. „Absolut bezahlbar für die Mieter“, so sieht es Otto.

Bauarbeiten finden in den bewohnten Wohnungen statt, niemand muss raus

Das sei auch die Reaktion in Mieterversammlungen gewesen. Dort holte sich die GWG zudem die Zustimmung, die Bauarbeiten in den bewohnten Wohnungen ausführen zu dürfen. Das ist nicht ohne bei dem geplanten Umfang. Doch fast alle Bewohner fanden das Otto zufolge am besten, zumal sie nach der Sanierung weiterhin in ihren Wohnungen leben wollen. „Wir setzen auf gegenseitiges Fingerspitzengefühl und Rücksichtnahme“, sagt Otto. Vieles werde individuell abgestimmt mit Terminen und Urlaubsphasen. „Außerdem bieten wir zum Ausweichen unsere Gästewohnung an und halten einige leerstehende Wohnungen frei“, berichtet Otto.

Woher kommt das Geld für 2200 unsanierte Wohnungen?

Alles gut also? Nicht ganz. So zuversichtlich der Genossenschafter auf das Modellprojekt blickt, so viel Kopfzerbrechen bereitet ihm die Gesamtsituation mit der Energiewende. Otto: „Wir sanieren jetzt gut 100 Wohnungen für 13 Millionen Euro. Wir haben aber mehr als 2300 Wohnungen. Woher sollen wir 23 mal 13 Millionen Euro nehmen?“