Kästorf. Die Gifhorner SPD feiert das 160-jährige Bestehen der Partei mit prominenten Gästen. Klare Worte kommen von der Dachstiftung Diakonie.

Ungewöhnlicher Platz für einen ungewöhnlichen Geburtstag: Die Gifhorner SPD feiert das 160-jährige Bestehen der Partei zwischen Hebebühne und Reifenhotel, Abgasabsaugung und dem Stones-Hit „I can‘t get no satisfaction“ in der Kfz-Werkstatt der Dachstiftung Diakonie in Kästorf. Ein durchaus passender Ort, wie Philipp Raulfs, SPD-Unterbezirksvorsitzender, und SPD-Landtagsabgeordnete Kirsikka Lansmann in ihrer Begrüßung erklärten. „Wir sind bodenständig, nah am Menschen und auch hart arbeitend“, so Lansmann. „Was gibt es da für eine bessere Location als eine Kfz-Werkstatt.“

Kästorfer Diakonievorstand kritisiert Umgang mit geflüchteten Menschen

Nur bedingt in Geburtstagsstimmung zeigte sich Hans-Peter Daub, Vorstand der Dachstiftung Diakonie und gewissermaßen Hausherr am Freitagabend. „Wie nah sind wir eigentlich an den Menschen und ihrer Not, wie buchstabieren wir Solidarität?“, fragte er die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. „Da haben wir, glaube ich, wirklichen Nachholbedarf“, so Daub.

Er kritisierte vor allem den Umgang mit Geflüchteten, „Menschen, die sich aus furchtbaren Situationen auf den Weg gemacht haben über das Mittelmeer oder die Balkanroute“. Dieses Reden von irregulärer Migration sei für Christinnen und Christen schwer erträglich. Dieses Auffordern zur Abschiebung im großen Stil von einem sozialdemokratischen Kanzler zu hören, tue weh, gar nicht zu sprechen von den christdemokratischen Stimmen, die morgens um 5 Uhr Leute aus dem Bett reißen, um sie in den Flieger irgendwohin zu setzen. „Das kann nicht unsere Überlegung zur Solidarität sein“, sagte Daub. Er sei sehr, sehr froh, dass bei den Sozialdemokraten im Bezirk eine ganz andere Stimmung herrsche.

Damit war die Hand gereicht. Eine Aussprache dazu gab es nicht – auch nicht in der Podiumsdiskussion mit dem Arbeitsminister und SPD-Bundestagsabgeordneten aus dem Wahlkreis Gifhorn/Peine, Hubertus Heil, der VW-Betriebsratsvorsitzenden Daniela Cavallo und der Generalsekretärin der Niedersachsen-SPD, Dörte Liebetruth, moderiert von Christine Michitsch, Pressesprecherin der Dachstiftung Diakonie.

Getreu dem Werkstattmotto „Morgens gebracht, abends gemacht!“ arbeiteten die drei Themen wie Arbeitsmarkt, Mitbestimmung, Qualifizierung und Weiterbildung ab – stets orientiert am Leitmotiv „Warum die SPD für die Region wichtig war, ist und sein wird“. Moderatorin Michitsch kündigte an: „Wir machen das heute wie bei Inas Nacht, Fragen können auf den Bierdeckel geschrieben werden.“ Der Arbeitsminister warf ein: „Aber wir werden nicht singen.“ Dabei blieb‘s. Dafür flogen die Bierdeckel locker-lässig nach verkündeter Frage über Michitschs Schulter.

Es folgte ein Geburtstags-Potpourri sozialdemokratischer Grundsätze, Standpunkte und historischer Erkenntnisse und persönlicher Erinnerungen und Anekdoten, beispielsweise von Heils erster Erkundung des Landkreises Gifhorn 1994 als er Wahlkampf für Eva Folta gemacht hat. Da sei ein alter Genosse gekommen, der ihm sagte: „Jo, machen wir wieder Wahlkampf, aber in das Dorf darfste nicht gehen, das ist so schwarz, da lässt der Bauer den Hund los, wenn der Sozi kommt.“ Inzwischen seien die Sozialdemokraten eine bestimmende politische Kraft im Kreis Gifhorn geworden, tief verankert in der Gesellschaft.

Generalsekretärin Liebetruth machte deutlich, warum die SPD auch nach 160 Jahren noch up-to-date ist. Sie verwies auf die Zeit der Industriellen Revolution. Da ging es darum, dass Arbeiterinnen und Arbeiter an den Errungenschaften, die diese Umwälzung mit sich brachte, teilhaben konnten. Auch heute gehe es bei der Digitalisierung und dem Weg zur klimaneutralen Weltwirtschaft darum, dass die Menschen daran Teil haben können. Sie warnte vor einer Spaltung der Gesellschaft und den Feinden der Demokratie. „Es war immer die SPD, die für die Stärke dieser Demokratie gekämpft hat.“ Gerade jetzt sei es wichtig, sich für diese Demokratie starkzumachen.

Die Wirtschaft in der Region war das Thema der Konzernbetriebsrätin Cavallo. „Wir haben hier starke Betriebe.“ Sie bescheinigte den SPD-Politikerinnen und Politiker eine große Nähe. Es gebe ein großes Interesse am Digitalisierungsprozess, alternativen Antrieben und der Transformation, die eben auch sozial gestaltet werden müsse. Natürlich wisse sie, dass sich nicht alles um Volkswagen drehe, aber klar sei auch, was für eine Strahlkraft die Automobilindustrie habe – von der Zulieferindustrie, über das Handwerk bis hin zu zu Dienstleistungen. Mit Blick auf die SPD und die VW-Landesbeteiligung sei Ministerpräsident Stefan Weil ein verlässlicher Partner, ebenso wie Hubertus Heil, wenn es um arbeitsmarktpolitische Themen geht. Cavallo machte kein Hehl daraus, dass die SPD die Partei sei, die der IG Metall am nächsten steht – „auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind“.

Und immer wieder das Stichwort Transformation. „Wir müssen aufpassen, dass Arbeitgeber diese Situation nicht ausnutzen, um Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern“, warnte Cavallo. Die Mitbestimmung sei eine Garantie, dass die Menschen in diesem Prozess nicht vergessen werden. Das sei eine Riesenherausforderung in diesen Zeiten. Mitbestimmung sei auch ein Faktor der Stabilität und der Sicherheit für die Menschen – gerade in Zeiten der Transformation. „Wir sehen ja, wie Menschen abdriften und die Demokratie gefährdet ist“, so Cavallo. Gerade die Mitbestimmung sorge dafür, den Menschen eine Perspektive zu geben.

Hubertus Heil verwies auf das Beispiel Conti. Die Betriebsräte haben seit Jahren für den Erhalt des Standortes gekämpft. Trotz der guten Arbeit mussten sie sich damit abfinden, dass Teves, „wie wir das in Gifhorn immer noch nennen“, aufgegeben wird. Irgendwann hätten alle einsehen müssen, dass die Weichen so gestellt sind, dass man sich nichts mehr vormachen muss. „Das war für die Kolleginnen und Kollegen eine richtig beschissene Situation“, so Heil. Jetzt gebe es für die Beschäftigten eine gute Perspektive, verwies Heil auf die geplante Wärmepumpen-Produktion von Stiebel Eltron.

Bürgermeister spricht mit Staatssekretär über Hochschulstandort

Nach knapp zwei Stunden folgte der gesellige Teil und für Bürgermeister Matthias Nerlich, quasi allein unter Sozialdemokraten, die Gelegenheit, sich mit Joachim Schachtner, Staatssekretär im niedersächsischen Wissenschaftsministerium, über das Thema Hochschulstandort Gifhorn auszutauschen. So hatte es sich Philipp Raulfs in seiner Begrüßung gewünscht – und vielleicht gibt es ja noch ein nachträgliches Geburtstagsgeschenk für die Stadt...