Gifhorn. Von ihrer Spenden-Reise bringt Sybille Schnehage vor allem den Eindruck mit, den Menschen in Afghanistan noch mehr helfen zu müssen.

Mit dem Mut der Verzweiflung stemmt sich die Bergfelder Afghanistan-Helferin Sybille Schnehage gegen den Niedergang am Hindukusch. Unterstützt von 140 Mitgliedern und mehr als 2000 Gifhorner und Wolfsburger Förderern ihres fast 30 Jahre alten humanitären Hilfsvereins Katachel setzt die 73-jährige Entwicklungshelferin unverdrossen darauf, der Bevölkerung rund um Kunduz 300 Kilometer nördlich von Kabul eine Zukunft zu geben: In ihrer Heimat und in Selbstständigkeit.

Von ihrer 16-tägigen Afghanistan-Reise im Herbst kehrte Schnehage allerdings ungeachtet mancher Einzelerfolge in der Projektarbeit des Vereins zutiefst besorgt zurück. Zu groß erscheinen die Probleme und die Hindernisse, zu unüberwindbar die Hürden zwischen dem Taliban-Regime und der internationalen Gemeinschaft.

Rückschlag durch Welle unfreiwilliger Heimkehrer aus Pakistan

Der jüngste Rückschlag: „Pakistan schmeißt alle Afghanen raus.“ Damit reagiere das Nachbarland auf eine Welle islamistischer Attentate. Nun müssten Tausende afghanische Flüchtlinge das Land verlassen, die sich seit den 1980er Jahren zwischen Peschawar und Islamabad niedergelassen hätten. Damals herrschte noch der Konflikt mit Russland. Gehen müssen Schnehage zufolge „alle ohne Papiere“, doch Pässe besitze kaum eine Familie.

Zu Tausenden strömten die Menschen seit Anfang November in die Region Kunduz, wo sie einst gelebt hätten. „Sie haben Hunger. Und wie sollen sie dort unterkommen?“, sorgt sich Schnehage. Katachel benötige dringend zusätzliches Geld für Lebensmittellieferungen. Schnehage will nicht Gelder umdisponieren, die Katachel für die Winterhilfe für Kinder eingeplant hat, für Gummistiefel und warme Socken. Sonst wären die Mädchen und Jungen im nasskalten Winter barfuß im Lehmschlamm unterwegs.

Die 34. Schule in der Wüste ist fertig

Erreicht hat Sybille Schnehage während ihres Aufenthalts die wesentlichen Reiseziele: Eine neue Schule in der Wüstenregion Chahar Darrah Nauabad rund 20 Kilometer von Kunduz entfernt ist fertiggestellt. Wie viele Mädchen und Jungen in den vier Klassenzimmern durch staatliche Lehrer unterrichtet werden, kann Schnehage gar nicht sagen. „Die Räume werden im Schichtbetrieb genutzt.“ Der eigens gebohrte Brunnen für Bau und Sanitäranlagen bewässere zudem Pflanzungen im Umfeld.

Öffentlichen Schulunterricht lassen die Taliban für Mädchen nur bis zur 6. Klasse zu. Familien, die es sich leisten können, lassen ihre Töchter danach privat unterrichten.
Öffentlichen Schulunterricht lassen die Taliban für Mädchen nur bis zur 6. Klasse zu. Familien, die es sich leisten können, lassen ihre Töchter danach privat unterrichten. © FMN | Privat

Das Problem Bildung für Mädchen bleibt unter den Taliban ungelöst. Höchstens bis zur sechsten Klassen werden sie unterrichtet. Wohlhabendere Familien organisierten danach Privatunterricht, weiß Schnehage. Doch ihr geht es immer um die breiten Bevölkerungsschichten. Kritisch merkt Schnehage auch den Erhaltungszustand vieler der 34 von Katachel errichteten Schulen an. Hier sei zur Sanierung dringend zusätzlicher Mitteleinsatz erforderlich.

Die Lebensmittelspenden reichen bei weitem nicht

Vor Ort umgesetzt hat Schnehage auch das Patenschaftsprojekt für 430 Witwen und Behinderte. Sie erhielten Quartalsrationen von Mehl, Speiseöl, Bohnen, Zucker, Tee und auch Geld. Dennoch war Sybille Schnehage geschockt: „Der Gouverneur hatte jede Menge andere Leute geschickt, die auch alle etwas haben wollten.“ Die verzweifelten Menschen hätten mit Steinen ans Tor geschlagen und den Hof gestürmt.

Insgesamt sei die Sicherheitslage unter den Taliban aber gut, so Schnehage: „Wir waren an Orten, an die wir früher nicht hätten fahren können.“ Vier Polizisten hätten sie begleitet. Um sie zu kontrollieren oder ihre Bewegungsfreiheit einzuschränken? Nein, beteuert Schnehage, sie sei frei unterwegs gewesen. Allerdings hätten die Männer strikt darauf geachtet, dass Frauen nur verhüllt fotografiert worden seien.

Zur grundsätzlichen Situation in Afghanistan positioniert sich Schnehage nach eigener Anschauung im Land sehr pointiert und trifft damit nicht zuletzt auf Widerspruch des Flüchtlingsrats Niedersachsen. Schnehage bekräftigt: „Es lebt sich in Afghanistan zwar schlecht und es gibt keine Arbeit, aber es ist sicher und keiner wird mehr verfolgt, so dass es keinen Asylgrund mehr gibt. Die Menschen müssen in ihrer Heimat bleiben und wir müssen dort die Lage verbessern.“ Deswegen sei es falsch, wenn internationale Hilfsorganisationen und auch die Bundesregierung ihre Unterstützungsprogramme weitgehend eingestellt hätten.

Dissens mit dem Flüchtlingsrat Niedersachsen

Bevor zudem junge Männer aus überwiegend wohlhabenden Familien nach Deutschland kämen, müssten es eher die Frauen sein, die praktisch eingesperrt lebten, argumentiert Schnehage. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen hatte zu Schnehages Position angemerkt: „Schnehages Aussage widerspricht vollkommen den Entscheidungen in Asylverfahren, in denen bei einer Schutzquote von 83,5 Prozent sehr wohl jungen Männern regelmäßig ein Schutzstatus zugestanden wird. Die Behauptung von Frau Schnehage, diese jungen Männer stammten aus bessergestellten Familien und hätten den Auftrag, Geld zu beschaffen oder Verwandte nach Deutschland nachzuholen, bedient einfach nur rassistische Klischees.“ Die Charakterisierung der Bundesverdienstkreuzträgerin als Landeskennerin Afghanistans stellt der Flüchtlingsrat in Frage.

Schnehage ihrerseits nennt die Kritik des Vereins „naiv“. Wenn sie behaupte, es gebe keine Integration, „sage ich die Wahrheit“. Sie sei jederzeit zu einem Gespräch mit dem Flüchtlingsrat bereit, betont die Entwicklungshelferin.

Spendenkonten: Sparkasse Celle Gifhorn Wolfsburg DE24 2695 1311 0014 1600 06 sowie Volksbank Brawo DE41 2699 1006 1555 5530 00