Wesendorf. In dem Dorf organisieren sich mehr als 120 Gegner per Whatsapp. Nach mehreren Aktionen und Anti-Demos planen sie nun dieses.

Der AfD-Landtags-Fraktionschef Stefan Marzischewski-Drewes brüstet sich damit, dass Parteiveranstaltungen in Wesendorf „ein Heimspiel“ seien. In den drei Wahlbezirken 516, 517 und 519, also im Blumenviertel und im Gebiet mit den Baumstraßennamen erhielt die rechtspopulistische Partei bei der Landtagswahl im vergangenen Herbst die meisten Erst- und Zweitstimmen, im Wahlbezirk 516 sogar 48,75 Prozent. Von niedersächsischer AfD-Hochburg ist die Rede, auch vom „AfD-Viertel“. Und wenn es kaum Veranstaltungsorte in der Region gibt, an denen die Blauroten willkommen sind: Hier in Wesendorf ist einer, der Besitzer der Eventhalle ist der Partei offenbar wohl gesonnen.

Doch einer wachsenden Gruppe von Wesendorfern geht das gewaltig gegen den Strich: „Das wird überall so dargestellt, als würden alle Menschen in Wesendorf die AfD wählen“, sagt Timo Gefeller. Dem sei aber nicht so: „Wir Nicht-AfD-Wähler sind viel mehr!“ Und: „Vielen Leuten aller Altersgruppen geht es auf den Sack, dass wir von Rechts vereinnahmt werden.“

2019, als zwei Alternative erstmals in den Gemeinderat einzogen, habe es in Teilen der Bevölkerung „schon Unbehagen gegeben“, erinnert sich Matthias Welk. Aber die Verwunderung sei mit der Landtagswahl „explodiert“. Gefeller: „Leute, die sich vorher nie politisch geäußert hatten, fragten plötzlich: Was ist aus diesem Dorf geworden?“

Der Spielmannszug sei dann im Oktober 2022 die Keimzelle für eine Whatsapp-Gruppe geworden, die mittlerweile von 30 auf mehr als 120 Mitglieder gewachsen sei. Die Diskussionen drehen sich darum, wie zu verhindern ist, dass das Dorf von den Rechtspopulisten in Beschlag genommen wird. Den AfD-Stempel will man nicht.

„Wir wollen uns aber nicht als reine Anti-AfD sehen“, sagt Welk, „sondern als Gruppe, die die Gesellschaft pusht.“ Was meint er damit? Man wolle die Wesendorfer dazu bewegen, endlich wieder zahlreich zur Wahl zu gehen. Denn als einen Grund für den hohen Wahlerfolg der AfD sehe man die stets sehr geringe Wahlbeteiligung: In besagten Wahlbüros lag sie nur bei knapp über 40 Prozent. „Wir waren landesweit am unteren Ende“, so Gefeller, „unser Ziel ist es, die Beteiligung beim nächsten Mal zu steigern.“

Und wie? „Der Wahlsonntag soll wieder ein Happening werden!“, so Gefeller. „Früher hat man sich schick gemacht, ist wählen gegangen und anschließend noch irgendwo essen.“ Die Wahl soll wieder ein Fest werden - vielleicht, indem der Sportverein neben dem Wahllokal eine Torwand aufbaut, die Landfrauen Spargelcreme-Suppe anbietet und die Kindergartenkinder etwas aufführen - Ideen sind vorhanden. „Wir müssen das Recht, wählen gehen zu dürfen, wieder hochhalten.“

Das zweite Ziel ist herausfordernder: „Wir wollen ein Licht auf die AfD werfen“, so Welk, „zeigen, was sich hinter dem Vorhang verbirgt.“ Es gelte, die Mitbürger aufzuklären darüber, warum die Alternativen antidemokratisch seien, warum sie unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehen, warum Teile der Partei als rechtsextrem eingestuft wurden. In dieser Hinsicht gebe es schon Kontakte zur niedersächsischen Beratungsstelle in Hildesheim, zum Bündnis Bunt statt Braun in Gifhorn und weiteren Gruppierungen mit ähnlichen Werten und Zielen.

Eine der ersten Aktionen der Gruppe war es, 6500 Flyer im Ort zu verteilen. Bei der 10-Jahres-Feier der AfD übte sie stehenden Protest in der Eventhalle. Vor eineinhalb Wochen trat sie mit einer Demo in Erscheinung, als die AfD zu einer Infoveranstaltung zur Europapolitik in dieselbe Halle eingeladen hatte. Knapp 300 Protestler bereiteten den EU-Parlamentskandidaten der AfD aus drei Bundesländern ein lautstarkes Spalier. Dafür ernteten sie gleich darauf auch viele Hasskommentare im Internet - „aber mit Gegenwind haben wir ja gerechnet“, sagt Julia Pahlmann.

„Aber nur Rabatz machen, das wird nicht reichen“, so Welk - das sei allen Beteiligten klar. Man wolle eben nicht nur contra arbeiten, sondern pro - für die Demokratie, für die Gesellschaft, für ein besseres Miteinander. „Wir wollen etwas für das Dorf tun. Die Menschen müssen wieder in Kontakt und in Gespräche kommen“ - auch und vor allem mit den AfD-Wählern. Deshalb nennt sich die Gruppe jetzt auch „FairEint“ - ein Wortspiel mit Hintergrund.

Denn genau in der Spaltung sieht die Gruppe das Problem in Wesendorf: „Die Isolation in Corona-Zeiten hat uns geschadet“, so Welk. Zumindest habe sie die Spaltung noch vertieft, die vorher schon in Ansätzen vorhanden gewesen sei. Zwischen wem? Gefeller nennt es beim Wort: Es sei kein Zufall, dass die AfD ausgerechnet dort die meisten Stimmen erhielt, wo der Anteil der Spätaussiedler besonders hoch ist.

Der Vorwurf der „nicht geglückten Integration“ in den 1990er-Jahren hatte schon kurz nach der Landtagswahl die Runde gemacht - und zu heftigen Diskussionen geführt. Ist die Situation wirklich besser geworden, wie Samtgemeindebürgermeister Rolf-Dieter Schulze sagte? Aus Sicht der Gruppe sei es genau umgekehrt: „Ich wurde 1990 geboren“, so Gefeller, „und ich bin mit vielen Spätaussiedlerkindern zur Schule gegangen. Wir sind zusammen groß geworden.“ Man habe zusammen Fußball gespielt, die Eltern seiner Mitschüler hätten einen Angelverein mitgegründet, über die CDU Ratsmitglieder gestellt - kurz: Die neuen Bewohner des Ortes seien bestens integriert gewesen.

Und heute? Die Spätaussiedler zögen sich mehr und mehr in ihre eigene „Bubble“ zurück. „Die wenigsten sind noch im Schützenverein oder bei der Feuerwehr. Hier spielt keiner mehr Fußball“, so Gefeller, der das sehr bedauerlich findet. Pahlmann meint: „Zu Hause wird russisch gesprochen“, im Fernsehen liefen prorussische Medien. Man sei zunehmend unter sich.

Und genau in diese Kerbe haue die AfD: „Sie spaltet die Gesellschaft zusätzlich“, so Gefeller, „sie schießt aus allen Rohren, sie bläst Probleme auf, vergrößert genau die Sorgen, die die Spätaussiedler haben“ - nämlich, dass die derzeitige politische Führung ihre mühsam aufgebaute neue Existenz als Deutsche wieder zerstöre. „Aber die Leute verstehen nicht, dass es gar keine Gefahr gibt.“ Die AfD spiele da gezielt mit Begriffen einer bedrohten Heimat.

Dem will FairEint etwas entgegensetzen. „Wir sind keine politische Initiative, sondern eine gesellschaftliche, überparteilich, aber pro demokratisch“, so Gefeller. Deshalb wolle man keine Partei gründen, sondern einen Verein. Der soll die Dorfgemeinschaft wieder zusammenführen, links- und rechtsextremen Positionen den Boden entziehen und die Bürger daran erinnern, warum das Wählengehen wichtig ist. Gefeller: „Geschichte wiederholt sich sonst, es gibt krasse Parallelen.“