Leiferde. Die Leiterin beklagt fehlendes Naturwissen und warnt eindringlich davor, Jungvögel und -hasen aus falscher Fürsorge aus ihrem Lebensraum zu reißen.

Das Team des Nabu-Artenschutzzentrums in Leiferde kümmert sich seit Jahrzehnten um verletzte, kranke und geschwächte Wildtiere und geschützte Tierarten, die nicht in Laienhände gehören. Doch die Zahl der aufgenommen Pflegetiere nimmt Überhand – und belastet die Einrichtung. „Wir stoßen wieder einmal an die Grenzen unserer Kapazitäten“, berichtet Leiterin Bärbel Rogoschik. Denn oft werden auch Exoten, die von Behörden beschlagnahmt werden, weil die Besitzer sie nicht artgerecht gehalten haben, in Leiferde untergebracht. Erschwerend kommt die Corona-Pandemie hinzu, die die engagierten Naturschützer vor enorme Herausforderungen stellt. „Es ist ein doppelter Seiltanz, den wir vollführen müssen, um unser Bestes für die Tiere zu geben – und das im zweiten Jahr!, wird Rogoschik in der Pressemitteilung zitiert.

Auf der einen Seite stünden eingelieferte oder gemeldete Pfleglinge in größter Zahl, auf der anderen fehlende Einnahmen, weil weniger Besuche kämen und das traditionelle Storchenfest erneut abgesagt werden musste. Das hat zur Folge, dass dem Team wichtige Spendengelder fehlen. „Und hinzu kommen die Auflagen zur Hygiene, die uns die Arbeit im täglichen Betrieb nicht vereinfachen“, erklärt die Leiterin, die alle im Zentrum Tätigen für ihren Einsatz rund um die Uhr lobt.

Leiterin mahnt: Tiere sind in den seltensten Fällen hilflos und müssen nicht fortgebracht werden

Der Trend, dass immer mehr Jungvögel abgegeben werden setzt sich auch 2021 fort. „Viele von ihnen mögen sicher aus Not heraus unsere Hilfe benötigen, etwa weil Elterntiere ums Leben kamen oder ein Nest aus einer Hecke geweht wurde“, sagt Rogoschik, „bei sehr vielen jedoch führt mangelnde Artenkenntnis oder sogar gefährliche, falsche Tierliebe dazu, dass sie regelrecht ‚eingesammelt‘ und bei uns abgegeben werden: Dies geschieht regelmäßig dann, wenn halbflügge Jungvögel piepsend, pfeifend oder tschilpend auf dem Boden herumhüpfen.

Dann meinen manche Tierfreunde, sie seien hilflos – und sammeln sie verheerenderweise ein, obwohl diese Jungvögel durch ihre Laute lediglich Stimmfühlung mit ihren Elterntieren halten, die sie am Boden weiterfüttern, bis sie selbstständig genug sind, um allein auf Nahrungssuche zu gehen.“ Viele hätten zwar ein gutes Herz, aber keine Ahnung von der Natur. „Das kann für solche Wildtiere tödlich enden“, ist die Nabu-Zentrumsleiterin enttäuscht, dass jahrzehntelange Aufklärungsarbeit offenbar jedes Jahr wiederholt werden müsse. So komme es vor, dass ganze Nester mit Jungvögeln aus den Hecken entfernt und nach Leiferde gebracht wurden.

Es sei spürbar, dass viele weder Zuhause noch in der Schule einfachstes Wissen vermittelt bekämen. Die Naturentfremdung führt Rogoschik auch auf das Verschwinden von Gärten im Zuge zunehmender Versiegelung hin. Wer einen Garten oder gar Nutzgarten habe, werde wesentlich mehr Naturbezug haben.

Aufzucht von Jungvögeln ist Kraftakt – Fütterung aufwendig und oft

Die Jungvögel müssten oft und aufwendig gefüttert werden. „Das ist kein Schönwetterhobby, das ist Knochenarbeit und nimmt auch seelisch ganz schön mit“, kann die engagierte Naturschützerin aus eigener Erfahrung berichten. „Wir freuen uns ja, wenn wieder sehr viel mehr Menschen in die Natur gehen – aber bitte nicht überall querfeldein, etwa durch Wiesen, Felder und Wälder“, muss sie mahnen, denn: „Dort werden Wiesenbrüter aufgescheucht, Waldtiere immer wieder gestört – und beispielsweise Junghasen in Wiesen ‚aufgestöbert‘, wo sie sich durch Ducken im hohen Gras verbergen wollen.“ Rogoschik betont: „Diese Tiere sind keineswegs verlassen. Sie warten ab, bis die Gefahr vorüber gegangen ist, und sie wieder von ihrer Mutter angenommen werden. Junghasen sollten daher keineswegs berührt werden, da das Muttertier sie dann aufgrund der Fremdwitterung nicht mehr annimmt.“

Immer mehr Pfleglinge bedeuten auch immer mehr Aufwand – ohne Spenden wird das schwierig zu bewältigen sein. „Und es muss doch weitergehen, das sind wir den tausenden Tieren schuldig. Deshalb sind wir für jede Unterstützung dankbar – und für die große Solidarität, die wir von vielen Menschen seit dem Beginn der Pandemie erfahren dürfen!“