Axum/Gondar. Äthiopiens Bilder und Mythen rühren auch an unser Innerstes. Monolithen und Ikonen sind Zeugnisse des Glaubens.

Auf der Suche nach den ältesten Kulturen des Christentums werden wir ausgerechnet im östlichen Afrika fündig. Bis heute ist Äthiopien ein zutiefst christliches Land – mehr als 60 Prozent der 110 Millionen Äthiopier sind Christen, die meisten von ihnen orthodox.

Das legendäre Axum im äußersten Norden des Landes ist das religiöse Zentrum der äthiopisch-orthodoxen Kirche, vergleichbar mit Rom für die katholische Kirche.

In Axum, dem religiösen Zentrum Äthiopiens: Stelenpark mit Stele Nr. 1 (vorn, in Trümmern). Nr. 2 und Nr. 3 (gehalten von einer Stahlseilkonstruktion).
In Axum, dem religiösen Zentrum Äthiopiens: Stelenpark mit Stele Nr. 1 (vorn, in Trümmern). Nr. 2 und Nr. 3 (gehalten von einer Stahlseilkonstruktion). © Henning Noske

In Axum staunen wir im weltweit einzigartigen Stelenpark über die größten Monolithen der antiken Geschichte. Es sind Säulen, die schon weit vor Christi Geburt die Gräber der Könige krönten, der Herrscher des Reiches von Axum, das einst ein Weltreich war. Hier führte König Ezana bereits um 345 n. Chr. das Christentum als Staatsreligion ein, als drittes Land der Erde nach Armenien und Georgien – und noch vor dem römischen Reich.

Immer größer waren die Stelen geworden, bis die größte von ihnen im 4. Jahrhundert n. Chr. schon bei ihrer Errichtung unter dem eigenen Gewicht zusammenbrach ...

Vor dieser Stele Nr. 1 in Axum stehen wir im Jahr 2019. Das Gehirn ist irritiert, wir brauchen eine Weile, um die Dimensionen zu erfassen. Ein mehr als 33 Meter hoher Monolith, 520 Tonnen schwer. Die Bruchstücke dieses Kolosses sind bis heute Zeugen menschlicher Hybris.

Die ordentliche Nummerierung der Stelen stammt übrigens von einem Deutschen – der Ethnologe Enno Littmann nahm sie vor bei der deutschen Axum-Expedition im Jahr 1906.

Stele Nr. 2 ist 24 Meter hoch. Auch sie war zerbrochen. Nach Äthiopiens Besetzung durch die italienischen Faschisten wurde sie 1937 nach Rom gebracht – und kehrte erst 2005 nach Axum zurück, wurde 2008 zusammengesetzt und wieder errichtet.

Stele Nr. 3 – fast 24 Meter hoch – neigte sich über die Jahrhunderte immer mehr zur Seite. Sie ist heute durch ein Stahlseil gesichert. Insgesamt wurden 120 Stelen in Axum gezählt. Sie sind im wahrsten Sinne einzigartige Höhepunkte der äthiopischen Kultur.

Äthiopische Engel schauen dich an – bemalte Kirchendecke in der Kirche Debre Berhan Selassie auf dem Berg des Heiligen Lichts in Gondar.
Äthiopische Engel schauen dich an – bemalte Kirchendecke in der Kirche Debre Berhan Selassie auf dem Berg des Heiligen Lichts in Gondar. © Henning Noske

Über die Landstraße geht es knapp 400 Kilometer durch das Simien-Gebirge in Richtung Tanasee nach Gondar – eine Tagesreise, die unvergessliche Ausblicke in eine grandiose Landschaft mit Schluchten, Tälern, Vulkankegeln und Felsspitzen beschert.

Eines der Hauptziele in der früheren äthiopischen Hauptstadt Gondar ist die kleine Kirche Debre Berhan Selassie auf dem Berg des Lichts aus dem 18. Jahrhundert, die ebenfalls einen Höhepunkt darstellt – den der äthiopischen Kirchen- und Ikonenmalerei. Sie verbindet die Bilder- und Gleichniswelt des Alten und des Neuen Testaments mit den Mythen, Geschichten und Gebräuchen in Afrika.

Was so entsteht, ist eine Ikonographie der äthiopischen Volksfrömmigkeit, die den Besucher aus dem christlichen Europa schlicht fasziniert, weil sie auch seine eigene vertraute Bilderwelt aus Kindertagen aufgreift und weitermalt.

So ist die hölzerne Kirchendecke auf dem Berg des Lichts, die wir auch oben auf dieser Seite sehen, „bevölkert“ mit geflügelten Engelsgesichtern. Sie sind so gemalt und angeordnet, dass jeder Kirchenbesucher immer von einem Engel angeschaut wird – egal, wo er sich in diesem Raum befindet.

Man muss nicht an Engel glauben, aber viele Menschen glauben, dass es Engel sein können, die ihnen in bestimmten Situationen des Lebens Schutz und Beistand geben können. Wer daran zweifelt, dass dies auch die Psyche erfasst, sollte in einem solchen Raum einmal innehalten. So erleben wir auch auf dieser Reise in Äthiopien wieder Schätze zwischen Himmel und Erde, sehen Bilder, die sich im Gedächtnis eingraben.

So war es schon bei unserer ersten Exkursion in die noch abgelegenere Region von Lalibela, wo wir über die Felsenkirchen staunen konnten, Kathedralen so alt wie der Braunschweiger Dom, die nicht in die Höhe gebaut wurden, sondern in Felsmonolithen hinein.

Es war nicht unsere letzte Reise zu Äthiopiens Bildern und Mythen.