Wenn die Touristen sich in ihre Hotels zurückziehen, blüht Mallorcas Hauptstadt auf. Zu entdecken sind malerische Innenhöfe und urigen Kneipen.

Der Himmel färbt sich langsam dunkelblau, ein paar letzte Sonnenstrahlen leuchten durch Schleierwolken auf die Kathedrale der heiligen Maria, im Volksmund oft einfach La Seu – Bischofssitz – genannt. Majestätisch thront der 43 Meter hohe gotische Bau über dem Meer. Unterhalb davon spiegeln sich im See des Parc de la Mar die Laternen. In weiter Ferne ist das Tuten eines Kreuzfahrtschiffes zu hören, es verlässt gerade den Hafen von Palma.

Über eine breite, sandsteinfarbene Treppe geht es von hier aus hinauf in die Altstadt. Die Menschen machen ihre letzten Einkäufe des Tages. „Das ist ja der Hammer, unglaublich, Wahnsinn“, das sind die Kommentare der Leute aus einer Reisegruppe, die vor einem Tante- Emma-Laden in der Calle Santo Domingo steht. Zahlreiche Würste – dicke, dünne, kurze, lange – hängen von der Decke: Sobrasadas – Streichmettwürste – reingequetscht in Pelle. Es riecht nach einer Mischung aus Knoblauch und Schwein. Vor dem Eingang liegen Orangen, Granatäpfel und Weintrauben – hängende, getrocknete Paprikaschoten leuchten in gelb, grün und rot.

Der Olivenbaum auf dem Placa de la Cort.
Der Olivenbaum auf dem Placa de la Cort. © bita | bita

Es ist inzwischen kurz vor zwanzig Uhr, die Ladenbesitzer machen allmählich Feierabend. Rollläden knarren herunter, Schlüsselbunde klappern, die Straßen lichten sich langsam. Jetzt kommt die kurze Zeit, in der die Einheimischen die Altstadt fast für sich haben. Auf einmal wird es ganz ruhig, fast gespenstisch wirken die schmalen, kopfsteingepflasterten Gassen mit ihren prachtvollen, im Jugendstil erbauten Gebäuden mit Säulen und aufwendigen Stuckarbeiten nun. An den Fassaden hängen verglaste Balkone. Das Licht der Laternen schimmert fahl, nur vereinzelte rote oder gelbe Blumen an den Balkonen bringen ein wenig letzte Farbe in die romantische Stimmung, bevor die Nacht beginnt.

Palma ist die Stadt der Innenhöfe, der „patios“, wie sie auf Spanisch heißen, die noch vor zwei Stunden von der Sonne ausgeleuchtet wurden und jetzt genauso düster wirken wie die verwinkelten Gassen. Verborgen liegen sie im Labyrinth. Die ruhigen Oasen der Patrizierhäuser verraten einiges über den Adel, der hier einst herrschte. Hohe Mauern, ursprünglich ein Schutz gegen Piraten, dicke Holztore und verschlossene Fensterläden versperren jedoch die Sicht auf die Innenhöfe. Mit etwas Glück geben einige schmiedeeiserne Tore den Blick in einen der mit üppigen Balustraden, wertvollen Steinböden und prächtigen Brunnen ausgestatteten Höfe frei.

Die Massen von Touristen, die sich tagsüber durch die Straßen schieben, sind längst verschwunden. Die meisten Urlauber auf der Insel bleiben abends in ihren Hotel-Pensionen oder All-Inclusive-Anlagen. Auch der Placa de la Cort, der Rathausplatz, ist wie leergefegt. In der Mitte steht ein jahrhundertealter, prächtiger Olivenbaum – ein echter Hingucker. Der etwa sechs Meter hohe und sieben Meter breite, knorrige, kurvige Stamm windet sich wie ein Gehirn.

Daneben steht Hugo Valencia, ein Mann mit Glatze, dunklen Augen und kleinen Falten. „Der Olivenbaum ist auf einer Finca bei Pollença im Norden der Insel sozusagen aufgewachsen und später ins Zentrum versetzt worden, seit fast 30 Jahren ist er nun hier“, erzählt er mit einem verschmitzten Lächeln. Etwas verlegen reibt er sich die Nase. „Ich lebe seit 20 Jahren auf dieser Insel, in die ich mich sofort verliebt habe“, schwärmt er, während die himmlische Ruhe durch wohlklingende Kirchenglocken im Hintergrund unterbrochen wird.

Der kleine Laden St. Domingo. Hier gibt es allerlei Köstlichkeiten zu kaufen, spanische Spezialitäten, Safran und andere Gewürze.
Der kleine Laden St. Domingo. Hier gibt es allerlei Köstlichkeiten zu kaufen, spanische Spezialitäten, Safran und andere Gewürze. © bita | bita

Im Gegensatz zu der Ruhe auf dem Placa de la Cort tobt im nahegelegen Altstadtviertel Sa Gerreria inzwischen das Leben. Es ist Bar-Hopping angesagt, wie jeden Dienstag. Die zahlreichen Lokale sind voll. In der Kneipe „Molta barra“ drängeln sich die Menschen an der Theke, es riecht nach Bier und Schweiß.

Die „Ruta Martiana“, wie die berühmte Kneipentour genannt wird, lockt Einheimische mit köstlichen Tapas, Bier und Wein an – für zwei bis drei Euro. Etwas weiter entfernt, in Palmas Lonja-Viertel, liegt die Cocktailbar „Abaco“. Durch ein massives Holzportal geht es hinein in das Gebäude mit der graubraunen Fassade.

Dahinter verbirgt sich ein überladenes, riesiges Barock-Zimmer. Es könnte auch eine Filmkulisse sein, so gigantisch wirkt der Raum. Auf dem Boden liegen opulente Körbe voller Früchte, darüber Palmenwedel; brennende Kerzen in allen Größen erleuchten das Zimmer. In einer Ecke lodert ein Kaminfeuer orangegelb. Goldene Spiegel zieren die hohen Wände. Im oberen Stockwerk stehen rote Sofas auf edlen Teppichen, daneben goldfarbene Stühle unter riesigen Gemälden. In einer nachgebildeten uralten Küche liegt liebevoll drapiertes Gemüse auf einem Tisch. Hellblaue und grüne Wellensittiche kreischen um die Wette, während aus den Lautsprechern nostalgische Musik ertönt. „Für mich soll’s rote Rosen regnen…“

Dieser Wunsch wird freitags um Mitternacht war, denn dann regnet es rote Rosenblätter von der Decke des „Abaco“, verrät Hugo mit einem verliebten Blick im Gesicht. Doch im nächsten Moment schimmern seine mandelförmigen Augen glanzlos und traurig. „Mein Lieblingslokal wird Ende nächsten Jahres seine Tore schließen, denn hier soll ein Hotelkomplex entstehen“, berichtet er mit trüber Stimme.

Inzwischen ist es sehr spät geworden. In den Szenevierteln von Palma kehrt wieder Ruhe ein. Die Lichter in den Bars gehen langsam aus, und es wird duster. Weit nach Mitternacht ist es jetzt. Nur die Kathedrale strahlt weiterhin in der mittlerweile dunklen Nacht wie eine Glucke über dem Meer.