Braunschweig. Eine Braunschweiger Ausstellung thematisiert das Bild von Jesus in der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts.

Die größte Provokation dieser Ausstellung ist wohl der Schriftzug auf den Plakaten: „Jesus 2.0“. Er ist unübersehbar an Coca-Cola angelehnt. Der menschgewordene Gottessohn – eine Weltmarke wie die profane Zuckerbrause.

In der Tat gibt es Parallelen. Die allermeisten Menschen auf unserem Globus – ob Christen oder nicht – kennen den bärtigen Mann mit dem Alleinstellungsmerkmal Dornenkrone, das ihm einen extrem hohen Wiedererkennungs-Effekt sichert. Rein vom Marketing her war der schmerzhafte Spott der Folterknechte im Nachhinein ein Glücksfall für den Markenkern des Christentums. Und das Kreuz natürlich sowieso.

Alle mögen Coca-Cola – und irgendwie auch Jesus Christus. Und beide haben ein Geheimnis. Bei der Brause ist es das Rezept. Bei Jesus seine Doppelnatur: Gott und Mensch. Wie soll das gehen?

Dies Geheimnis war über 2000 Jahre lang der größte Anreiz für Künstler. Wenn Lady Di die meistfotografierte Frau der Welt war, so Jesus wohl der meistgemalte Mann. Aber es ist auch das größte Problem: Wie malt man einen Gott, der jämmerlich krepiert?

In früheren Jahrhunderten war dieses Problem relativ leicht zu lösen. Jesus bekam einen Heiligenschein, einen goldenen Kreis hinterm Haupt. Das Gold symbolisierte die überirdische Herrlichkeit, die den Schmerzensmann über alles menschliche Elend erhob, das er doch zugleich erlitt.

Die Volks- und Devotionalienmalerei wählte noch deutliche Hinweise auf Jesu Gottesnatur. Die Brust geöffnet, das Herz lodert, Lichtstrahlen vom Himmel.

Ein weiteres Mittel, die Doppelnatur Jesu malerisch zu begreifen, war eine überirdische, androgyn anmutende Sanftheit im Antlitz: Nur ein Gott kann die Menschen so verzeihend lieben, die ihn derart bestialisch quälen.

Aus der Reihe fällt da der berühmte Isenheimer Altar des Matthias Grünewald aus den Jahren 1506 bis 1515. Der Gekreuzigte hat keinen Heiligenschein, keine Aureole, kein Herz ist zu sehen, kein Sonnenstrahl, keine Sanftmut, nichts. Der geschundene Körper hängt hager und hässlich vom Balken. Die Augen geschlossen, der Mund halb geöffnet, die Hände im Schmerz verkrampft. Ein Bild gottfernen Jammers.

Auf der anderen Seite des Altars freilich hat der Maler die Auferstehung imaginiert: Welch ein starker, schöner Mann! Welche eine Kraft, welch ein überirdischer Glanz, der ihn emporhebt!

Grünewald hat also Jesu Doppelnatur getrennt. Auf der einen Tafel erscheint der Mensch, auf der anderen der Gott.

Wenn man sich nun die rund 100 Bilder, Grafiken und Skulpturen zum Thema Jesus aus dem 20. und 21. Jahrhundert anschaut, die der Sammler Jochen Prüsse aus eigenen Beständen und denen der Stiftung Christliche Kunst Wittenberg zusammengestellt hat, dann scheint es so, als hätten die Künstler der Moderne nur noch das Jesus-Bild der ersten Tafel im Kopf. Das „Ecce Homo“. Den exemplarischen Menschen in seinem Leid. Der Übermalungs-künster Arnulf Rainer hat den bizarren Leidensausdruck des Grünewaldschen Jesus sogar noch verstärkt, indem er eine krakelig-kantige schwarze Linie über die Gesichtszüge legte.

Was weitgehend fehlt in den Werken dieser Ausstellung, ist die Hoffnung. Als hätte sie sich erschöpft in 2000 vergeblichen Jahren. Angesichts von Weltkriegen und mörderischen Ideologien. Es fehlt, soweit wir sehen, die Geburt, in vergangenen Jahrhunderten ja auch ein sehr beliebtes Motiv – mit der Krippe als Alleinstellungsmerkmal. Die Auf- erstehung, die Erlösung bleiben Ausnahmen.

Vor allem nach dem Zivilisationsbruch des Ersten Weltkrieges steht die Passion für die Empörung der Künstler im Angesicht dessen, was der Kreatur Mensch von seinesgleichen angetan wird. Auf einer Radierung von Lovis Corinth aus dem Jahr 1916 blickt uns Jesus, der unter dem Kreuz zusammengebrochen ist, abgrundtief verzweifelt, aber doch unabweislich direkt ins Auge.

Bei George Rouault ragt der Körper des Gekreuzigten 1922 dunkel in eine unheimlich düstere Szenerie. George Grosz hängt den Gottessohn 1928 mit Gasmaske und Soldatenstiefeln ans Kreuz. Max Beckmann zeichnet sich selbst 1946 als feist-kalten Pilatus neben einen hageren Jesuskopf, der wie ausgehöhlt vor Schmerz wirkt. Bei Palle Nielsen und Frans Masereel taucht der Gekreuzigte wie ein Menetekel in modernen Städten auf.

Ein beliebtes Motiv in dieser Schau ist das Schweißtuch der Veronika – von Dix über Buffet und Rouault bis Baselitz. Auch dem letzten Abendmahl haben sich einige Künstler gewidmet. Während Otmar Alt es mit seinen comic-bunten, knubbeligen Figuren füllt, die irgendwie immer lustig wirken und damit nicht recht passen wollen zu dem Thema, hat Ben Willekens einen mysteriös menschenleeren Raum gemalt, der einerseits eine große Abwesenheit ausstrahlt, aber andererseits auch im reinen Weiß hinter den Fenstern Transzendenz aufscheinen lässt.

Auf dem penibel gemalten Bild von Elisabeth Engelbrecht von 2013 sind nur noch die Reste des Mahls zu sehen, dem sich die Tiere annehmen. Ein hübsches, aber auch erschreckend posthumanes Bild. Dass der vergossene Wein freilich auf der Tischdecke in Herzform gerinnt, wirkt denn doch ein bisschen kitschig.

Posthuman und provokativ sind die Radierungen von Günter Grass: eine Ratte am Kreuz. Und eine Kreuzigungsszene aus grotesk verbogenen Vogelscheuchen. Da ist nicht mal das Ecce Homo mehr, sondern nur noch dessen Persiflage.

Die Ausstellung verspricht im Untertitel „Kunst – Kommerz – Karikatur“. Was Kommerz und Karikatur angeht, bleibt sie unterbelichtet – wenn man nicht jenes altfränkisch verkitschte Jesus-Porträt zum Kommerz rechnen will, dass Ernst Fuchs 2003 für die Bildzeitung malte. Oder das „Spiegel“-Titelbild von 1981, auf dem Jesus ein Gewehr zerbricht und als Symbolfigur der Friedensbewegung herhalten muss. Dies freilich weist eher auf einen Popularitäts-Schub Jesu als eine Art Hippie hin zu Zeiten, da die Jugend geneigt war, die Bergpredigt als politische Handlungsanweisung zu lesen. Da wurde er sogar zum Musical-Helden. Bei Björn Nörgard taucht Jesus sogar als nackte junge Frau auf.

SERVICE

Zu sehen sind die Werke vom 25. September bis 22. November an fünf Ausstellungsorten in Braunschweig: Jakob-Kemenate, Kemenate Hagenbrücke, Augustinum, Bankhaus Löbbecke und Stadthalle.

Der Eintritt kostet 5 Euro, Jugendliche bis 18 Jahre sind frei. Der Katalog kostet 10 Euro.

Zum Rahmenprogramm gehören drei Vorträge sowie ein Konzert von Michael Strauss, die Kosten variieren zwischen 8 und 13 Euro.

Mehr Infos unter www.jakobkemenate.de oder Telefon (05306) 95 95 26.