Braunschweig. Bunt, kreativ, multikulturell: Beim Rundgang der Braunschweiger Kunsthochschule präsentieren die Studenten bis Sonntag ihre Arbeiten.

Gröööggndrgnöüggndssügg...und so fort. Der Auftakt zum diesjährigen Rundgang an der Braunschweiger Kunsthochschule ist schwer erträglich. Da kommst du rein und siehst in einer riesigen Projektion zwei junge Männer – wir vermuten: Kunststudenten – die sich gegenseitig die Finger in die Münder stopfen. Heftig. Speichel fließt.

Aus den daneben hängenden Kopfhörern dringen erstickte Kehllaute. Offenbar haben die beiden jungen Männer versucht, sich zu unterhalten, während sie sich mit den Fingern in den Mündern herumfuhrwerkten, und dies in Bild und Ton festgehalten. Das hat einen Hauch von Marina Abramovic’ brachialer Körperkunst. Aber du darfst nicht zu lange gucken und hören, sonst fängst du selber zu würgen an.

Wir stapfen das Treppenhaus hoch zur Abteilung Darstellendes Spiel. Aaaah. Dort geht es poetischer zu. In einem Raum sitzt ein netter großer Plüschelefant auf einer Schaukel. Auch dazu gibt es einen Kopfhörer.

Eine junge Frau berichtet, wie sie tagelang mit diesem Elefanten auf dem Rücken umhergelaufen ist. Überall hin. Mit zarter, manchmal stockender, manchmal staunender Stimme erzählt sie, wie ihre merkwürdige Erscheinung auf sie und ihre Umwelt abstrahlt. Sympathisch. Wie etwa eine Kundin im Blumengeschäft sie gewarnt habe, jetzt bloß nicht in einen Porzellanladen zu gehen, das müsse ja schiefgehen. Oder wie sie zagend überlegt, ob sie ihrem plüschigen Begleiter auch zu einem Vorstellungsgespräch mitnehmen soll...

Weitere Studenten sind mit anderen, weniger spektakulären Gegenständen herumgelaufen. Daraus soll vielleicht, so sagt uns Professorin Dorothea Hillinger, ein theatrales Projekt werden.

Die Verbindung von Installation und Tonspur scheint ein kleiner Trend zu sein beim diesjährigen Rundgang. Mitten auf dem idyllischen Weidenhof der Hochschule steht eine Art Plastikzelt. Darin ein Lautsprecher. Da faselt eine sanfte Stimme von Selbstverwirklichung, sagt Sätze wie „Ich will von euch was sehen, das mich überrascht, ihr müsst euch neu erfinden...“ Könnte auch ein Kunst-Professor beim Kritik-Gespräch sein.

Um Klangkunst im engeren Sinn geht es in der Klasse von Professor Ulrich Eller im HBK-Ateliertrakt an der Blumenstraße. Da ist viel Technik im Raum verteilt, es surrt, zischt, piept und blinkt.

Manuel Haible etwa hat in seiner Installation „Nekrophile 2“ Solarpanel-Scherben um drei Glühbirnen angeordnet. Der Solarstrom fließt in einen Verstärker und bringt die Birnen zum Flackern. Zugleich treibt er zwei Motoren an der Decke an, die mit leisem Sirren hängende Klarsichtfolien in Bewegung setzen. Wir setzen sie angesichts des Titels der Arbeit mit Medien aus dem Jenseits gleich. Haibles Erklärung ist nüchterner: „Klangkunst ist tot“, meint er trocken.

In Wolfgang Ellenrieders Malerei-Klasse fesselt uns ein animiertes Video von Rui Zhang. Gezeichnete Affenwesen erscheinen in einem Meer aus Nichts, mutieren, bekämpfen sich, erschaffen neue Affen und verschwinden wieder. Faszinierend und unheimlich ist das.

Freundlicher ist die „Favela“ von Claudia Wegworth (Klasse Walter Dahn). Ein Gewirr aus Vogelhäuschen, bunt durcheinander an eine Wand montiert. Ein Monitor ist an eines der Häuschen angeschlossen und zeigt – scheinbar – die kleinen Bewohner. Die Künstlerin hat einen Zettel neben der Arbeit angebracht, mit Lessings Fabel von den Spatzen. Die fühlen sich wohl in einer halbverfallenen Kirche. Als sie saniert wird, können sie nichts mehr damit anfangen.

Zurück ins Hauptgebäude am Pippelweg. Wie zufällig stolpern wir in ein Atelier. Dort sitzen drei junge Leute und schauen auf einen Bildschirm. Darauf: Buchstaben. Und ein Mensch in tänzerischer Bewegung. Dazu rhythmisch-dominierte Musik. „Wir haben das Alphabet visualisiert“, erklärt Inga Plönnigs. Und Wera Wahrendorf nimmt sogar für unser Foto extra eine tänzerische Pose vor dem Monitor ein. Die eine Frau kommt vom Communication Design, die andere vom Darstellenden Spiel. Da funktioniert sie also, die so sehr beschworene kreative Befruchtung verschiedener Studienbereiche an dieser krisengestählten Hochschule.

Es es ist ja auch was dran an der Vielfalt. Diese Hochschule ist eben nicht bloß eine Akademie. Bei den Industrie-Designern etwa bricht eine Lampe mit einer doppelten Spiegelscheibe auf raffinierte Weise den Blick des Betrachters. Visionär die Studie eines Alpenmobils für VW, das nach dem Vorbild eines Schlittens zu jeder Jahreszeit einsetzbar ist. Hübsch auch die kleine Fingerübung, die Heimat in eine Zigarettenpackung zu bringen. Da sehen wir etwa ein Hamburger Schiffs-Quartett oder das Bonner Post-Hochhaus als faltbares Teelicht.

So schlendern wir weiter, bleiben stehen, lassen uns von einer Attraktion zur nächsten leiten, lassen uns irritieren, überwältigen, zucken auch desöfteren die Schultern und ertappen uns bei dem Gedanken: Ist das Kunst, oder..., lassen uns von den meist freundlichen Studenten aus allen Ecken der Welt in großer Ernsthaftigkeit ihre Arbeiten erläutern.

Kurz: Das hier ist unsere kleine südostniedersächsische Documenta. Natürlich ohne Stars. Es sind alles No-Names, die sich da auf den vor allem in der Freien Kunst so steinigen Weg begeben. Ob man dermaleinst einem wieder begegnet – bei der großen Documenta?