Schwiegershausen. Zwei Pilger aus Schwiegershausen berichten über ihre Erfahrungen auf Pilgerwegen in Spanien und Norwegen. Wie ist es, alleine unterwegs zu sein?

Nicht erst seit Hape Kerkelings Bestseller „Ich bin dann mal weg - Meine Reise auf dem Jakobsweg“ liegt das Pilgern voll im Trend. Das Buch hat seit seinem Erscheinen zahlreiche Menschen inspiriert und nicht zuletzt motiviert, sich einmal selber auf den Weg zu machen.

Doch was ist eigentlich Pilgern, was unterscheidet es vom Wandern und warum pilgern die Menschen? „Pilgern ist eine Reise zu einem spirituellen, religiösen oder auch heiligen Ort. Meist zu Fuß, aber auch mit dem Fahrrad oder anderen Fortbewegungsmitteln pilgern Menschen“, heißt auf der Webseite www.deutschlandpilgert.de.

Vom Harz in alle Welt pilgern

Das Pilgern wird in zahlreichen Kulturen und Religionen gepflegt, wie zum Beispiel im Christen- und Judentum, im Islam, dem Buddhismus und Hinduismus. Es diene dazu, aus dem Alltag herauszukommen, sich selbst zu finden und dadurch besser kennenzulernen. Andere versuchen mit der Pilgerreise innere Blockaden zu überwinden, spirituelle Erfahrungen zu erleben oder sportliche Grenzen auszuloten. Die Wege führen oftmals durch landschaftlich schöne Regionen, vorbei an geschichtsträchtigen Sehenswürdigkeiten sowie hin zu berühmten Wallfahrtsorten und religiösen Stätten. Sehr bekannte Reisen gehen nach Jerusalem, Mekka, Rom oder Santiago de Compostela, um nur einige bekannte Orte zu benennen.

Das Pilgern ist ein uraltes Ritual, eine Tradition, die schon lange gepflegt wird. Die Ursprünge liegen im Dunkeln. Als treibende Kraft ist wohl hauptsächlich die Suche nach Selbsterkenntnis, dem Lebenssinn und der eigenen Spiritualität.

Auch Maja Mißling und Frank Berneburg – beide aus Schwiegershausen – haben sich von Hape Kerkelings Werk inspirieren lassen und sich auf Pilgerreise begeben. Während der Themenabende des Fördervereins Dorfgeschichte und Brauchtum Schwiegershausen hielten die Zwei im Hus in Dieke einige Bildvorträge über Pilgerwanderungen.

Mißling berichtete über ihre Erfahrungen auf dem „englischen Jakobsweg“. Sie war im Mai vergangenen Jahres eine Teilstrecke des Jacobsweges nach Santiago de Compostela gepilgert. Berneburg pilgerte ebenfalls 2023 den 643 Kilometer langen Olavsweg in Norwegen. Er erzählte wegen der großen Nachfrage gleich zweimal, was er während seiner Reise so erlebte. Beide Vorträge stießen auf reges Interesse der Zuhörerinnen und Zuhörer, sodass sich nach dem Gehörten gute Gespräche zum Thema „Pilgern“ entwickelten.

Der Harz Kurier wollte wissen: Was treibt Menschen an, sich auf Pilgerreise zu begeben?

Aufmerksame Zuhörer im Hus in Dieke beim Vortrag von Maja Mißling und Frank Berneburg.
Aufmerksame Zuhörer im Hus in Dieke beim Vortrag von Maja Mißling und Frank Berneburg. © privat | Wilhelm Sonntag

Für diejenigen, die sie noch nicht kennen: Bitte stellen Sie sich einmal kurz vor.

Maja Mißling: Mein Name ist Maja Mißling. Ich bin 50 Jahre alt, verheiratet, habe drei erwachsene Kinder und wohne in Schwiegershausen. Mein Arbeitgeber sind die Kommunale Dienste Göttingen. Dort bin ich als Anwendungsbetreuerin für verschiedene Fachverfahren in Kommunen tätig. Meine Hobbys sind unter anderem laufen, wandern, lesen.

Frank Berneburg (FB): Mein Name ist Frank Berneburg, ich bin 65 Jahre alt und wohne auch in Schwiegershausen. Von Beruf bin ich Augenoptikermeister im Ruhestand.

Wie sind Sie auf die Idee des Pilgerns gekommen? Waren es Glaubens- oder sportliche Gründe oder einfach nur so?

MM: Das Buch von Hape Kerkeling „Ich bin dann mal weg“, welches ich, glaube ich, 2007 gelesen habe, weckte in mir den Wunsch, mich auf die Reise zu machen. Leider war in den folgenden Jahren nie der richtige Zeitpunkt, wobei, den gibt es eh nicht wirklich. Im Herbst 2022 war ich aufgrund einer Krankheit ans Bett gefesselt, und da fasste ich den Entschluss, im nächsten Frühjahr endlich meinen lang gehegten Wunsch vor meinem 50. Geburtstag in die Tat umzusetzen. Außerdem war ich gerade in einer Phase, in der ich mir über einige Dinge in meinem privaten Umfeld Gedanken machte und über die ich hoffte, auf dem Weg eine Antwort zu finden.

FB: Anreiz war auch bei mir Hape Kerkelings Buch. Aber ich wollte in dieser Zeit der vielen Krisen einmal Abstand finden und Ruhe für mich finden. Außerdem wandere ich gerne.

Von wo bis wo sind Sie gepilgert und in welchem Zeitraum? Waren Sie allein unterwegs?

MM: Mein Weg führte mich von Ferrol nach Santiago de Compostela auf dem englischen Weg (Camino Inglés). Gestartet bin ich allein, habe aber sehr schnell Anschluss an ein Pärchen aus Wedel bekommen, und so sind wir die Strecke mehr oder weniger gemeinsam gegangen. Die reine Gehzeit war vom 19. Mai bis zum 25. Mai 2023. Insgesamt ging meine Reise jedoch vom 17. Mai bis zum 27. Mai 2023.

FB: Ich bin den Olavsweg in Norwegen von Oslo bis Trondheim in der Zeit vom 22. Mai bis zum 22. Juni 2023 allein gegangen, die erste Woche ohne Begegnungen mit anderen Pilgern.

Der Anfang der Reise für Maja Mißling in Ferrol.
Der Anfang der Reise für Maja Mißling in Ferrol. © privat | Maja Mißling

War das Ihre erste Pilgerreise? Wenn nicht, wo sind Sie noch gepilgert?

MM: Es war meine erste, aber bestimmt nicht meine letzte Pilgerreise.

FB: Es war meine erste Pilgerwanderung und mein erster Aufenthalt in Norwegen.

Warum musste es genau dieser Pilgerweg sein über den Sie referiert haben?

MM: Ich wäre gerne den französischen Weg über 800 Kilometer gelaufen, aber soviel Urlaub hatte ich nicht. Und da ich unbedingt mit nur „einer“ Reise in Santiago de Compostela ankommen wollte, musste es ein Weg sein, der in circa zehn Tagen gut zu schaffen ist und mehr als 100 Kilometer beträgt. Ansonsten hätte ich die berühmte Pilgerurkunde, die Compostela, nicht bekommen. Aus diesem Grunde bot sich der Camino Inglés mit einer Länge von etwa 112 Kilometern an.

Weinrebe auf dem Pilgerpfad in Spanien.
Weinrebe auf dem Pilgerpfad in Spanien. © privat | Maja Mißling

FB: Der Camino nach Compostela ist mir mittlerweile zu touristisch und überlaufen. Ich liebe die nordische Natur und mag die Mentalität der Menschen.

Entlang des Olavswegs in Norwegen: Die Stabkirche in Ringebu.
Entlang des Olavswegs in Norwegen: Die Stabkirche in Ringebu. © privat | Frank Berneburg

Hat Ihnen das Pilgern etwas „gebracht“, wenn ja, was? Hat es Sie in irgendeiner Form verändert?

MM: Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken und konnte mir über einige Dinge in meinem Leben klar werden. Diese Reise hat mich auf jeden Fall insoweit verändert, als ich mittlerweile viele Dinge nicht mehr so eng sehe und gelassener geworden bin. Auch bin ich auf einem guten Weg von der Vorstellung wegzukommen, dass alles am besten perfekt verläuft. Wenn man auf dem Weg ist, kommt es immer wieder zu unvorhergesehenen Gegebenheiten, die nicht so verlaufen, wie man sich das wünscht. Da heißt es die Herausforderung anzunehmen und das bestmögliche für sich daraus zu machen. Außerdem hat mir die Zeit des Pilgerns wieder einmal gezeigt, dass es möglich ist, mit sehr wenigen materiellen Dingen auszukommen, wenn man wie ich nur 10 Kilogram Gepäck dabei hat.

FB: Ja, auf jeden Fall. Man merkt sehr schnell, welche Dinge im Leben wirklich wichtig sind und dass man viele Dinge vielleicht vermisst, aber eigentlich gar nicht braucht. Dadurch erfährt man innere Ruhe und Gelassenheit.

Werden Sie wieder pilgern? Wenn ja, wann und wohin?

MM: Ich würde gerne nochmal den portugiesischen Küstenweg pilgern, vielleicht ja dann mit meinem Mann. Wann dieser Zeitpunkt sein wird, steht noch in den Sternen. Irgendwann wird der Wunsch sicher so groß sein, dass es dann einfach losgehen muss.

FB: In nächster Zeit nicht, eventuell in einigen Jahren. Dann würde ich vielleicht von den Alpen nach Rom pilgern, wenn ich gesund bleibe.

War es sehr anstrengend oder vielleicht auch leichter als gedacht?

MM: Die längste Etappe, die ich an einem Tag zurückgelegt habe, waren 23 Kilometer. Natürlich gab es auch Steigungen, die etwas anstrengender waren. Aber wenn man nicht total untrainiert ist, ist das gut zu schaffen.

FB: Der Weg ist sehr anspruchsvoll, es geht viel bergauf und wieder runter (20.000 Höhenmeter auf 643 Kilometer). Man sollte eine gute Kondition und mentales Durchhaltevermögen haben.

Gab es auch mal einen Moment, wo Sie aufgeben wollten?

MM: Schwierigkeiten auf dem Weg hatte ich nicht. Einzig die Tatsache, dass meine Hinreise nicht so reibungslos verlief, wie ich mir das gewünscht hätte, hat mich ziemlich viele Nerven gekostet. Aber auch das habe ich geschafft und aufgeben ist für mich nie eine Option. Wenn etwas nicht wie gewünscht läuft, gibt es immer mindestens eine Alternative, die es anzunehmen gilt. Außerdem ist nicht das Ankommen, sondern der Weg das Ziel.

FB: Nein, aufgeben war nie ein Thema. Natürlich gab es auch schlechte Tage, an denen man am Sinn der Tour zweifelte.

Wie waren die Atmosphäre und Stimmung, wenn Sie andere Pilger getroffen haben?

MM: Der Weg war nicht so überlaufen, wie man das immer von dem französischen Weg hört. Jeder Pilger hat sein eigenes Tempo. Aber oft habe ich am Abend die Pilger wiedergetroffen, die am Morgen am gleichen Ort wie ich aufgebrochen sind. Dann war die Freude groß, dass wir es bis hierher geschafft hatten. Alle waren freundlich, und es wurden gute Gespräche geführt.

FB: Unter Pilgern gibt es viele gleiche Einstellungen, alle sind tolerant und unheimlich hilfsbereit und sehr interessiert, etwas über den anderen zu erfahren. Sprachbarrieren gibt es nicht.

Letzte Frage: Können Sie das Pilgern unseren Leserinnen und Lesern empfehlen?

MM: Jeder muss für sich selbst herausfinden, ob ihm das Pilgern liegt. Ein guter Anfang wäre sicher einmal, sich alleine (als Pilger ist man jedoch eigentlich nie alleine, man trifft immer irgendjemanden) ein oder zwei Tage auf einen Weg zu machen. Da bietet sich natürlich der Harz mit seinen tollen Wanderwegen an. Aber es ist natürlich auch jeder andere Weg denkbar.

FB: Auf jeden Fall, es ist eine einzigartige Erfahrung und ein unvergessliches Erlebnis.

Um auf Pilgerreise zu gehen, muss man übrigens nicht erst ins Ausland reisen. Auch in Norddeutschland gibt es entsprechende Angebote und tolle Wege. Auf der Homepage www.pilgern-im-norden.de beispielsweise sind Pilgerwege in Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern aufgelistet. Verbunden mit Informationen, Büchern zum Thema oder auch geistliches Material für Geist und Seele. Eine Übersichtskarte mit allen Wegen hilft bei der Orientierung. Fahrradpilgerwege sind ebenfalls mit aufgeführt.

Wie wäre es denn zum Beispiel mit dem Jacobusweg St. Jacobi Hamburg-Mariensee, eine der großen Verbindungsachsen neben den anderen Jakobswegen? Oder dem Heidschnuckenweg? Er führt Sie vom Hamburger Süden bis hin nach Celle in die reizvolle Lüneburger Heide.

Mit dem Harzer Klosterweg haben es die Harzer ganz besonders leicht. Der Wanderweg umfasst eine Länge von circa 94 Kilometern und führt die Pilgerinnen und Pilger auf naturbelassenen Pfaden zwischen dem Kloster St. Marien in Quedlinburg zum Kloster Wendhusen bei Thale bis zum Kloster Grauhof bei Goslar. Auf dem Klosterwanderweg sollen Körper, Geist und Seele sich erholen können, so wird es versprochen.

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