Osterode. Experte Moritz Becker vom Smiley e.V. gibt Tipps und Hinweise im TRG Osterode. Wichtigste Erkenntnis: Teenager suchen nach Anerkennung.

Kinder und soziale Medien. Für Eltern ist das oft ein Buch mit sieben Siegeln. Dazu kommen dann noch die ständige Fragen, warum die Kinder quasi permanent online sind, ob das noch gesund ist und wie man dem allen begegnen soll.

Was ich morgens von den Schülern höre, verrate ich abends den Eltern.
Moritz Becker (smiley e.V.) leitet humorvoll die Infoveranstaltung ein

Um einen Einblick in die „digitale Welt“ der Kinder zu gewähren, hatte der Schulelternrat des Tilman-Riemenschneider-Gymnasiums interessierte Eltern, insbesondere auch von den Grundschulen, zu einem Abend rund um das Thema Mediennutzung beziehungsweise Medienerziehung eingeladen. Dabei konnte der Sozialpädagoge, Moritz Becker (selbst Vater zweier Kinder) von smiley e.V. auf äußerst humorvolle Art aufklären, und hier und da auch Ängste nehmen. Becker ist Eltern-Medien-Trainer, Lehrbeauftragter an der Universität Hannover und freiberuflich unter anderem für die Niedersächsische Landesmedienanstalt tätig. „Was ich morgens von den Schülern höre, verrate ich abends den Eltern“, sagte Becker humorvoll.

Warum ist das Smartphone so wichtig?

Seine Aufgabe sei jedoch heute Abend, nur zu erklären, warum das Smartphone für Kinder und Jugendliche wichtiger sei als andere Dinge. „Ich bin nicht hier, um über gut oder schlecht zu referieren. Ich erkläre einfach nur Dynamiken. Ich erkläre, Sie denken“. Und das „Denken“ in Erziehungsfragen sei so eine Sache. Denn Kinder würden nicht wollen, dass die Eltern denken, sie wollen intuitive Ansagen der Eltern. Das hänge viel mit dem Bauchgefühl zusammen, sagte er, wobei er daran erinnerte, dass alle Anwesenden ja selber mal Kinder waren und auf selbst erlebte Erfahrungen zurückgreifen können. „Bei der Frage nun, ob das eigene Kind TikTok oder ähnliches benutzen darf oder braucht, kann man als Eltern sich leider nicht fragen, wie alt man selber als Kind war, als man TikTok benutzt hat“.

  • Kinder haben nie Langeweile kennen gelernt und können daher nur schwer Langweiliges aus dem Netz von Interessantem unterscheiden
  • Kinder müssen lernen, aus eigener Motivation heraus das Handy wegzulegen und auszusteigen
  • Eltern greifen zu oft ein, zum Beispiel mit Zeitlimits für Social Media-Nutzung
  • Tiktok-Videos sind für Jugendliche Ablenkung. Sie sollen sagen:Lass mich in Ruhe
  • Was hilft: Kindern im Haushalt verantwortungsvolle Aufgaben übertragen
  • Jugendliche suchen nach Anerkennung durch Likes
  • Es ist falsch, zu sagen: „Es ist egal, was andere denken.“ Jugendlichen ist das nicht egal
Moritz Becker bei seinem informativen und sehr unterhaltsamen Vortrag über die Gesinnung von Kindern und Jugendlichen im Umgang mit sozialen Medien.
Moritz Becker bei seinem informativen und sehr unterhaltsamen Vortrag über die Gesinnung von Kindern und Jugendlichen im Umgang mit sozialen Medien. © HK | Herma Niemann

Unendliche viele Videos auf dem Handy

Becker brachte jedoch noch einen guten Vergleich. „Stellen Sie sich vor, Sie lassen sich auf TikTok ein, dann werden Sie unendlich viele Videos sehen, und fragen sich, wozu das gut sein soll“. Denn erfahrene Nutzer „wischen“ langweilige Videos einfach weg, bis eins kommt, was einen interessiert. Und Jugendliche hätten bisweilen gar nicht gelernt, was es heißt, Langeweile auszuhalten. „Unsere Generation hat das Aushalten von Langeweile gelernt, die Jugendlichen nicht. Wir hatten damals nur die Wahl zwischen MTV oder Viva“.

Die App TikTok lernt durch Verhalten der Nutzer

Viele Eltern würden sich zudem auch darüber Sorgen machen, welche Videossich die Kinder ansehen. „TikTok lernt den Geschmack der Kinder durch ihr Verhalten. Welche Videos also bei TikTok beim Nutzer erscheinen, sagt nur etwas über den Geschmack aus, der auf die Kinder zugeschnitten ist“. Was Kinder und Jugendliche allerdings angesichts der Medienlandschaft lernen müssen, sei die eigene Motivation, von selbst auszusteigen, um nicht endlos dabei hängen zu bleiben“. Zum Vergleich berichtete Becker darüber, dass es früher strukturierter war, auch aufgrund mangelnder Alternativen. „Montag bis Mittwoch gab es die Sesamstraße, Donnerstag die Sendung mit der Maus und am Freitag Hallo Spencer“. Heute stünde jederzeit das breite Spektrum den Kindern und Jugendlichen zur Verfügung.

Lernen, die Zeit am Handy zu begrenzen

Bei ausreichender Motivation, könnten Kinder aber durchaus lernen, wie lange zum Beispiel ein Level beim Spielen dauert, und dadurch vielleicht auch den Rest des Nachmittags wieder selbst planen. Das Problem: Eltern würden zu oft eingreifen oder „eingrätschen“, wie er es nannte. „Wenn Eltern immer eingreifen, können Kinder nicht aus den eigenen Fehlern lernen“. Das setze natürlich eine Fehlerkultur voraus - was aber mindestens genauso wichtig sei, sei bei Kindern das Vorhandensein der Motivation, nicht scheitern zu wollen. Wenn ein Kind zum Beispiel regelmäßig zu spät zum Sportverein kommt, weil es die Zeit am Handy vergessen habe, könne es auch durchaus sein, dass das Kind zwar schon lange in dem Verein ist, den Sport aber eigentlich gar nicht gerne mache. „Denn nicht selten bestimmen die Eltern darüber“. Und eine Zeitbegrenzung am Smartphone? Das könne helfen oder auch nicht, sagte Becker. Wichtig sei, dass die Kids daraus lernen, es irgendwann selbst regulieren zu können.

Lass mich mal in Ruhe

Nun würden sich natürlich Eltern auch oft fragen, warum sich die Jugendlichen zwei Stunden lang Videos ansehen ohne hinterher vielleicht auch nur noch ansatzweise zu wissen, was sie sich überhaupt angesehen haben. „Die Kinder haben etwas davon, nämlich Ablenkung. Ich glaube, das waren bei uns damals die Vorabendserien. Oder wissen Sie noch, was in jeder einzelnen Folge bei Marienhof oder Gute Zeiten-schlechte Zeiten genau passiert ist?“. Das sei ja im Grunde auch „Trash“ (also Müll) gewesen. So etwas zu konsumieren, bedeute einfach nur: „Lasst mich mal in Ruhe“.

Viel wirkungsvoller ist dann, nach sechs oder sieben Wochen das Kind zu fragen: Hast Du die Katze eigentlich gesehen?
Moritz Becker zu dem Thema, den Kindern nicht die Verantwortung abzunehmen

Das A und O: mit den Kindern und Jugendlichen immer wieder drüber sprechen, und ihnen auch verantwortungsvolle Aufgaben im Alltag und im Haushalt zu übertragen. Das wiederum könne nur funktionieren, wenn man als Eltern auch durchhalte.

Ein Beispiel: Das Kind soll sich darum kümmern, die Katze regelmäßig morgens zu füttern. Nun könnten Kinder beim Zähneputzen aber auch feststellen, dass man sich währenddessen auch vom Smartphone unterhalten lassen kann. Wenn nun das Zähneputzen länger dauert und die Zeit morgens knapp wird, dürfen Eltern nicht den Fehler machen, und ihnen ausnahmsweise das Füttern abnehmen. Mit einem Augenzwinkern und nicht ganz ernst gemeint sagte Becker: „Viel wirkungsvoller ist dann, nach sechs oder sieben Wochen das Kind zu fragen: Hast Du die Katze eigentlich gesehen?“.

Profilbild ändern nicht ungewöhnlich

Was Kinder und Jugendliche brauchen, sei Identitätsentwicklung, Aufmerksamkeit, Neugierde, Orientierung und Anerkennung. Und gerade in der Pubertät sei es elementar wichtig, herauszufinden, wer man sei. Dabei könnten Jugendliche oft bis zu zwölf verschiedene Charaktere an den Tag legen, von muffelig am Morgen, sauer, eingeschappt oder zickig, bis zu gut gelaunt und hilfsbereit. Deshalb sei es auch nicht ungewöhnlich, dass Jugendliche sehr oft ihr Profilbild ändern würden.

Jedes Like gibt Stärke

Und, etwas zu Posten, sei wie „fishing for compliments“, was im Übrigen auch Erwachsene tun würden. „Jedes Like, so oberflächlich das vielleicht auch wirkt, gibt das Gefühl von Stärke“. Aber so seien eben die Menschen - es seien ganz oft oberflächliche Kleinigkeiten, die Halt geben würden. Problematisch werden könne das Posten natürlich trotzdem. Da gebe es auf der einen Seite junge Menschen, die häufig Likes erhalten. Und auf der anderen Seite die vielleicht nicht so beliebten Jugendlichen, die im besten Fall nur Spott dafür kassieren.

Zivilcourage hilft auch im Internet

In einem solchen Fall würde auch der allseits beliebte Satz von Eltern „selber schuld“ eher kontraproduktiv sein, denn jeder, ob im realen und virtuellen Bereich, habe das Recht, nicht bloß gestellt zu werden. Beleidigungen, sexistische Beleidigungen und Bloßstellungen mit „selber schuld“ zu entgegnen, mache quasi die Opfer zu Tätern, so Becker. Hier sei Zivilcourage gefragt und dass es Menschen gebe, die auf diese Beleidigungen dementsprechend reagieren, anstatt sie zu ignorieren. Im realen Leben helfe man auch, wenn zum Beispiel ein Mensch am Hauptbahnhof hilflos, vielleicht sogar krank oder verletzt am Boden liegen. Da frage man sich ja auch nicht vorher: „Mmmhh, den kenne ich ja gar nicht, soll ich da jetzt helfen oder nicht?“. Im realen Leben hilft man sich, unterstützt sich gegenseitig. „Mein Traum wäre es, wenn das irgendwann auch im Internet passiert“.

Und, Eltern aufgepasst. Wie Becker noch sagte, sei der absolut dümmste Satz, den man gegenüber seinem Kind äußern könne: „Es ist egal, was andere von einem denken“. Denn der Elterngeneration war es in dem jugendlichen Alter auch nicht egal, was andere über sie dachten.

Tipps zur Nutzung von TikTok

Grundsätzlich ist TikTok erst Kindern ab 13 Jahren erlaubt. Möchte das Kind TikTok nutzen sollten die Elterne s dabei begleiten und unter anderem gemeinsam überlegen, welche Videos man veröffentlichen kann und welche nicht, oder was interessant ist und was nicht.

Eltern sollten mit ihrem Kind Regeln vereinbaren, damit es TikTok verantwortungsbewusst nutzt. Neben der Vorsicht bei eigenen Posts müssen Heranwachsende wissen, wie sie sich verhalten können, wenn sie unangebrachte Kommentare oder Nachrichten erhalten. Eltern können ihnen zeigen, wie sie andere Nutzer sperren und melden. Gleichzeitig sollten sie signalisieren, dass es sich bei Problemen jederzeit an sie wenden kann.

Auch beid er Einrichtung eines Profils sollten Eltern drauf schauen. PRofile von Heranwachsenden zwischen 13 und 16 Jahren sind bei TikTok grundsätzlich nciht öffentlich. Bei der Einrichtung können Eltern und Kinder weiterhin einiges vorab einstellen, zum Beispiel einen Filterfunktion für Kommentare.

Eltern können außerdem, wie bei der Internetnutzung allgemein, Zeiten fest legen, wie lang das Kind TikTok nutzen darf. Um die Kontrollfunktion nutzen zu können, müssen Eltern die App ebenfalls auf ihr Handy herunterladen und einen QR-Code vom Gerät des Kindes scannen.

Darüber hinaus sollte auf Privatsphäre und Datenschutz geachtet werden, wie bei allem, was man online veröffentlicht. Auch hier stellt sich die Frage: Welche Inhalte sollen oder dürfen veröffentlicht werden und welche nicht?

Eltern sollten mit ihren Kindern außerdem auch über Werbung und über InApp-Käufe sprechen, denn auch das gibt es bei TikTok.

Grundsätzlich gilt: Eltern dürfen sich nciht zurück lehnen und die Kinder machen lassen. Hinschauen und begleiten sollten sie die ersten Schritte der Kinder im Netz in jedem Fall.

Weitere Infos zum Umgang mit TikTok und Antworten zu anderen Fragen rund um Kinder, Jugendliche und das Internet gibt es bei der Initiatve „Schau hin

Smiley e.V. Verein zur Förderung der Medienkompetenz

bietet Schulen unterschiedliche Modelle an, in denen den Schülern Medienkompetenz vermittelt werden soll. Diese Seminare, Workshops oder AGs werden individuell auf die jeweiligen Bedürfnisse und Wünsche der Schule ausgerichtet. Weitere Informationen unter smiley-ev.de.