Braunschweig. Für den Nachweis von Gravitationswellen gibt es 2017 den Nobelpreis. Das Universum ist nun nicht mehr still.

2014 landete mit der Sonde Philae erstmals ein menschengemachtes Objekt auf einem Kometen. 2016 endete die Rosetta-Mission spektakulär mit dem Absturz der Muttersonde auf Komet „Tschury“. Um Proxima Centauri, den Stern, der uns am nächsten ist, wurde zudem ein Planet in der sogenannten habitablen Zone gefunden, in der Leben möglich ist. 2015 wurde mit dem Homo naledi ein neuer Vorfahr des Menschen entdeckt, und chinesische Wissenschaftler verwendeten erstmals die CRISPR/Cas-Technologie, um die Gene eines menschlichen Embryos zu verändern.

Und 2017? Das Jahresrückblick-Angebot der Deutschen Presseagentur zum Ressort Wissen ist ernüchternd: Elfenbeinverbot in China, zehn Jahre Nichtraucherschutzgesetz (ist das Dein Ernst, liebe dpa?), ein Projekt zum Sammeln von Meeresmüll, das 2018 starten wird (siehe die vorangegangene Klammer) und ein Bericht darüber, dass 2017 in Sachen Klima wohl kein Rekordjahr war.

„Wir könnten die Erschütterung messen, die ein Virus erzeugt, der sich auf einer Testmasse in einem unserer Satelliten niederlässt.“
„Wir könnten die Erschütterung messen, die ein Virus erzeugt, der sich auf einer Testmasse in einem unserer Satelliten niederlässt.“ © Karsten Danzmann, Direktor Planck-Institut für Gravitationsphysik Hannover

Immerhin, ein paar interessante Wissenschaftsgeschichten gab es schon. Im September endete die Mission der Raumsonde Cassini mit ihrem Sturz in den Saturn. Allerdings war dies nur der Abschluss einer an Sensationen reichen Mission, zu der auch die Entdeckung eines Ozeans aus flüssigem Wasser auf dem Saturn-Mond Enceladus zählt (2015), der Leben beherbergen könnte.

Darüber hinaus ist Forschern 2017 erstmals eine „Quanten-Teleportation“ über große Entfernung gelungen. Dabei wurden die Informationen über den Quantenzustand eines Photons auf der Erde ohne Zeitverlust auf ein zweites Photon auf einem 1400 Kilometer entfernten Satelliten übertragen.

Und auch CRISPR/Cas sorgte mal wieder für Schlagzeilen. Mit Hilfe der Gen-Schere konnte HIV aus verschiedenen Tiermodellen komplett entfernt werden, Mäuse wurden erfolgreich gegen die Krankheit Chorea Huntington behandelt, und in menschlichen Keimzellen konnte ein Gen repariert werden, das einen häufigen Herzfehler auslöst. Ähnliche Schlagzeilen wird es auch in den kommenden Jahren zuhauf geben.

Alles in allem war das Wissenschaftsjahr 2017 aber nicht herausragend. Dazu passt, dass die vielleicht größte Geschichte eigentlich aus dem Vorjahr stammt: Im Februar 2016 berichteten Forscher erstmals über die direkte Messung von Gravitationswellen. Die wurde zwar eigentlich schon 2015 gemacht, aber bei der Messung eines Signals, das sich vor 1,3 Milliarden Jahren auf den Weg zu uns machte, dürfte das keine allzu große Rolle spielen. In diesem Jahr nun erhielten Rainer Weiss, Barry Barish und Kip Thorne für ihren Beitrag zur Beobachtung von Gravitationswellen den Physik-Nobelpreis.

Damit öffnet sich das Tor zu einer ganz neuen Astronomie. „Seit Tausenden von Jahren schauen wir mit den Augen ins Universum. Wir bauen uns immer bessere Augen und nennen sie Teleskope“, sagte Professor Karsten Danzmann im März bei einem Vortrag in Braunschweig. Danzmann ist Direktor am Albert-Einstein-Institut (AEI), dem Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover, das maßgeblich zur Technik beigetragen hat, mit der Gravitationswellen nachgewiesen wurden. Diese Messungen verliehen der Menschheit nun erstmals Ohren, um auch ins Universum hineinzulauschen.

Denn 99,6 Prozent des Universums sendent keine elektromagnetische Strahlung aus, die unsere Teleskope detektieren könnten – sei es sichtbares Licht, UV, Infrarot, Radiowellen oder gar Gammastrahlen. Das Universum ist dunkel.

Gravitationswellen sind keine elektromagnetische Strahlung, sondern eine Streckung und Stauchung der Raumzeit selbst. Damit ähneln sie Schallwellen, die sich als Druck- und Dichteschwankungen durch ein elastisches Medium fortbewegen. Nur dass es sich bei diesem Medium nicht um Luft oder Wasser, sondern um die Struktur der Raumzeit handelt. Wer diese Wellen registrieren kann, erhält Zugang zur „Schattenwelt“ unseres dunklen Universums, wie Danzmann es ausdrückt.

Und dort geschieht Beeindruckendes: Das 2015 aufgezeichnete Signal etwa stammt von zwei Schwarzen Löchern, die sich immer schneller umkreisten und schließlich miteinander verschmolzen. Dabei wurde die unvorstellbare Energie von drei Sonnen innerhalb eines Sekundenbruchteils in Strahlung umgewandelt.

Doch alles, was davon auf der Erde nach 1,3 Milliarden Jahren ankam, war ein derart zartes Erzittern, dass Einstein einen Nachweis für unmöglich hielt. Dessen Relativitätstheorie besagt, dass die Schwerkraft keine Eigenschaft massereicher Körper wie der Sonne ist, sondern eine Folge der Krümmung des Raums. Planeten, die die Sonne umkreisen, werden nicht von dieser angezogen, sondern folgen in einem gekrümmten Raum der kürzesten Linie um den Stern.

Laut der Relativitätstheorie erzeugen beschleunigte Massen Wellen, die sich mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegen und dabei den Raum dehnen und strecken. „Das lässt sich über die Veränderung von Längen messen“, erklärt Danzmann. Zum AEI gehört „Geo600“, ein sogenanntes Laser-Interferometer. Das Prinzip: Ein Lichtstrahl wird zweigeteilt und zwei gleich lange Strecken entlang bis zu einem Spiegel geschickt.

Dort werden die Strahlen reflektiert. Am Ursprungsort überlagern sich die beiden Strahlen wieder – es kommt zur Interferenz. Läuft eine Gravitationswelle durch das Interferometer, dann werden die Strecken ein bisschen gestaucht oder gestreckt. „Die Abstände zu dem Spiegel ändern sich für einen Moment“, sagt Danzmann. Dadurch werden die Laserstrahlen aus der Phase gebracht, und die Interferenz ändert sich: Treffen vorher beispielsweise Wellenberg auf Wellenberg, führt das zu einer Verstärkung des Lichtsignals. Treffen durch die Verschiebung dann plötzlich Wellenberg auf Wellental, erlischt das Licht.

Das Problem ist nur: Die Veränderungen sind unvorstellbar winzig. „Eine Supernova in der Lokalen Galaxiengruppe quetscht den Raum um 10 hoch Minus 21 Meter. Das ist die Größe eines Tausendstels eines Protons“, verdeutlicht Professor Danzmann.

Und dennoch ist der Nachweis gelungen – mit Hilfe von Technik aus dem „Geo600“ bei Hannover. Mehr noch: Geplante Gravitationswellendetektoren im Weltraum sollen noch viel empfindlicher sein als auf der Erde. „Wir könnten die Erschütterung messen, die ein Virus erzeugt, der sich auf einer Testmasse in einem unserer Satelliten niederlässt“, verdeutlich Danzmann.

Zwar wird dieser „Lisa“ getaufte Detektor nicht vor 2034 in Betrieb gehen. Doch schon heute lässt sich mit den Messgeräten auf der Erde Gravitationswellen-Astronomie betreiben. Ein Beispiel ist eine Kilonova, die Kollision zweier Neutronensterne, die im August 2017 mittels Gravitationswellen beobachtet wurde.

Neutronensterne sind Überreste von massenreichen Sternen, die in einer Supernova explodierten. Ihre Masse ist extrem dicht gepackt: Ein Teelöffel voll Neutronensternmaterial wiegt in etwa so viel wie der Mount Everest. Aber anders als Schwarze Löcher senden Neutronensterne elektromagnetische Strahlung aus.

Daher konnte die Kilonova mit Teleskopen beobachtet werden, nachdem die Gravitationswellen den Ursprung der Explosion am Himmel verrieten. Erstmals konnte so ein kosmisches Ereignis sowohl gesehen als auch gehört werden. Diese sogenannte Multi-Messenger-Astronomie verspricht viele neue kosmologische Erkenntnisse. Womöglich könnten damit bisher unbekannte Arten von Himmelskörpern gefunden werden.

Schon dieses erste Multi-Messenger-Ereignis lieferte interessante Einblicke in das kosmische Geschehen. So weisen einige Signale auf das Vorkommen von Gold, Platin und anderen chemischen Elementen, die schwerer sind als Eisen, in der Umgebung der Kollision hin. Bei Supernovae werden diese schweren Elemente kaum freigesetzt. Das lässt vermuten, dass sie in Kilonovae entstehen und somit fast jeder Blei-Soldat, Platin-Katalysator und Uran-Brennstab ursprünglich aus dem Zusammenstoß oder der Verschmelzung von Neutronensternen stammt.

2017 mag insgesamt nicht das spektakulärste Wissenschaftsjahr gewesen sein. Doch immerhin können sich Liebespaare vor dem Traualtar nun ihre Ringe übergeben in dem Wissen, dass das Material, das sie sich gegenseitig über die Finger streifen, vor Millionen oder gar Milliarden von Jahren entstand, als zwei Neutronensterne ihrer gegenseitigen Anziehungskraft nicht mehr entkommen konnten und sich miteinander vereinten.