Wolfsburg. 2017 stellt VW die Weichen für die strategische Neuausrichtung. Der Abgas-Skandal wirft weiter Schatten.

Alles hat seine Zeit. Dieses Sprichwort bestätigte für den VW-Konzern kein anders Datum so drastisch wie der September 2015. Bis zu diesem Zeitpunkt glitt der Autobauer über Jahre schier unaufhaltsam von Erfolg zu Erfolg. Nichts schien so fern wie ein Scheitern, wie ein Ende dieses Erfolgsrausches, dem sich VW so gerne hingab. Und dann kam der Zündfunke, der diesen Traum aus dem Nichts explodieren ließ, ausgerechnet aus dem Inneren des Konzerns. VW ist über den eigenen Anspruch, den Erfolg erzwingen zu müssen, gestolpert und gestürzt.

Seitdem ist vieles bei VW in Bewegung geraten – gerade auch 2017. Nicht jede Veränderung hat ihren Ursprung im Diesel-Betrug – so wie der von Konzernchef Matthias Müller geforderte Kulturwandel. Die Veränderungen wurden durch diesen Knall jedoch beschleunigt. Dazu gehören Themen wie Elektro-Antriebe, Digitalisierung und autonomes Fahren. Themen, die im ablaufenden Jahr eine wachsende Bedeutung bekamen und bestätigen: Der Wandel ist nicht mehr Zukunft, er ist Alltag und beschleunigt sich.

Das Jahr 2017 zeigte auch, wie tief und weit sich die vom Abgas-Betrug ausgelösten Eruptionen mittlerweile durch die gesamte Auto-Branche ziehen – zumindest in Deutschland. Ein zentrales Beispiel dafür ist die Diskussion um die Zukunft des Diesel-Antriebs und um Diesel-Fahrver- bote in Innenstädten.

In diesen Streitgesprächen zählen nicht immer sachliche Argumente, sondern häufig stehen weltanschauliche Aspekte im Vordergrund – was die Verunsicherung der Autokäufer nur vergrößert. So wird in der Diskussion um Elektroantriebe zum Beispiel gerne ausgeblendet, dass E-Autos nur dann sauber sind, wenn auch der Strom, mit dem sie geladen werden, aus erneuerbaren Energien kommt. Und das trifft aktuell nur zum Teil zu.

Zugleich wird der Diesel häufig verteufelt, obwohl moderne Motoren durchaus die Schadstoff-Grenzwerte einhalten können – also vergleichsweise sauber sind. Das neue Jahr bietet nun die Chance zu einer Versachlichung dieser Diskussion.

Zurück nach Wolfsburg: Für VW begann das Jahr 2017 durchaus holprig. Gleich zu Beginn bestätigte der Konzern seine Kritiker, die mit ihm Missmanagement und Chaos verbinden. Mitten in die Diskussion um den Abbau von Arbeitsplätzen platzte die Nachricht, dass sich VW von Ethik-Chefin Christine Hohmann-Dennhardt trennt – nur gut ein Jahr nach ihrer Berufung. Mehr als 12 Millionen Euro soll sie als Abfindung erhalten haben. Der Fall warf kein gutes Licht auf VW.

Auf anderer Ebene rumste es in den ersten Monaten des Jahres gewaltig. Bei der Umsetzung des „Zukunftspakts“, der den Rahmen für den Umbau der Konzern-Kernmarke VW samt Stellenabbau vorgibt, gerieten Betriebsratschef Bernd Osterloh und Herbert Diess, Vorstandschef der Marke VW, aneinander. Zentraler Streitpunkt war die Zukunft der Leiharbeiter. Diess musste nachgeben; zeitweise schien es sogar, als wenn er keine Zukunft mehr bei VW hätte. Doch im Hintergrund wirkte Konzernchef Matthias Müller schlichtend, die VW-Eignerfamilien Porsche und Piëch stützten Diess. Er blieb, und seine Handschrift wird nun mehr und mehr erkennbar.

Einen Paukenschlag gab es kurz vor Weihnachten. VW hat die Vergütungen von 14 Betriebsratsmitgliedern gekürzt, die bislang übertariflich bezahlt wurden. Grund: Bei der Vergütung gibt es rechtliche Bedenken.

Der Diesel-Betrug wirkte sich auch im Jahr 2017 noch direkt aus. Zum Beispiel im September, als VW meldete, weitere 2,5 Milliarden Euro für die Aufarbeitung des Skandals zurückstellen zu müssen. Damit belaufen sich die Kosten für „Dieselgate“ auf rund 25 Milliarden Euro.

Zudem wurden in den USA zwei VW-Mitarbeiter wegen ihres Mitwirkens bei den Abgas-Manipulationen zu mehrjährigen Haft- und hohen Geldstrafen verurteilt. Von beiden Managern will sich der Autobauer trennen. Das sorgt für Kritik – nach dem Motto: „Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.“

Doch ist es für dieses Urteil zu früh, weil die Ermittlungsverfahren gegen ehemalige und aktuelle Top-Manager des Unternehmens noch nicht abgeschlossen sind. Und was wäre es für eine Symbolik gewesen, wenn VW zwei verurteilte Straftäter weiter beschäftigt hätte, obwohl sie ins Gefängnis müssen?

Eine weitere Herausforderung für den Autobauer war die Entwicklung der Kernmarke Volkswagen auf dem deutschen Markt. Während die Kunden im Ausland den Skandal schnell zu vergessen schienen – selbst in den USA –, straften die deutschen Kunden die Marke VW ab. Davon zeugten zum Teil deutlich zweistellig sinkende Verkaufszahlen. Erst die Diesel-Prämie, mit der die Hersteller ihre Kunden für den Umstieg von einem alten Stinker auf ein neues, sauberes Auto finanziell belohnen, zeigte Wirkung. Im auslaufenden Jahr steigerte die Marke VW ihre Verkäufe in Deutschland wieder kräftig. Das macht in Wolfsburg Mut.

Das gilt auch für die Verkaufszahlen des gesamten Konzerns. Der erwartet für 2017 einen neuen Absatzrekord. Märkte wie Südamerika und Russland haben sich nachhaltig erholt und liefern starke Absatzsteigerungen, der größte und wichtigste Markt China sorgt zudem weiterhin für stabiles Wachstum. Das alles hilft dem Autobauer, die Diesel-Krise auch finanziell zu verarbeiten und spült Gelder für die Investition in neue Antriebe und Digitalisierung in die Konzernkasse.

Grund zur Freude gab es auch außerhalb der Wolfsburger Konzern-Zentrale. Das gilt etwa für die Anleger. Die VW-Vorzugsaktie gewann seit dem Jahreswechsel 2016/2017 gut 22 Prozent an Wert (Stand bei Redaktionsschluss). Anders gesagt: VW ist für Investoren wieder ausgesprochen sexy. Für sie ist der Diesel-Betrug Geschichte. Alles hat seine Zeit.